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Übernatürliches Comeback: Latinrocker Santana

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22 Millionen verkaufte Exemplare seines Albums "Supernatural" bescherten dem Latinrock-Veteranen Carlos Santana ein wahrhaft übernatürliches Comeback. Der 54-Jährige freut sich über seine Wiedergeburt und gibt sich als kauzige Heiligenfigur, die über Engel und Geister fabuliert, aber auch kritische Töne zum Zeitgeist anschlägt.

Carlos Santana ist ein höflicher Mensch, einer, der leise spricht, wenn auch sehr bestimmt. Zur Begrüßung bedankt sich der Latinrockstar, der von seinem letzten Album "Supernatural" 22 Millionen Exemplare verkaufen konnte und dafür acht Grammys in Empfang nahm, bei seinen Besuchern sehr herzlich - dafür, dass sie in diesen unsicheren Zeiten den Mut aufgebracht haben, sich in ein Flugzeug zu setzen, das die USA ansteuert. "Wer das auf sich nimmt, der muss eine große Menge Energie in sich haben", sagt Santana. "Dass Sie gekommen sind, nur um mit mir über meine Musik zu sprechen, das berührt mich sehr. Danke".

Wir sitzen in Santanas Hauptquartier, einem kleinen Studio, gelegen in einem schäbigen Industrieviertel in San Rafael, 20 Autominuten südlich von San Francisco. Carlos Santana sieht gut aus. Die Haare frisch geschnitten, den typischen Latino-Schnauzer frisch gestutzt, gibt er sich äußerlich so aufgeräumt, wie vielleicht nie zuvor in seiner langen Musiker-Karriere. Ein wenig demütig wirkt er, als er diesen Eindruck bestätigt: "Ich habe unter Schmerzen lernen müssen, Wut und Zorn, die meine ständigen Begleiter waren, zu überwinden." Geholfen hat dem gebürtigen Mexikaner bei der Austreibung seiner Dämonen eine Psychotherapie, die er mehrere Jahre lang in Anspruch nehmen musste.

Schon im April 2000 hatte Santana in einem Interview mit dem amerikanischen Musikmagazin "Rolling Stone" offenbart, dass er als Junge sexuell missbraucht worden sei, diese Erlebnisse später als junger Mann und Erwachsener dann aber verdrängt hätte. Erst als seine Frau Donna, mit der der Musiker bereits seit fast 30 Jahren zusammenlebt, damit drohte, ihn zu verlassen, begann er eine Psychotherapie. "Ich fahre zwar auch heute noch manchmal aus der Haut", sagt er, "aber im Großen und Ganzen habe ich mich sehr gut unter Kontrolle." Die Bitterkeit, die ihn lange vergiftet hätte, sei jetzt aus seinem Leben verschwunden.


AFP/DPA

Besuch aus dem Jenseits: Miles Davis besuchte Santana an seinem 51. Geburtstag


Erst nach dieser inneren Reinigung sei ein Album wie "Supernatural" überhaupt möglich gewesen, sagt er. Mit der energiegeladenen Platte hatte der Altmeister des Latin- und Jazz-Rock, der längst nur noch von seinen ehemals großen Hits wie "Samba Pa Ti" zu zehren schien, überraschend auch das junge MTV-Publikum für sich gewinnen können. "Es ist etwas ganz Besonderes, sich plötzlich in dieser großen Familie wiederzufinden, in der sich Großeltern, Eltern, Teenager und sogar kleine Kinder mein Album anhören. Dafür bin ich sehr dankbar, und ich glaube, dass ein tieferer Sinn dahinter steckt und dass mir eine besondere Aufgabe zukommt."

Ein Aufgabe, die sich nicht nur auf pures Entertainment beschränken soll. Wenn es um Politik, insbesondere um amerikanische Politik, geht, gibt sich der 54-Jährige plötzlich streitbar und erinnert sich an alte Hippie-Ideale. Als man in den USA nach dem 11. September landauf, landab in den "God Bless America"-Chor einstimmte, wollte sich Santana nicht beteiligen. "Wissen Sie, in diesen Tagen wird Patriotismus schnell zur Propaganda", sagt er. "Ich sehe mich als Weltbürger, ich wünsche mir, dass die gesamte Menschheit gesegnet ist, nicht nur die Leute in den USA." Allein die Liebe, so sagt er, sei der Weg, um die Menschen miteinander zu versöhnen, und seine Musik könne da helfen. "Ein großer Teil der US-Medien hat sich darauf eingeschworen, uns allen die ganz große Angst zu verkaufen, nach den Anschlägen vom 11. September mehr denn je. Angst aber trennt uns voneinander. Ich dagegen will die Menschen zusammenbringen, und meine Musik kann ihnen diese Angst nehmen und Zuversicht geben."


REUTERS

Acht Grammys für "Supernatural": Santana im Kreise seiner Preise


Entsprechend dieser sanftmütigen Haltung soll sein nächstes Album, das er wahrscheinlich bereits auf seiner Tournee im Frühsommer vorstellen wird, ein eher unaufgeregtes Werk sein. "Ich glaube nicht, dass man so laut spielen muss wie diese Heavy-Metal-Bands, um den Zuhörer etwas fühlen zu lassen. Musik muss keine große Anstrengung bedeuten. Ich mache meinen Finger nass, halte in ihn die Luft, und die Songs werden zu mir kommen", lacht er und lässt jenen seltsamen Heiligen durchblicken, den Santana hin und wieder gerne zum Besten gibt.

Deshalb erfreut er den Besucher schließlich auch noch mit seinem Lieblingsthema: von Engeln und Teufeln. Manch einer mag dabei den Eindruck gewinnen, der Latino-Gitarrengott habe vielleicht doch irgendwann zu viele und zu schlechte Drogen konsumiert, Santana aber ist es egal, was die Leute denken: "Manche halten das für Hirngespinste, ich aber glaube an meine Träume, an Engel und Teufel. Ich stehe in regelmäßigem Kontakt mit dem Engel Metatron. Metatron ist der Baumeister der Körperlichkeit, ohne ihn könnten wir weder einen Big Mac essen, noch könnten wir uns die Hände waschen oder Liebe machen."

Mitte der neunziger Jahre sei ihm dieser Engel während einer Meditation zum ersten Mal erschienen. Seitdem schaue Metatron öfter mal vorbei. Übrigens ebenso wie kürzlich Miles Davis. Der ist zwar eigentlich schon vor Jahren verstorben, Santana aber schwört Stein und Bein, dass "Miles mich an meinem 51. Geburtstag besucht hat. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen und haben einfach nur so rumgealbert. Das war cool!"

Carlos Santana auf Tournee in Deutschland: 17. Mai "Rock am Ring, Nürburgring/Eifel; 18. Mai "Rock im Park", Nürnberg; 24. Mai Essen, Georg Melches Stadion; 26. Mai Hannover, Niedersachsenstadion; 28. Mai Berlin, Waldbühne; 31. Mai Leipzig, Festwiese.

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