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Hamburg - Ein kleines bisschen Fußball musste es dann doch sein: Als die Tänzer des Bundesjugendballetts zu Beginn die «Petruschka-Variationen» zur Musik von Igor Strawinsky präsentieren, stürmen plötzlich vier Tänzer in den Trikots der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf die Bühne. «Wie Sie sehen, ist das Hamburg Ballett nicht so gegen Fußball, wie man denken könnte», begrüßte Ballett-Intendant John Neumeier am Sonntagabend die «Hardcore-Fans» in der ausverkauften Hamburger Staatsoper.
Auch wenn sich die Reihen nach der zweiten Pause der «Nijinsky»-Gala ein wenig lichteten, ließen sich Fans aus aller Welt diesen krönenden Abschluss der 40. Hamburger Ballett-Tage trotz des WM-Endspiels nicht entgehen.
Unter dem Titel «Russland - Musik, Thema, Text und Tänzer» zeigte das Hamburg Ballett Ausschnitte aus 14 Balletten, die alle etwas mit Russland zu tun haben. «Russland bedeutet für mich in erster Linie seine Geschichte, seine Kultur, seine Künstler», sagte Neumeier, der wie immer eloquent und mit persönlichen Anmerkungen durch den fünfeinhalbstündigen Abend führte. Es begann mit den Meisterwerken des klassischen Balletts, die Marius Petipa Ende des 19. Jahrhunderts kreierte: «Dornröschen» und «Der Nussknacker» mit Musik von Peter Tschaikowsky. Carolina Agüero und Alexandr Trusch sowie Leslie Heylmann und Carsten Jung boten Spitzentanz in Vollendung. Silvia Azzoni und Alexandre Riabko glänzten im Klassiker des modernen Handlungsballetts «Onegin» von John Cranko (1965).
Einen besonderen Höhepunkt konnten die Zuschauer im zweiten Teil des Abends erleben: Drei Paare aus verschiedenen Compagnien interpretierten John Neumeiers 1978 geschaffenes Ballett «Die Kameliendame» zu der betörenden Klaviermusik von Frédéric Chopin. Im 1. Akt verlieben sich die Pariser Kurtisane Marguerite (Polina Semionova/American Ballet Theatre) und der junge Adelige Armand (Matej Urban/Bayerisches Staatsballett), im 2. Akt feiern Marguerite (Olga Smirnova) und Armand (Artem Ovcharenko) ihre Liebe auf dem Land, bevor der Vater von Armand (Andrej Merkuriev/alle Bolschoi-Ballett) alle Hoffnungen zunichtemacht. Im 3. Akt geben sich Marguerite (Anna Laudere) und Armand (Edvin Revazov/beide Hamburg Ballett) ein letztes Mal ihrer leidenschaftlichen Liebe hin.
Der dritte Teil des Abends war zwei Meisterwerken von John Neumeier gewidmet: Hélène Bouchet und Thiago Bordin, der sich vom Hamburg Ballett verabschiedete, überzeugten als Nina und Kostja in «Die Möwe» (2002) nach Anton Tschechow, Musik: Dmitri Schostakowitsch. Alexandre Riabko und Anna Polikarpova, die demnächst als Ballettmeisterin arbeiten wird, glänzten als Vaslaw und seine Frau Romola in «Nijinsky» (2000), Musik ebenfalls von Dmitri Schostakowitsch.
Eine wahnsinnige Sprungkraft und absolute Perfektion zeigten Yonah Acosta und Alina Cojocaru (beide English National Ballet) als Conrad und Médora in dem Klassiker «Le Corsaire» von Marius Petipa, auch wenn Yonah Acosta seinen Einsatz verpasste. Hamburgs Erster Solist Lloyd Riggins präsentierte eine Kostprobe seiner Ausnahmekunst in dem Solo «Andante cantabile» von Peter Tschaikowsky (Choreographie: Patrick Eberts). Zum Abschluss gab es dann noch mal Klassik pur mit dem Pas de deux Diamanten aus «Jewels» von George Balanchine, getanzt von Olga Smirnova und Semyon Chudin vom Bolschoi Ballet, bevor sich Anna Polikarpova und Carsten Jung zusammen mit dem Ensemble und «Klein Russland» von John Neumeier verabschiedeten.
Carola Große-Wilde