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Stockhausen, Biber und Beethoven in der Feuerwache. Foto: Alte Oper Frankfurt, Norbert Miguletz
Stockhausen, Biber und Beethoven in der Feuerwache. Foto: Alte Oper Frankfurt, Norbert Miguletz
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«One Day in Life»: Libeskind-Projekt an 18 Spielstätten mit mehr als 75 Konzerten

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Frankfurt/Main - Eine Boxschule, ein Wolkenkratzer, ein Operationssaal oder ein Schwimmbad: Daniel Libeskind hat sich für ein Konzert-Spektakel in Frankfurt ungewöhnliche Schauplätze ausgesucht. An diesem Wochenende (21./22.5.) verwandelt der weltbekannte Architekt die Bankenmetropole in ein ganz besonderes Musiklabor. An 18 Orten werden rund 200 Musiker während 24 Stunden fast rund um die Uhr aufspielen.

Die Werke reichen von Händel bis Stockhausen. «One Day in Life» heißt das Unternehmen. Die Idee dazu hatte Stephan Pauly, der Intendant der Frankfurter Alten Oper. Das Großprojekt passt ganz zu Libeskind, der mit seinen kühnen Visionen und expressiven Bauten schon viele Menschen begeistert - und manchen Bauherren in Verlegenheit gebracht hat. In Berlin hat der aus Polen stammende Amerikaner, der am 12. Mai 70 Jahre alt wurde, das Jüdische Museum entworfen. Für seine Heimatstadt New York hat der frühere Berufsmusiker den Masterplan für das wiederrichtete World Trade Center geliefert.

In Frankfurt sollen die Besucher mit Hilfe der Musik zugleich den Großstadt-Organismus erspüren - als Speicher des gelebten und ungelebten Lebens. «Ich habe versucht, den Geist dieser Stadt einfangen», sagt Libeskind, dem besonders die Dynamik Frankfurts gefällt. Jedem Ort hat er eine «Grunddimension» des menschlichen Daseins zugeordnet. In einer fahrenden Straßenbahn geht es um Bewegung. Im Konzert in einem Hochbunker, wo einst eine Synagoge stand, um Erinnerung. Die Musik wird dann jeweils in Beziehung zum Ort gesetzt.

An einigen der 18 «Locations» sind Parallelen naheliegend: In einer Großküche erklingt Georg Philipp Telemanns Tafelmusik, wird aber mit moderner Musik kontrapunktiert. Für andere Orte wählte Libeskind originelle Stücke. Bei der Feuerwehr Karlheinz Stockhausens «Gesang der Jünglinge im Feuerofen» zu hören, im OP-Saal wird Marin Marais' «Darstellung einer Blasenoperation für Viola da Gamba und Stimme» dargeboten.

Die 75 Aufführungen beginnen am Samstag von 16 Uhr und gehen bis Mitternacht - am Tag darauf endet das Spektakel um 18 Uhr. Aufführungen werden dabei wiederholt. Besucher, so will es die Alte Oper, müssen mindestens drei Konzerte für insgesamt 39 Euro besuchen. In Frankfurt, einer Stadt der kurzen Wege, geht das oft auch zu Fuß. 61 Konzerte sind bereits ausverkauft. Insgesamt sind 13 000 Karten bereits abgesetzt, wie die Alte Oper am Mittwoch berichtete.

Am schnellsten weg waren übrigens die Straßenbahnfahrten, die unter anderem von Solisten an Trompete und Akkordeon begleitet werden. Libeskind, der auch Musik studiert und Preise gewonnen hat, galt in seiner polnischen Heimat als Wunderkind am Akkordeon.

Auch in der Nacht zum Sonntag geht es weiter: Nach dem letzten Livekonzert kann man per Livestream im Internet Werke von Eric Satie hören. Und wer keine Karte mehr für die mitternächtliche Wassermusik von Georg Friedrich Händel im Rebstockbad bekommen hat, kann sich danach bis drei Uhr morgens in den Becken tummeln.

Ein anderer Ort kann ebenfalls kostenlos besucht werden. Es ist die letzte Wohnstätte des Juden-Retters Oskar Schindler, dem der Jude Libeskind bewusst in seinem Projekt ein Denkmal setzt. Schindler, dessen Großtaten währen der Nazi-Zeit erst 1993 durch den Hollywood-Film von Steven Spielberg berühmt wurden, lebte bis zu seinem Tod 1974 verarmt in einem kleinen Apartment am Frankfurter Hauptbahnhof. Am Eingang zum Haus kann dort jeder über einen QR-Code per Smartphone Gedichte von Paul Celan hören, begleitet von einem Streichertrio mit der Musik von Anton Webern. Es geht um die Grausamkeiten der Shoah.