Donaueschingen - Die Donaueschinger Musiktage stellen den modernen Umgang mit Musik auf den Prüfstand. Thematischer Schwerpunkt in diesem Jahr sind musikalische Großformen, sagte Festivalleiter Armin Köhler am Donnerstag in Donaueschingen. «Mit diesem historischen Thema streben wir gegen den aktuellen Mainstream im Umgang mit Musik.» Das Besinnen auf die musikalische Form und Struktur bestimme das dreitägige Festival. «Im Raum steht die spannende Frage, wie sich musikalische Strukturen mit der Zeit verfestigen und verändern. Und welche Erwartungen Künstler und das Publikum an Musik heute haben.»
Die 1921 gegründeten Donaueschinger Musiktage, die jährlich vom Südwestrundfunk (SWR) organisiert werden, sind nach eigenen Angaben das weltweit älteste und renommierteste Festival für Neue Musik. Es beginnt am Freitag (18.10.) und dauert bis Sonntag. Es werden, wie in den vergangenen Jahren, rund 10 000 Konzertbesucher erwartet.
Das Festival gehe mit seinem thematischen Schwerpunkt einen neuen Weg, sagte Köhler. Im Gegensatz zu den Vorjahren stehe das Experimentieren mit Technik oder Elektronik nicht unmittelbar im Vordergrund. Es gehe vielmehr um die Frage, welchen Einfluss aktuelle gesellschaftliche Kriterien auf die Musik und ihre Darstellung haben.
Auf dem Programm der Uraufführungen stehen zehn umfangreiche Werke in verschiedenen Besetzungen. Sie nehmen unter anderem Bezug auf historische Vorbilder wie Anton Bruckner (1824-1896) und Richard Wagner (1813-1883). Zudem führe es die weltweit wichtigsten Ensembles für Neue Musik zusammen.
Pfälzer Schüler zeigen Uraufführung bei Donaueschinger Musiktagen
Grünstadt/Donaueschingen - Große Ehre für Pfälzer Gymnasiasten: Bei den Donaueschinger Musiktagen präsentieren Schüler des Leininger-Gymnasiums Grünstadt am Sonntag die Uraufführung des Stücks «Flowers of Carnage». Die AG Neue Musik des Gymnasiums sei als bundesweit erstes Jugend-Ensemble eingeladen worden, auf dem Festival eine Auftragskomposition mit zeitgenössischer Musik uraufzuführen, teilte das Kulturministerium am Donnerstag in Mainz mit.
«Flowers of Carnage» wurde von der kanadischen Künstlerin Annesley Black und der AG Neue Musik gemeinsam entwickelt. Es dreht sich um Darstellungsformen ostasiatischer Kampfkunst. Für das Stück haben die Schüler Klangbeispiele aus Martial-Arts-Filmen wie Atemgeräusche und klirrende Schwerter analysiert und instrumentalisiert und das dabei gewonnene Klangmaterial in eine Choreografie umgesetzt.
Kulturministerin Doris Ahnen (SPD) würdigte die Donaueschinger Musiktage als das weltweit älteste und bedeutendste Festival für zeitgenössische Musik. Dabei zu sein, sei «eine große Ehre und Anerkennung» für das Leininger-Gymnasium und sein Engagement im Bereich von Musiktheater und -performance.
Jürgen Ruf, dpa, im Interview mit Armin Köhler:
Frage: Die Musiktage haben sich als Forschungslabor neuer Musik einen Namen gemacht. In diesem Jahr greifen sie ein eher klassisches Thema auf. Keine Lust mehr auf Experimente?
Antwort: Die Lust am Experiment ist ungebrochen. Nach dem vergangenen Jahr, in dem es sehr stark um neue Technologien und neue Medien ging, konzentrieren wir uns diesmal auf ein rein musikalisches Thema. Es schöpft zwar aus der Historie, ist aber gänzlich im Hier und Heute verankert. In dieser Konzentration hilft es uns, Dinge bewusster zu machen. Mit diesem historischen Thema streben wir gegen den aktuellen Mainstream im Umgang mit Musik.
Frage: Was meinen Sie damit?
Antwort: Im Raum steht die spannende Frage, wie sich musikalische Strukturen mit der Zeit verfestigen und verändern. Und welche Erwartungen Künstler und das Publikum an Musik heute haben. Das Festival sucht im Meer unterschiedlichster ästhetischer Konzepte und eines zunehmend auseinanderdrifteten Publikums Übereinstimmungen und Gegensätze in der aktuellen Kunstdebatte. Es zeigt auf, was Menschen von Musik heute erwarten und wie sie mit ihr umgehen.
Frage: Aus welchem Anlass setzen Sie auf dieses Thema?
Antwort: Die musikalische Moderne hat eine Reihe von Insignien hervorgebracht. Eine handelt vom Diktat der Kürze. Wir fragen uns: Ist Form nun Wollust oder Konzentration oder beides zugleich? Was passiert mit uns, wenn wir uns in ein Wahrnehmungsfeld hineinbegeben, bei dem aktuelle gesellschaftliche Kriterien des schnellen Tempos, des kurzen Schnittes, der Multitasking-Arbeit, die Anbetung der Oberfläche in den Hintergrund treten?
Frage: Im Gegensatz zu früheren Jahren setzen Sie auf Künstler, die in der Szene bekannt sind und auch schon mehrfach bei Ihrem Festival waren. Warum nicht junge, unbekannte Künstler?
Antwort: Wir greifen bewusst auf etablierte Künstler zurück, weil wir bei den Kompositionen ein großes Risiko eingehen. Es handelt sich um Mammutproduktionen, die musikalisch und organisatorisch nur von erfahrenen Musikern gestemmt werden können.
Frage: Ist das ein Signal für die kommenden Jahre?
Antwort: Um einen Gesamteindruck zu bekommen, darf man nie einen Festivaljahrgang alleine sehen. Erst die Zusammenschau von drei bis vier Jahren vermittelt einen gewissen Überblick. Und dieser ist geprägt von einem großen Mix aus jungen und erfahrenen Künstlern, aus musikalischem Kern und technologischer Offensive. In diesem Jahr steht die Konzentration auf Musik und ihren Kern im Mittelpunkt, das Besinnen auf die musikalische Form und Struktur.
Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Festivals?
Antwort: Die Experimentierfreude ist unverändert groß. Der Drang und die Begeisterung daran, Musik immer wieder neu zu erfinden, ist noch immer aktuell. Und wird es auch bleiben. Und Donaueschingen ist ein Zeitmesser und zugleich der Motor dieser Entwicklung. Wir registrieren eine unverändert hohe Zahl von Bewerbungen. Dies gilt auch für die kommenden Jahre. Das Festival steht auf guten Beinen, die Zukunft ist gesichert.
Frage: Was bleibt langfristig von diesem Festival?
Antwort: Die Erfahrung zeigt, dass sich viele der in Donaueschingen erstmals präsentierten Ideen langfristig im allgemeinen Musikleben durchsetzen. Viele etablierte Künstler haben hier ihren Beginn. Einige scheitern auch. Aber Scheitern ist Bestandteil jedes musikalischen Prozesses. Kreativität ohne Mut zum Risiko und ohne Scheitern gibt es nicht.