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Staatstheater Mainz bereitet Geisterspiel zu Beethoven vor

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In der Bundesliga rollt der Ball in leeren Stadien. Ein ganz anderes Geisterspiel gibt es demnächst im Staatstheater Mainz vor leeren Zuschauerrängen. Eigentlich war in diesem Monat die Uraufführung eines Projekts zum 250. Geburtstag Beethovens geplant.

Wegen der Einschränkungen der Corona-Pandemie wird jetzt für Mitte Juni «Beethoven - ein Geisterspiel» vorbereitet, als Koproduktion des Staatstheaters mit ZDF und 3sat.

«Wir haben die ganze Zeit im Rahmen unserer Möglichkeiten weiter gearbeitet», sagt Intendant Markus Müller mit Blick auf die Einstellung des Spielbetriebs am 14. März. Damals hängte das Theater ein großes Transparent an der Fassade auf und versprach: «Auf bald». Bei der Vorstellung des Spielplans für 2020/21 sagte Müller im April: «Wir hoffen, dass bald sehr nahe ist.» Jetzt steht fest, dass ab 27. Mai wieder Aufführungen möglich sind, wenn auch unter strengen Hygiene-Auflagen.

Für jede Produktion werde entschieden, ob sie unter den gegebenen Vorkehrungen und Abstandsgeboten künstlerisch sinnvoll umgesetzt werden könne, erklärt Müller. Dies gelte etwa für das Schauspiel «Tage des Verrats», ein Politthriller von Beau Willimon, «bei dem wir mit der Veränderung des Bühnenbilds einen Weg gefunden haben, der keine künstlerische Beeinträchtigung bedeutet». Dieses Stück, das eigentlich am 24. April seine Premiere feiern sollte, könnte nun noch in dieser Spielzeit erstmals aufgeführt werden. «Der Untertan» von Heinrich Mann hingegen muss ebenso wie «Der Widerspenstigen Zähmung» von Shakespeare auf nächstes Jahr verschoben werden.

Einen ganz anderen Weg geht das Theater nun mit dem Beethoven-Projekt, das am 14. Juni im Fernsehprogramm von 3sat gezeigt wird (Vorab-Online-Premiere am 13.6.). In Beethovens zunehmendem Verlust des Gehörsinns und der Erfahrung von Distanz zur Außenwelt sieht Intendant Müller eine enge inhaltliche Verknüpfung zur gegenwärtigen Ausnahmesituation: «Er war auch in einer Art Quarantäne.»

Die filmische Umsetzung der Abschiedsproduktion von Regisseur Jan-Christoph Gockel am Staatstheater Mainz macht den leeren Zuschauerraum zum Teil der Inszenierung. Generalmusikdirektor Hermann Bäumer muss im Geisterspiel ein Geisterorchester dirigieren. «Wir haben die Kollegen einzeln oder maximal zu zweit bestellt und alles aufgenommen», erklärt Bäumer. «Normal sitze ich 60 bis 70 Kollegen gegenüber, diesmal nur ein oder zwei.» So entstand für ihn die paradoxe Situation, dass mit dem Distanzgebot der Corona-Situation so viel musikalische Nähe zu einzelnen Ensemble-Mitgliedern entstand wie sonst nie - «sonst setze ich mich ja auch nicht direkt vor die Klarinette».

Jetzt arbeitet Bäumer zusammen mit den Tontechnikern daran, die Einzelaufnahmen zu einem Orchesterklang zusammenzusetzen. «So etwas haben wir noch nie gemacht.» Für die Aufführung wurden Werke von Beethoven ausgesucht, die ein möglichst klares Metrum, einen gleichmäßigen Rhythmus haben. Aber weggefallen ist all das, was das gemeinsame Musizieren ausmacht, das gemeinsame Atmen, Schwingen und das Einfügen der einzelnen Musiker ins Musizieren der anderen. «Das versuchen wir, künstlich herzustellen», erklärt Bäumer. Der aufwendige Entstehungsprozess erforderte für ein Musikstück von wenig mehr als zwei Minuten eine Arbeitszeit von 14 Stunden für Aufnahmen und Bearbeitung.

Im Zentrum der Produktion steht der als «Heiligenstädter Testament» bekannt gewordene Monolog des 31-jährigen Beethoven mit Selbstzweifeln und Gedanken an den Tod. Mit einem Hörrohr versuchte er, die Beziehung zu den geliebten Klangwelten zu erhalten. «Als Beethoven sein Gehör verlor, machte er sich technische Hilfsmittel zunutze, um sozial und künstlerisch weiter existieren zu können», erklärt die Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Kultur, Anne Reidt. «Diese biografisch-historische Herausforderung spiegelt unsere Corona-Gegenwart.»

«Ich stelle mir das Gesamtergebnis sehr reizvoll vor», sagt Intendant Müller im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Aber ich bin froh, dass wir nur dieses eine Projekt in diesem Format machen. Als Grundkonzept für Theater wäre das fatal.» Denn Theater brauche Nähe, unmittelbare Erfahrung und direkten Austausch.

Er mache sich Sorgen, wenn in der Corona-Situation die Tendenz zur Abschottung in Nationalstaaten wieder zunehme, sagt Müller. Und wenn «im kleinen Miteinander der andere vor allem als potenzielle Gefahr wahrgenommen wird, wenn man sich nicht mehr mit Lust und Neugier begegnen kann». Theater müsse dem mit dem Entwurf von «Möglichkeitsräumen, Utopien, Verrücktheiten» entgegenwirken, mit all dem, «was wir brauchen, um an anderen Gesellschaftsentwürfen zu arbeiten». Theater könne viel dazu beitragen, um den gesellschaftlichen Folgen der Isolation zu begegnen, sagt Intendant Markus Müller. «Theater wird mehr denn je gebraucht werden.»

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