Hauptrubrik
Banner Full-Size

Potsdam: Gefeierte «Turm»-Premiere am Hans Otto Theater

Publikationsdatum
Body

Potsdam - Den Besuchern des Hans Otto Theaters in Potsdam bot sich am Samstagabend nach der Vorstellung eine magische Szenerie: Dicker Nebel stand über der Havel, nur matt schimmerten Lichter, es herrschte Stille. Die Grenze zwischen drinnen und draußen schien aufgehoben, denn bereits zuvor hatten die Zuschauer drei Stunden lang eine verwunschene Bühnenwelt voller Nebelbilder erlebt. Hausherr Tobias Wellemeyer schuf sie für seine Inszenierung des «Turms» nach Uwe Tellkamps Erfolgsroman.

Es ist die mittlerweile dritte Bühnenversion der Saga über Bildungsbürger und ihre Nischen im Dresdner Villenviertel «Weißer Hirsch» in der untergehenden DDR: Die Uraufführung des Stoffes am Staatsschauspiel Dresden erfolgte Ende September. Die «West-Premiere» ging am 20. November am Hessischen Staatstheater Wiesbaden über die Bühne.

Die Aufführungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Bereits in puncto Ausstattung. Während in Dresden neun Betonbalkone bespielt werden, entschied sich Wiesbaden für ein versunkenes Atlantis, als das Tellkamp die verwunschene Welt der «Türmer» beschreibt.

In Potsdam treibt Bühnenbildner Alexander Wolf die Reduktion auf die Spitze. Statt bröckelnder Villen steht ein kahles Wäldchen da, das sogar ohne Äste auskommen muss. Dafür gibt es reichlich Nebel. Es ist, als habe sich das Theater in Zeiten des 3D-Kinos neu erfunden. Verschiedene Varianten aus Nebel ersetzen herkömmliche Bühnen-Bilder. Mal ist es nur eine stehende Wolke, mal ein ganzer Vorhang, manchmal ist es ein rauchender Schauspieler. Als der Held des Romans, Tellkamps Alter Ego Christian Hoffmann, eine Fahrprüfung mit dem Panzer verpatzt, ist es die Elbe bei Torgau, die aus nichts als Nebel besteht.

Intellektueller voller Sturm und Drang
Hoffmann wird von Holger Bülow gespielt. Sein Christian ist nicht als verhuschter Bücherwurm angelegt, sondern als junger Intellektueller voller Sturm und Drang. Das verleiht der sowieso schon lebendigen Inszenierung eine fulminante Frische. Christians guter Geist ist Onkel Meno. Obwohl der Lektor und Schmetterlingssammler im Roman die Atmosphäre trägt und beschreibt und eigentlich selbst so etwas wie das versponnene Villenviertel Weißer Hirsch ist, haben die Dresdner und die Wiesbadener Theaterleute seinen Part vergleichsweise stiefmütterlich behandelt. Erst in Potsdam wird er der dramaturgischen Bedeutung gerecht. Schauspieler Christian Hohmann verkörpert ihn als Irrwisch, der zwischen seinem Verlagsalltag in der sozialistischen Gegenwart und dem Zuhause auf dem Weißen Hirsch im Gestern zerrieben ist. Mit Mantel und Hut stolpert er durch die Welt, spuckt seine Worte heraus, weil er vor lauter Enge kaum noch atmen kann und versucht vergeblich, seinen Lieblingsneffen Christian vor dem zu bewahren, was ihm einst selbst widerfahren ist: zu scheitern.

Wo der Hoffmann junior aus Unerfahrenheit sich und sein Umfeld in Schwierigkeiten bringt und somit der Staatsmacht Vorwände zum Eingreifen liefert, zerstört sich Hoffmann senior, der Arzt, selbst. Jon-Kaare Koppe sieht nicht nur aus wie Tellkamp, sondern spricht auch ein gepflegtes Kulturdresdnerisch. Seine Darstellung ist durchweg fesselnd, wie die aller Hauptrollen. Die stärkste Frau im Buch und auf der Bühne ist Anne, welche mit Marianna Linden eine exzellente Besetzung erfährt.

Tosender Applaus
Am Ende lichtet sich der Nebel. Anne hat sich von ihrem fremdgehenden Mann emanzipiert, Christian von seinen Armeevorgesetzten. Die Bürger von ihrem Staat. Es ist Herbst 1989. Wolfgang Engel hat am Staatsschauspiel Dresden an dieser Stelle das Licht ausgemacht. Sein Team und die Dresdner waren selbst damals Teil der Umwälzungen. In Wiesbaden versackte die Situation, weil die friedlichen Revolution schwer darstellbar ist. In Potsdam wird es lichter. Anne geht mit hellem Mantel und grellem Blut auf dem Gesicht durch die Polizeiketten.

Das Potsdamer und Berliner Publikum feierte die Aufführung mit tosendem Applaus - nach Sekunden der Stille. Für Bülow standen vereinzelt Zuschauer zu stehenden Ovationen auf. Selbst Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hielt es kaum auf dem Sitz. Kommendes Jahr wird «Der Turm» verfilmt. Produzent Nico Hofmann sollte vorher ins Hans Otto Theater gehen. Ein Büro in Potsdam hat er.


 

Ort