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Blick auf Salzbrug. Foto: Hufner
Corona zum Trotz: Volles Programm bei den Salzburger Festspielen. Foto: Hufner
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Salzburger Bilanz: Abseits der Kulinarik

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Salzburg - Markus Hinterhäusers erste Saison als Intendant der Salzburger Festspiele war von hohen Erwartungen begleitet. Er bot ein spannungsgeladenes Programm, wobei Oper und Konzert mehr überzeugten als das Schauspiel.

Ein Herr schaut noch einmal auf sein Handy, kurz vor Beginn der Premiere von Frank Wedekinds «Lulu» auf der Perner-Insel in Hallein, der Off-Spielstätte der Salzburger Festspiele. «Anschlag in Barcelona», liest er seiner Begleiterin vor. «Es soll viele Tote gegeben haben.» Dann muss das Mobiltelefon ausgeschaltet werden. Schließlich gilt's nun der Kunst.

Die dramatische Wirklichkeit, sie war bei diesen denkwürdigen Festspielen immer präsent. Schon der fast unisono als Ereignis gefeierte Auftakt des Opernprogramms mit Wolfgang Amadeus Mozarts «Titus», inszeniert von Peter Sellars, dirigiert von Teodor Currentzis, war ein markantes, politisches Statement mit mehrheitlich farbigen Sängerinnen und Sängern und Blick in eine terroristische Bombenwerkstatt.

So ging es weiter. Das Bühnenbild der von Andreas Kriegenburgs etwas überinszenierten Schostakowitsch-Oper «Lady Macbeth von Mzensk» erinnerte an die kriegsversehrten Städte in Putins «Neu-Russland» und der große, südafrikanische Multikünstler William Kentridge führte das Publikum in Alban Bergs «Wozzeck» direkt auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts mit Nachwirkungen bis heute.

Die iranische Regisseurin Shirin Neshat holte in ihrer sehr statischen Inszenierung von Giuseppe Verdis «Aida» sogar eine leibhaftige Gruppe von Flüchtlingen auf die Bühne, wenn auch als Videoeinspielung. Schließlich ist die Titelfigur, hier erstmals und überzeugend interpretiert von Anna Netrebko, eine äthiopische Sklavin am ägyptischen Pharaonenhof.

Den fulminanten Abschluss des Opernreigens bildete William Shakespeares «Lear» in der 1978 uraufgeführten Opernversion von Aribert Reimann. Ein Stück, das tief hinabführt in die blutrünstigen Abgründe der menschlichen Natur, ohne Hoffnung auf Erlösung. Regisseur Simon Stone legte gnadenlos den Nerv dieser Jahrtausendtragödie frei.

Ein klug zusammengestelltes Programm, abseits jener recht unbeschwerten Kulinarik, die in Salzburg in den vergangenen Jahren unter Alexander Pereira und dessen Interimsnachfolger Sven-Eric Bechtolf eingezogen war. «Strategien der Macht» lautete das Motto, das sich Markus Hinterhäuser für seine mit hohen Erwartungen befrachtete erste Saison als regulärer Intendant der Festspiele ausgedacht hatte. Es zog sich auch durch das von der neuen Salzburger Theaterdirektorin Bettina Hering komponierte Schauspielprogramm, das insgesamt weniger überzeugte als das Musiktheater.

Ein von Regisseur Michael Sturminger arg gekürzter und entzauberter «Jedermann» mit einer Buhlschaft ohne Sexappeal (Stefanie Reinsperger) bildete den Auftakt, zu dem die Kritik mehrheitlich den Daumen senkte, gefolgt von Andrea Breths braver «Geburtstagsfeier» (Harold Pinter) und Athina Rachel Tsangaris bizarrer «Lulu».

Gerhart Hauptmanns «Rose Bernd», inszeniert von Karin Henkel, muss eindeutig auf der Habenseite verbucht werden, was vor allem der großartigen, überaus authentischen Lina Beckmann in der Titelrolle zu verdanken war. Über ein als «partizipativ» annonciertes Theaterprojekt des New Yorker Regieduos 600 Highwaymen, die sich Ödön von Horvaths «Kasimir und Karoline» vorgenommen hatten, mochten viele Kritiker lieber den Mantel des Schweigens decken.

Auch der Pianist Igor Levit, Star des diesjährigen Konzertprogramms, ist ein überaus politischer Kopf. Bei den Londoner «Proms» spielte er unlängst als Zugabe eine Transkription der «Ode an die Freude» aus Ludwig van Beethovens Neunter Symphonie, bekanntlich die Europahymne. Die Botschaft wurde verstanden. In Salzburg brillierte Levit unter anderem mit Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen, ein dreistündiger Klaviermarathon, der Publikum und Kritik in Ekstase versetzte.

Ausnahmepianisten wie Levit oder Daniil Trifonov, der hymnisch gefeierte griechische Wunderdirigent Currentzis und sein Kollege Vladimir Jurowski, Dirigent des Salzburger «Wozzeck», stehen nicht nur für höchste Qualität und Inspiration, sondern für einen Generationswechsel. Wobei die großen Alten wie Aida-Dirigent Riccardo Muti, der Pianist Maurizio Pollini und Maestro Herbert Blomstedt, der gerade seinen 90. Geburtstag feierte, (glücklicherweise) noch nicht abgedankt haben.

Es gab übrigens in diesem noch bis Ende August dauernden Veranstaltungsreigen nicht nur schwere Kost mit Depressionspotential. Es durfte auch gelacht werden. Als bei einem Kammermusikabend der jungen, wilden Geigerin Vilde Frang eine Violinsaite riss, kam echte Festivalstimmung auf. Unter Gelächter holte der Umblätterer des Pianisten noch rasch zwei Fläschchen Sprudelwasser. Dann stürzten sich die grandiosen Musiker wieder in die Kammermusikfassung von Schostakowitschs letzter Symphonie, deren düstere Klänge einmal mehr an die Pforten des Todes führte.

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