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Täglich neue Einfälle - Uraufführung von Hans Werner Henze

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Berlin (ddp-bln). Nicht weit vom Seeufer von Nemi hat der in Westfalen geborene Hans Werner Henze seit mehr als 40 Jahren sein Zuhause. Auf einem schönen Anwesen mit Olivengarten und Weinberg südöstlich von Rom in den Albaner Bergen beendete der wohl bedeutendste lebende Komponist nun sein jüngstes Alterswerk: die Oper «Phaedra».

Der Handlungsort der Oper, die auf einer griechischen Sage beruht, verbindet sich mit dem Wohnort Henzes. «Phaedra war nämlich auch hier. Und viele heroische Frauengestalten aus der griechischen Antike haben etwas zu tun mit dieser Landschaft», schreibt Henze in seinem soeben bei Wagenbach erschienenen Werkbuch «Phaedra».
Uraufgeführt wird das Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden am 6. September in Berlin. Der 81-jährige Henze selbst lässt es sich nicht nehmen, der Premiere beizuwohnen.

Der antike Stoff seiner Konzertoper erzählt eine Geschichte reich an Turbulenzen und ungewöhnlichen Konstellationen: Phaedra, die Tochter des Minos, wird von Aphrodite verzaubert und verliebt sich in ihren Stiefsohn Hippolyt, der ihre Liebe zurückweist. Phaedra schreibt an ihren Gatten Theseus einen Brief, in dem sie Hippolyt bezichtigt, sie vergewaltigt zu haben. Als Theseus das liest, verflucht er seinen Sohn und Hippolyt wird von Pferden über die Felsen an der Meeresküste geschleift, während der Minotaurus erscheint. Phaedra bringt sich um. Die Göttin Artemis rettet Hippolyt nach Italien, an den Nemi-See, wo sie ihn zusammenflickt. In Greisengestalt verwandelt, lebt er dort in der römischen Fortschreibung der griechischen Sage als Waldgott weiter.

Schon 2004, zu Beginn seiner Kompositionsarbeit an der neuen Oper, hatte Henze ganz genaue Vorstellungen von der Aufführung des Werks und vor allem von den Sängern, die er in den wichtigsten Rollen sehen wollte. Die «berühmte und wunderbare» Magdalena Kozena sollte die Phaedra singen, sagte aber vor wenigen Wochen aus gesundheitlichen Grünen ab. Countertenor Axel Köhler, den er sich ebenfalls gewünscht hatte, wird in Berlin die Göttin Artemis singen. Und als «richtiger Kerl» Hippolyt sollte es der Tenor John Mark Ainsley sein. Auch er konnte, ebenso wie Maria Riccarda Wesseling als Ersatz für Magdalena Kozena, in Berlin verpflichtet werden. Die Regie der Uraufführung übernimmt der Intendant der Staatsoper, Peter Mussbach.

Die Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim sind diesmal nicht an der Spielzeiteröffnung der Staatsoper Unter den Linden beteiligt.
Henze komponierte seine Oper für das Ensemble Modern, ein Spezialorchester für Neue Musik. Bis zu 25 Musiker werden unter der Leitung von Michael Boder Henzes Klangvorstellungen («kretisch, maritim, urzeitig») umsetzen. Von seinem ursprünglichen Vorhaben, das Libretto für «Phaedra» selbst zu verfassen, hatte sich Henze aber rasch wieder verabschiedet. Stattdessen engagierte er den Dresdner Lyriker Christian Lehnert, der die Szenen in «leicht hölderlinesk angehauchtem Deutsch» verfasste.

Nach dem Engagement des renommierten Architekturbüros Herzog & de Meuron für das Bühnenbild von «Tristan und Isolde» wartet die Staatsoper bei «Phaedra» wieder mit einer szenischen Überraschung
auf: Olafur Elisasson, einer der berühmtesten bildenden Künstler der Gegenwart, hat das Raumkonzept für die Oper entworfen und umgesetzt.
Seit den frühen 90er Jahren arbeitet der auf Island aufgewachsene Künstler in Berlin. Der Durchbruch gelang dem heute 40-Jährigen mit einer Ausstellung in der Londoner Tate Modern. Zwei Millionen Besucher kamen, um seine mit Licht, Wasser und Spiegelungen experimentierenden Installationen zu sehen.

Ob der 81-jährige Komponist noch an weiteren neuen Werken arbeitet, ist nicht bekannt. In seinem Werkbuch aber heißt es:
«Täglich kommen neue Einfälle, oft wie flüchtige Besucher, nur mal vorbeischauend und ihre Karte abgebend.»
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