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Tote Hosen spielen von Nazis verfemte Musik

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Düsseldorf - Die Toten Hosen und Schönbergs Zwölftonmusik - passt das zusammen? In einem ungewöhnlichen Musikprojekt treten die Düsseldorfer Punkrocker mit einem klassischen Orchester auf. Sie wollen an die Diffamierung der Musik der Moderne durch die Nazis erinnern.

 

75 Jahre nach der NS-Propagandaschau «Entartete Musik» in Düsseldorf erinnern die Toten Hosen an die Missachtung von Komponisten der Moderne durch die Nationalsozialisten. Gemeinsam mit dem Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf spielen die Punkrocker vom 19. bis 21. Oktober in der Düsseldorfer Tonhalle Musik unter anderem von Arnold Schönberg, Kurt Weill, Hanns Eisler, aber auch Lieder der Sinti und Roma sowie Klezmerstücke und eigene Songs. Die Diffamierungsschau «Entartete Musik» war im Mai 1938 bei den «Reichsmusiktagen» in Düsseldorf eröffnet worden.

Es werde «in keiner Weise einen Toten-Hosen-Abend geben», sagte Frontmann Campino am Montag. «Wir werden nicht nach vorne drängeln.» Vielmehr werde das Konzert unter dem Titel «Willkommen in Deutschland» ein «nachdenklicher Abend», sagte Campino. Die Idee zu der ungewöhnlichen Crossover-Kooperation stammt von der Musikhochschule.

«Die Toten Hosen haben sich schon immer klar gegen Rechts positioniert», sagte Hochschulprorektor Thomas Leander. Für die Studenten der klassischen Musik ist die Zusammenarbeit mit den Punkrockern ein Experiment. Die Proben beginnen erst wenige Tage vor den drei Konzerten nach Abschluss der Tournee der Toten Hosen.

Ganz neu ist der Ausflug in die Hochkultur zumindest für Campino nicht. Unter anderem will er Stücke von Kurt Weill aus Bertolt Brechts «Dreigroschenoper» singen. Vor einigen Jahren hatte der Punksänger in einer Berliner Inszenierung von Klaus Maria Brandauer bereits Mackie Messer gespielt und gesungen. Zur komplizierten Zwölftonmusik in Arnold Schönbergs bewegendem Werk «Ein Überlebender aus Warschau» werde Campino als Sprecher auftreten, sagte Leander.

Gespielt werden auch das auf einem jüdischen Gebet basierende Stück «Kol Nidrei» von Max Bruch aus dem 19. Jahrhundert, ein Geigensolo aus dem Film «Schindlers Liste» und auch Lieder der Comedian Harmonists.

«Wir sehen keinen Gegensatz zwischen dem Sinfonieorchester und uns», sagte Campino. Entscheidend sei die gemeinsame Idee, zu zeigen, welche schöne Musik unter dem Nazi-Terror als «entartet» gegolten habe. Dass die Toten Hosen eigene Anti-Rechts-Songs wie «Sascha» oder «Willkommen in Deutschland» spielen wollten, sei für ihn «keine Gratwanderung». Auch Gitarrist Breiti sagte: «Der Abend soll ein Statement für Pluralismus und Toleranz sein.» Auf keinen Fall will die Band aber ihren Hit «Tage wie diese» spielen.

Berührungsängste mit dem Orchester haben die Toten Hosen nicht. «Wenn der ein oder andere schiefe Ton dabei ist, werden wir dafür nicht fertiggemacht», sagte Campino. «Was wir technisch nicht bringen, bringen wir mit unserer Leidenschaft.»


Die NS-Propagandaschau «Entartete Musik» in Düsseldorf
Im Mai 1938 öffnete bei den «Reichsmusiktagen» in Düsseldorf die NS-Propagandaschau «Entartete Musik». Analog zu der ein Jahr zuvor in München initiierten Nazi-Schau «Entartete Kunst» ächtete die Düsseldorfer Ausstellung die Musik der Moderne. Diffamiert wurden unter anderem der Mitbegründer der Zwölftonmusik Arnold Schönberg, der 1935 gestorbene Österreicher Alban Berg und Kurt Weill («Die Dreigroschenoper»).

Auch die Musik von Anton Webern, Paul Hindemith, Hanns Eisler sowie des Russen Igor Strawinsky («Le sacre du printemps») wurde von den Nazis verunglimpft. Einigen Komponisten gelang die Flucht. Der verfolgte Musiker Viktor Ullmann starb im Vernichtungslager Auschwitz.

Im Jahr 1988 startete von Düsseldorf aus eine Wanderdokumentation der diffamierenden Musikpolitik der Nazis. Die kommentierte Rekonstruktion der Düsseldorfer NS-Schau, die später um die Kapitel Jazz und Operette im Nazi-Staat erweitert wurde, ist unter dem Titel «Das verdächtige Saxophon» weiterhin auf Wanderschaft.

 

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