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Gatti, Chefdirigent der Staatskapelle Dresden

Daniele Gatti, Chefdirigent der Staatskapelle Dresden

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Orchester auf der Suche nach jungem und neuem Publikum

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Klassische Konzerte in Szenekneipen oder für Demenzkranke: Die großen sächsischen Orchester suchen schon länger nach neuem Publikum. Denn auch im Konzertbetrieb ist die demografische Entwicklung unübersehbar. «Silberrücken» und ältere Damen dominieren im Saal. Die Jugend scheut oftmals den Gang in die ehrwürdigen Musentempel, selbst wenn die Orchester mit preisgünstigen Tickets locken.

Anfangs konzentrierten sich die Bemühungen auf Kinder - so nach dem Motto: «Für große Kunst ist keiner zu klein». Die Sächsische Staatskapelle Dresden legte schon vor 20 Jahren die «Kapelle für Kids» auf. Die Dresdner Philharmonie schickte «Otto, den Ohrwurm» auf die Bühne, das Gewandhausorchester warb mit «Zwergenkonzerten». Die Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie hat sogar Konzerte für Babys und ihre Eltern im Angebot.

Julius Rönnebeck, Hornist der Staatskapelle und Initiator sowie Moderator der «Kapelle für Kids», sagt: «Wir müssen Angebote für das Publikum von heute schaffen, dazu gehört jede Altersgruppe.» Ob diese Leute später einmal ein Abonnement hätten, sei zweitrangig. Es gehe darum, die Leute in ihrer jetzigen Lebenswelt anzurühren und ihnen im besten Fall Schlüsselmomente zu verschaffen.

Das Publikum als Partner verstehen

«Orchester brauchen Publikum und unser Publikum braucht uns», sagt Frauke Roth, Intendantin der Dresdner Philharmonie. Die Kunst entstehe im Moment der Begegnung zwischen den Musikern auf der Bühne und dem Publikum im Saal. Auch junge Leute würden im Konzert zu Beteiligten, zu Partnern. «Ein Live-Erlebnis berührt jeden, wenn das Orchester für sein Publikum alles gibt und im Publikum eine kollektive Aura alle verbindet und greifbar wird.»

«Diese Flamme für die Musik in jungen Menschen zu entfachen, ist eine Hauptaufgabe. Dafür setzen wir alles ein, was wir zur Verfügung haben», betont Roth und nennt dabei den erstklassigen Konzertsaal der Philharmonie genauso wie die Qualität der 116 Frauen und Männer im Orchester, zeitgemäße Konzertformate, attraktive Werke in Sonderkonzerten und nicht zuletzt die «digitalen Brücken, über die Menschen zu uns finden».

Musiker ohne Frack und das Publikum eifrig am Handy

Unlängst war es bei der Philharmonie wieder so weit. Das städtische Orchester lud zu «abgeFRACKt». Bei dem einstündigen Konzert mit Hits der Klassik sitzen die Musikerinnen und Musiker nicht in ihrer normalen Konzertkleidung auf der Bühne, sondern im Freizeitlook. Das Handy sollte ausdrücklich angeschaltet bleiben, denn über die «Wolfgang»-App waren Informationen über die Stücke zu haben. Im Anschluss konnte das Publikum im Foyer bei einem Drink entspannen.

Klassische Konzerte sind kein Auslaufmodell

Annekatrin Fojuth, Orchesterdirektorin der Staatskapelle Dresden, spricht von einem ganz bewussten Bekenntnis zum Format Konzert. «Ich glaube nicht, dass es ausstirbt und ein Auslaufmodell ist. Nach den Corona-Jahren spielen die Berufsorchester in Deutschland so viele Konzerte wie nie zuvor.» In der Pandemie habe es die Befürchtung gegeben, der digitale Konsum von Musik werde Livekonzerte verdrängen. Das habe sich aber in keiner Weise bestätigt.

Mitunter verlässt die Staatskapelle als «Kapelle für alle Fälle» ihre angestammte Spielstätte und trifft das Publikum zum «Auswärtsspiel». Bei «Ohne Frack auf Tour» etwa wird in kleinen Besetzungen in Kneipen des Dresdner Szeneviertels Neustadt musiziert. Unlängst wurde bei einem Konzert in der Reihe «Pur» mit Chefdirigent Daniele Gatti zwischen den Stücken geplaudert, Rönnebeck blies auf einem Horn, das er aus einem Gartenschlauch gefertigt hatte.

Nach dem Konzert noch einen Drink nehmen

Die neueste Kreation aus dem Hause Staatskapelle heißt «Concert Lounge» und soll im Juni Premiere haben. Orchesterdirektorin Fojuth schwebt ein entspanntes Zusammenkommen im Anschluss an ein Konzert vor. Im Foyer der Semperoper soll der Abend locker ausklingen und das Publikum mit den Musikern, dem Dirigenten oder Solisten ins Gespräch kommen können. Beim Leipziger Gewandhausorchester heißt das Format «Nachklang».

«Der Dialog mit unserem Publikum - insbesondere mit jungen Menschen und neuen Zielgruppen - hat für uns einen sehr hohen Stellenwert und prägt unsere Arbeit seit vielen Jahren», sagt auch Theresa Schulz von der Chemnitzer Robert-Schumann-Philharmonie. Das Spektrum reicht demnach von Familienkonzerten über Kinder- und Jugendkonzerte bis hin zur «Rhapsody in School», wo Solisten in Schulen gehen und dort über ihren Beruf und Musik sprechen.

Konzerte für Demenzkranke in Chemnitz geplant

In dieser Spielzeit wurde erstmals in Chemnitz das Projekt «Come Together» aufgelegt - ein spartenübergreifendes Format, das Menschen aus verschiedenen Schichten zusammenbringen soll. Für die kommende Saison sind Konzerte für Demenzkranke und ihre Angehörigen sowie genreübergreifende Programme an ungewöhnlichen Orten geplant, bei denen neben Klassik etwa auch elektronische Musik oder Rap eine Rolle spielen sollen.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Gewandhausorchester in Leipzig ab der kommenden Spielzeit mit der Reihe «ConFusion». «Dabei werden klassische Ensemble- und Orchestermusik kombiniert mit Elementen aus Pop, DJing und Poetry Slam», berichtet Orchestersprecher Dirk Steiner. Bei «Break the Sound» verlassen die Musiker das Gewandhaus und gehen zu einem Workshop in das Stadtteilzentrum von Leipzig-Grünau, um dort mit Jugendlichen zu arbeiten.

Einen festen Dresscode für Klassik-Konzerte gibt es nicht mehr

Annekatrin Fojuth will nicht spekulieren, wie ein klassisches Konzert in 20 Jahren abläuft. Das Ritual, sich kontemplativ auf Musik zu konzentrieren, werde erhalten bleiben. Doch die Rahmenbedingungen dürften sich entspannen. «Ich finde es unerheblich, in welcher Kleidung jemand im Konzert sitzt.» Schon heute gebe es keinen festen Dresscode mehr. «Vielleicht findet es die junge Generation 2050 aber auch wieder chic, im Abendkleid ins Konzert zu gehen.»