Karlsruhe - Die bekannte Geschichte vom fast unverwundbaren Drachentöter Siegfried kommt am Samstag (19. November, 19.30 Uhr) in einer neuen Form auf die Bühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe: nicht als Oper oder Schauspiel, sondern als Ballett-Aufführung. Siegfried getanzt - geht das überhaupt? Choreograf Peter Breuer vom Landestheater Salzburg und Librettist Andreas Geier sind sich einig: Das Fehlen von Text im Ballett stört überhaupt nicht.
"Durch die Körpersprache im Tanz werden Emotionen viel unmittelbarer erfahrbar", sagt Geier überzeugt. "Siegfried" ist die dritte Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Choreografen Breuer. "Der Stoff hat uns gereizt, weil jeder meint, ihn zu kennen", erzählt Geier. "Tatsächlich kennt man hauptsächlich den Opernzyklus von Richard Wagner und die Highlights Alberich, Drache, Siegfried."
Ballett erzählt Siegfrieds Geschichte aus Kriemhilds Sicht
Geier ging für das Ballett-Libretto zurück zu den Ursprüngen der Geschichte, zum mittelalterlichen Nibelungenlied. Dabei stellte er fest: "Eigentlich handelt das Nibelungenlied von einer Frau, von Kriemhild." Deshalb erzählen er und Andreas Geier die Geschichte aus der Sicht von Kriemhild.
Eine der Schlüsselszenen des "Siegfried"-Balletts ist der Moment, in dem Kriemhild ihren Mann Siegfried mit Hagen zur Jagd in den Wald gehen lässt, nachdem sie Hagen die einzige verwundbare Stelle Siegfrieds verraten hat. Andreas Geier deutet Kriemhilds Tun so: "Sie schickt Siegfried unterbewusst in den Tod, weil sie sich von ihm befreien muss." Die Gesellschaft lasse jedoch nicht zu, dass Kriemhild ein selbstbestimmtes Leben führt. Vielmehr wird ihr der nächste Held, Etzel, geschickt. "Am Ende des Balletts steht kein Happy End, sondern die Frage, ob es so weiter gehen muss."
Starke Bilder untermauern Handlung
Choreograf Breuer hat ausdrucksstarke Bilder geschaffen, angefangen mit der Eingangsszene. Kriemhilds Mutter Ute steht allein auf der Bühne, eine einsame Gestalt in einem gigantischen, wehenden, schwarzen Mantel. Schon dieses Bild macht deutlich, dass es keine fröhliche Geschichte ist, die das Ballett des Badischen Staatstheaters zeigt.
Im Tanz umkreisen Frauen und Männer einander lauernd, ein latenter Geschlechterkampf, in der großen Gruppe wie auch später zwischen den Paaren Kriemhild - Siegfried und Brünhilde - Gunther. "Die menschliche Psychologie hat sich im Lauf der Jahrhunderte nicht verändert", sagt Breuer.
Das Geschehen spielt auf mehreren Ebenen. Breuer nutzt Weite, Tiefe, aber auch die Höhe der Bühne des Großen Hauses. Die scheinbare Überwindung der Schwerkraft im Tanz wird noch übertroffen, wenn Siegfried, Gunther und Hagen vom Schnürboden herab schweben.
Eine große Rolle spielt das Unterbewusstsein in Form von Traumbildern und Symbolen. So träumt Kriemhild, ihr Falke würde von zwei Adlern zerrissen, Symbol für den späteren Mord an Siegfried. "Wir haben die Handlung psychologisch aufgebaut", so Breuer.
Die Musik zum Ballett ist eine Mischung aus zeitgenössischen Kompositionen und Melodien bekannter Komponisten. Sie wird von der Badischen Staatskapelle gespielt. "Es hat mich irrsinnig gereizt, einmal mit großem Orchester zu arbeiten und dazu zu choreografieren", erzählt Breuer. "Durch die zeitgenössischen Kompositionen von John Adams haben wir eine Verbindung zur Moderne." Dazu kommt das "Inferno" aus der Dante-Symphonie von Franz Liszt sowie Ausschnitte aus dem "Ring" von Richard Wagner. In dieser Mischung spiegelt sich, was den getanzten "Siegfried" ausmacht: die moderne Interpretation einer zeitlosen Geschichte.