Salzburg - Früher war Peter Sellars das «enfant terrible» unter den Opernregisseuren. Mittlerweile ist der US-Amerikaner mit der Starkwindfrisur auch schon in den Sechzigern und sicher im grünen Mainstream angekommen. Am Samstagabend inszenierte er Wolfgang Amadeus Mozarts «Idomeneo» zur Eröffnung des Opernprogramms der Salzburger Festspiele.
Die mythische Story aus dem antiken Griechenland mit entfesselten Naturgewalten und einem nicht vollzogenen Kindesopfer deutet er als Parabel auf den Klimawandel. Doch in den Jubel des Publikums mischt sich ein schales Gefühl des déjà-vu.
Das Libretto von Mozarts 1781 uraufgeführter Oper handelt vom griechisch-kretischen König Idomeneo, der auf der Rückkehr vom siegreichen trojanischen Krieg in einen Sturm gerät und nur deshalb überlebt, weil er dem Meeresgott Neptun verspricht, den ersten Menschen zu opfern, dem er an Land begegnet. Das ist dummerweise der eigene Sohn Idamante. Idomeneo hadert mit seinem Gelübde und verärgert Neptun, der ein Seeungeheuer schickt, das die kretische Zivilisation vernichten soll. Schließlich gibt der Gott nach unter der Voraussetzung, dass Idomeneo die Königswürde seinem Sohn übergibt, der die vor dem Krieg nach Kreta geflohene trojanische Prinzessin Ilia zur Frau nimmt.
In seiner Rede zur Eröffnung der Festspiele wenige Stunden vor der Premiere hatte Sellars eine Art Gebrauchsanleitung für seine Inszenierung vorgelegt. Eindringlich mahnte er vor der zustimmend nickenden Politprominenz eine ökologischere Zivilisation an, die von einer jüngeren Generation ins Werk gesetzt werden solle. Idomeneo steht gewissermaßen für die ältere Generation der Umwelt- und Klimasünder, das jugendliche Paar Idamante/Ilia für den progressiven Nachwuchs, der die Welt vor der Ökokatastrophe retten soll. Im Programmheft sind dazu Statements von Greta Thunberg und Aktivisten der Fridays for Future abgedruckt.
Auf der Bühne der Felsenreitschule sieht man davon nicht viel. Von der Decke baumeln amöbenartige Plexiglasskulpturen, die man mit Meeresungeheuern, aber auch Plastikmüll assoziieren kann. Teile des multiethnischen Ensembles und der Chor stecken in wenig vorteilhaften Camouflage-Pyjamas und werden, offensichtlich als Klimaflüchtlinge, von grimmigen Paramilitärs bewacht. Wenn es stürmt, fahren aus dem Unterboden mal blau, mal rot blinkende und blitzende Plexiglaspoller herauf. Am Ende lässt Sellars Tänzer aus Hawaii und Kiribati einen versöhnlichen Freudentanz aufführen und testet die Kitschgrenze.
Als Frühwerk zählt der «Idomeneo», noch eine klassische Opera seria («ernste Oper»), nicht zu Mozarts stärksten Stücken. Obwohl fast alle Rezitative gestrichen wurden, gibt es Längen, die von stilisierten, zeichenhaften Regie, Sellars Markenzeichen, nicht immer aufgefangen werden. Und vieles erinnert doch sehr an Sellars hoch gelobte Inszenierung von Mozarts «La clemenza di Tito» vor zwei Jahren, an deren Erfolg Salzburgs Festspielintendant Markus Hinterhäuser offenbar knüpfen wollte. Vielleicht eine etwas zu sichere Bank.
Sängerisch sind die Leistungen gemischt. Fulminant die beiden Auftritte der Elettra, Idamantes zugunsten Ilias verstossenen Verlobten, verkörpert von der US-Sopranistin Nicole Chevalier. Auch der lyrische Sopran der Chinesin Ying Fang als Ilia überzeugt restlos. Die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy als Idamante und die Männer fallen allesamt ab, darunter der amerikanische Tenor Russel Thomas, der 2017 den Titus verkörpert hatte.
Über jeden Zweifel erhaben ist die Leistung von Teodor Currentzis am Pult des Freiburger Barockorchesters und seines MusicAeterna Chores aus dem russischen Perm. Schon tags zuvor hatte er mit dem Stuttgarter SWR-Symphonieorchester, dessen Chef er seit kurzem ist, eine von wütendem Furor geprägte Interpretation von Dimitri Schostakowitschs 7. Symphonie («Leningrader») geboten, die das Große Festspielhaus in seinen Grundfesten erbeben ließ. Currentzis ist zum unbestrittene musikalischen Leitstern des Festivals geworden.