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Jedermann 2024
Jedermann 2024: Philipp Hochmair (Jedermann), Deleila Piasko (Buhlschaft)
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«Jedermann» 2024 gefeiert: Der letzte Tango auf dem Tisch

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Zum Auftakt der Salzburger Festspiele geht es im «Jedermann» immer um den Sinn des Lebens. Der Superreiche kommt spät zur Einsicht. Die neue Inszenierung überzeugt mit einem tollen Liebespaar.

Salzburg - Das schulterfreie Abendkleid der Buhlschaft mit goldig-floralem Muster ist aus dem gleichen Stoff wie der Smoking des Jedermann. Der prunkvolle Partnerlook unterstreicht die Vereinigung des gleichgesinnten Paares beim innigen Kuss. In der diesjährigen Jedermann-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen lebt das frivole Duo ungenierter denn je sein Reichen-Leben als immerwährende Party. Doch als beim großen Fest-Essen die beiden auf dem Tisch einen Tango tanzen, schleichen sich erste nachdenkliche Töne beim Jedermann ein. Der Tod will ihn holen und es ist Zeit für eine Bilanz: Waren die gescheffelten Millionen wirklich der Sinn des Lebens?

«Bravos» für das Liebespaar

Der «Jedermann» von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) ist eine zweistündige Moral-Predigt für mehr Humanität und weniger Materialismus im Leben. Dieses Jahr ist sie besonders eindringlich. Und das liegt an den Hauptdarstellern, dem spielfreudigen Ensemble und einer sehr gelungenen Regie. Die Premiere des «Jedermann» zum Auftakt der Salzburger Festspiele ist jedenfalls vom Publikum auch dank ihrer Klarheit begeistert aufgenommen worden. Das neue Konzept ist wie ein Gegenentwurf zur Version des Vorjahres, die im Huckepack noch Klimakrise und Diversität verhandelte.

Der Österreicher Philipp Hochmair als Jedermann und die Schweizer Schauspielerin Deleila Piasko als seine Buhlschaft wurden mit «Bravos» gefeiert. Der populäre Hochmair, der sich unter dem Beifall des Publikums zu Beginn in goldfarbener Edelkarosse auf die Bühne chauffieren lässt, spielt die Rolle in Salzburg schon zum zweiten Mal. 2018 war er für den damals erkrankten Tobias Moretti eingesprungen. Dem 50-Jährigen gelang der Spagat zwischen dem sein Leben lang skrupellosen und erst kurz vor dem Tod reuigen Superreichen eindrucksvoll. Ziemlich am Ende steht er gefühlt minutenlang nur noch in Unterhose schweigend auf der leeren Bühne.

Piasko überzeugte mit ihrer Präsenz und zeitgemäßem Selbstbewusstsein. Selten wirkte das zentrale Liebes-Duo des Stücks so leidenschaftlich, aber letztlich auch so unabhängig voneinander. Viel Beifall erhielten obendrein Christoph Luser in der Doppelrolle als Guter Gesell und Teufel sowie Dominik Dos-Reis als Tod.

Stimmungsvolle Inszenierung

Der Kanadier Robert Carsen hat das Stück höchst stimmungsvoll und dabei schnörkellos inszeniert. Er verzichtete weitgehend auf ein Bühnenbild und vertraute auf die Wirkung des barocken Salzburger Doms als Kulisse. Gut, dass sich der Regen in Salzburg wenige Stunden vor der Premiere verzog und kein Wechsel ins Festspielhaus nötig wurde. Der klerikale Prachtbau verleiht dem Appell des Stücks große Wucht: dass nicht Geld und Gier, sondern Glaube und gute Werke dem Leben Sinn verleihen, und im Tod Trost spenden.

Schon der Auftakt macht klar, worum es geht. Da strömen Dutzende friedlich-frohe Menschen aus der Kirche, offenkundig beseelt vom Gottesdienst, und nutzen die Gelegenheit zum Reden und Umarmen. Sozialer Kontakt, Zuwendung und Nächstenliebe werden als Werte vorgelebt. Da muss der Jedermann erst noch hin.

Benko und Konsorten

Die Inszenierung passt gerade in Österreich in die Zeit. Selten hatten die Menschen so tiefe Einblicke in das schwung- und schwankungsvolle Leben von Milliardären wie durch den tiefen Fall des Ex-Superreichen René Benko. Dessen einstiges Immobilien-Imperium scheint im Rückblick wie auf Sand gebaut und lässt an ein Jedermann-Leben denken.

220.000 Karten

Insgesamt wurden in Salzburg diesen Sommer 220.000 Karten für 172 Aufführungen an 44 Tagen aufgelegt. Bei der Zusammenstellung des Programms stand ein Satz des Schriftstellers Albert Camus Pate: «Ich revoltiere, also sind wir.»

Einer der Höhepunkte des Musik-Programms - und zugleich ein weiteres Sujet a là Benko - könnte die Prokofjew-Oper «Der Spieler» werden. Regisseur Peter Sellars bringt die Geschichte um Gier und schnelle Gewinne auf die Bühne. Die eng mit den Festspielen verbundene Starsopranistin Asmik Grigorian und der US-Tenor Sean Panikkar sind in Hauptrollen zu hören.

Im Schauspiel zeigt Regisseur Thom Luz eine Theaterfassung von Stefan Zweigs Sammelband «Sternstunden der Menschheit», in dem historische Ereignisse um berühmte Männer wie Napoleon oder Lenin als das Resultat von Irrtümern oder Zufällen dargestellt werden. Nicolas Stemann präsentiert seine Version des antiken Blut- und Racheepos «Orestie» aus Texten von Aischylos, Sophokles und Euripides.

Eröffnung durch Chruschtschow-Enkelin

Offiziell wird das Festival am 26. Juli mit einem Festakt in der Felsenreitschule eröffnet. Nina Chruschtschowa, die Urenkelin des einstigen sowjetischen KP-Parteichefs Nikita Chruschtschow, wird die Eröffnungsrede halten. Sie gilt als Expertin der zeitgenössischen russischen Geschichte und Politik sowie als scharfsinnige Analytikerin und Kritikerin des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

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