Dresden - Ihre «Hochhaussinfonie» machte 2006 in Dresden Furore. Damals sang die britische Popgruppe Pet Shop Boys in der City vom Dach eines Plattenbaus und die Dresdner Sinfoniker spielten auf Balkonen dazu - nun steigen die Orchestermusiker selbst auf Hochhäuser.
Wie von Berg zu Berg: Die Dresdner Sinfoniker machen das Plattenbauviertel Prohlis im Osten der sächsischen Landeshauptstadt am Samstag (12. September) zum Konzerthaus unter freiem Himmel. Dabei spielen einige Musiker auf den Hochhausdächern, mit Gurten gesichert. «Wir haben 16 Industriekletterer, die sie und ihre Instrumente sichern», sagte Intendant Markus Rindt der Deutschen Presse-Agentur. Vier Alphorn-Quartette auf je 17-Geschossern, drei Trompetentrios und ein Tuba-Quartett auf einem Zehngeschosser sowie vier chinesische Dà G?-Trommeln auf dem Einkaufszentrum mittendrin sollen das Wohnquartier mit Klang füllen.
«Die Stücke, die wir spielen, werden sehr unterschiedlich klingen, je nachdem, wo man sich befindet», sagte Rindt. Das Publikum kann auf dem Parkdeck des Prohlis-Centers Platz nehmen oder in den Straßen des Neubauviertels wandeln. Dabei wird auch das eigens für das Projekt geschriebene Werk «Himmel über Prohlis» des Komponisten Markus Lehmann-Horn uraufgeführt. Das Konzert beginnt laut Rindt allerdings populär - mit der Eröffnungsfanfare der Olympischen Sommerspiele 1984 in Los Angeles.
Im ersten Teil spielen die Blechbläser, räumlich verteilt, die Echochöre des Venezianers Giovanni Gabrieli (1557-1612), aus der Entfernung - wie dieser es vor über 400 Jahren für den Markusdom komponierte. «Anders als damals schwebt die Musik hier von Haus zu Haus und aus vielen Richtungen zusammen», schwärmte Rindt. Danach beginnen auf den Dächern die Alphörner mit ruhigen Rufzeichen die Uraufführung, die dann im Finale des Abends mit den Klängen von «Freude schöner Götterfunken» aus Beethovens 9. Sinfonie endet.
Die Sinfoniker wollen die engen Grenzen des klassischen Konzertsaals sprengen und Menschen zusammenbringen, sagte Rindt. «Wir wollen auch Menschen erreichen, die es sich nicht leisten können, ins Konzert zu gehen, oder bisher keinen Zugang dazu haben.» Bereits am Vormittag spielen deshalb 33 Orchestermitglieder in kleineren Gruppen in den Innenhöfen des Wohnviertels, um Appetit zu machen auf das kostenlose Konzert in luftiger Höhe von fast 50 Metern.
Die Musik dieses Konzerts, das ein Videoteam dokumentiert, nutzt laut Rindt die räumliche Distanz. Zwischen den Musikern werden mehrere hundert Meter liegen. Grundmotiv sei die Verständigung zwischen Instrumentengruppen: «Genau hierfür steht auch das Alphorn: das Wechselspiel über weite Entfernungen im Gebirge.» Dabei ist die Hochhaus-Bühne den Sinfonikern nicht ganz neu: 2006 führten sie mit den Pet Shop Boys eine «Hochhaussinfonie» in der City auf. Das britische Pop-Duo stand auf dem Dach eines 240 Meter langen Plattenbaus, die Musiker saßen auf Balkonen darunter.
Rindt hatte das Orchester 1998 zusammen mit Komponist Sven Helbig gegründet. Es setzt sich aus Künstlern der Freien Szene und Musikern namhafter Orchester aus dem In- und Ausland zusammen. Oft ging es bei den Projekten auch um politische Themen. 2013 führten die Sinfoniker mit arabischen Kollegen im Westjordanland die «Symphony for Palestine» auf, 2017 protestierten sie an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gegen die von US-Präsident Donald Trump geplante Mauer.