München - Der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann hat keine Angst vor "schönen" Stellen in seinen Werken. "Konsonanz und Dissonanz, Harmonie und Disharmonie bedingen einander. Für mich beginnt etwas spannend zu werden, wenn es sich reibt", sagte Widmann der Nachrichtenagentur dapd. In seiner neuen Oper "Babylon" gebe es die "grässlichsten Reibeklänge, die einem durch Mark und Bein gehen". Es gebe aber auch "erschreckend schöne Stellen, Ruhepole, völlig tonal."
Diese tonalen Momente wirkten im Kontext oft viel schlimmer als die atonalen: "Wenn sich so etwas zwei, dreimal ereignet, merkt man: Das eine ist nicht nur hässlich und das andere nicht nur schön."
Der in München geborene Widmann zählt zu den bedeutendsten und erfolgreichsten Komponisten unserer Zeit. Die Oper "Babylon" mit dem Philosophen Peter Sloterdijk als Librettisten und Stardirigent Kent Nagano am Pult des Bayerischen Staatsorchesters ist seine dritte Musiktheaterkomposition. Inszeniert wird das mit Spannung erwartete Bühnenspektakel von dem Regisseur Carlus Padrissa von der katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus. Mit der Uraufführung von "Babylon" eröffnet die Bayerische Staatsoper am 27. Oktober offiziell die neue Spielzeit.
Widmann wird zuweilen vorgeworfen, er biedere sich zu sehr an den Publikumsgeschmack an und komponiere zu "verbindlich". Diesen Vorwurf weist der 39 Jahre alte Tonkünstler, der unter anderem bei Hans Werner Henze und Wolfgang Rihm das Komponistenhandwerk lernte, zurück. Natürlich hätten alle, die künstlerisch tätig seien, den Wunsch, ihr Publikum zu erreichen. "Dieser Weg kann manchmal schwierig oder versperrt sein, aber danach kann ich nicht fragen. Ich kann nur das schreiben, an was ich glaube."
Partitur der Oper "Babylon" umfasst 600 Seiten
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei der radikale Bruch mit der Vergangenheit, auch in der Musik, "absolut notwendig" gewesen. Diese Auseinandersetzung hätten Avantgarde-Musikfestivals wie in Donaueschingen oder Darmstadt übernommen. Jetzt müsse allerdings der nächste Schritt kommen. "Mir persönlich war es immer wichtig, Klassisches mit neuen Sachen zu verbinden. Ich liebe die Musik der Vergangenheit, nicht zuletzt als Solist."
Widmann neue Oper ist in zweijähriger Arbeit entstanden. Die Partitur umfasst 600 Seiten. "Dort, wo eine Seite nicht reicht, wie bei der Sintflutszene, arbeite ich mit mehreren Seiten. Die sind teilweise bis zu zwei Meter hoch. Naganos Dirigentenpult musste extra dafür umgebaut werden." Die Zusammenarbeit mit Sloterdijk nennt Widmann "glückhaft". "Da, wo wir einen Dissens hatten, haben wir dem jeweils anderen am Ende gedankt, dass er hartnäckig geblieben ist."
Die Premiere wird am 27. Oktober um 19:00 live auf BR-Klassik übertragen