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Pianoklänge in der Holzhütte - Der Berliner Musikmarathon des Künstlers Marino Formenti

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Berlin - Der Künstler ist pünktlich. Exakt um elf Uhr beginnt Pianist Marino Formenti an diesem Montagvormittag seinen Auftritt am Flügel, der erst zwölf Stunden später enden wird - drei Wochen am Stück soll das so gehen. Damit nicht genug: Marino lebt und spielt in einer Holzhütte vor dem Haus der Berliner Festspiele. Die Aktion ist Teil des Internationalen Festivals für Theater und performative Künste, das bis zum 26. Oktober dauert. Marinos Formentis Performance wird am 20. Oktober beendet. Sie trägt den Titel "Nowhere", Nirgendwo.

 

"In dieser Zeit wird er nicht sprechen", sagte Marie Giese vom Festspielhaus. "Auch mit uns kommuniziert er nur per Anweisungen auf Zetteln." Die junge Frau assistiert dem Künstler mit drei weiteren Kolleginnen. Während des täglichen Marathons bekommt Marino Formenti jeweils zwei Mahlzeiten serviert. Getränke werden bereitgestellt. Zuschauer werden zu Stille angehalten.

Dass die Performance mit Klavier in einem Holzhaus abgehalten wird, ist eigentlich Zufall, schildert Giese die Vorgeschichte. An dieser Stelle kommt der japanische Architekt Kyohei Sakaguchi ins Spiel. Dieser wollte eigentlich nur eine kleine Holzlaube im Festspielhaus selbst aufstellen, die er konstruiert hatte. Das Häuslein entstand dann auch, bekam aber einen bewohnbaren Zwilling für Formenti im Park an der Schaperstraße vor dem Bühnenhaus.

76 Quadratmeter Konzerthaus
Herausgekommen ist ein reiner Zweckbau mit 76 Metern Grundfläche, wie ein Techniker verkündet. Alte unbehandelte Holzbretter und schrundige Fenster aus Abrisshäuser unterstreichen das Provisorium. Es ist um einen Baum gebaut, der wie die natürliche Fortsetzung des Materials aus dem Dach ragt. Zwei Türen - ebenfalls aus Holz - gewähren Einlass. Der Raum ist ganz auf die Performance zugeschnitten: der schwarzlackierte Flügel bildet den Blickfang. Daneben und an den Zimmerwänden liegen Decken und Matratzen, auf denen sich Besucher niederlassen können. "Es geht gemütlich und frei zu", umreißt Sprecherin Giese die Philosophie.

Nur ein winziges Seitenzimmer gewährt Marino Formenti Privatheit. Dort ruht er in der Nacht auf einem schlichten Bett unter blau-weiß gestreiften Laken aus. In einem kleinen Regal sind die Habseligkeiten verstaut - vor dem Fenster ein holzummanteltes Toilettenhäuschen mit Abzug.

Zuhören statt Zugucken

Im einzigen Interview, das er dem Festspielhaus vor Beginn gab, sagte der Pianist über "Nowhere": "Ich habe mich nach einem Lebensraum gesehnt, der nur aus Musik besteht, wo ich zugleich leben und Musiker sein darf, wo ich die Zeit durch die Musik anders erfahren kann, und die Musik durch die Zeit." Die Zuschauer könnten bleiben so lange sie wollen. Allerdings gehe es ihm nicht um sogenannte Hör-mir-zu-Konzerte, die gefällige Musik lieferten. Auch solle nicht der Pianist als Vortragender bewundert werden. Vielmehr sollten sich die Hörer mit der besonderen Situation Gedanken über das Gehörte machen. Dafür habe er ausdrücklich "Musik zum Verschwinden" ausgesucht, Musik die einen gewissen Raum und etwas Zeit lasse, komponiert unter anderen von John Cage, Thomas Tallis und Morton Feldman. Deren Namen und Stücke übrigens werden von Marino Formenti nach jedem Part an die Holzwand geschrieben.

Tatsächlich breitet sich im Holzhaus meditative Stille aus. Statt Harmonien ertönen sphärische Klangfolgen, nur dann und wann werden Akkorde angeschlagen. Die Gäste erleben einen entschleunigten Ort im Großstadtdschungel. Geräusche und Bilder von draußen verschwinden hinter einem Schleier aus Klang. Auch Formenti genießt die Atmosphäre, räumt aber ein: "Es wäre schön, immer im ,Nowhere' zu leben, es ist wirklich schmerzhaft zurückzukommen." "Nirgendwo" könne aber nur existieren, weil es ein "Wo" gebe. Denn: "Eine Welt ohne Freunde, ohne Partner, ohne Gespräche wäre doch schrecklich."
 

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