Düsseldorf - David Bowie hinterließ sterbenskrank als Vermächtnis sein einziges Musical. «Lazarus» ist ein halluzinatorischer Fiebertraum über den Weg in den Tod. In Düsseldorf wird die deutsche Erstaufführung überschattet von Vorwürfen gegen Regisseur Hartmann.
New York, London und jetzt Düsseldorf: Rund zwei Jahre nach dem Tod von David Bowie ist der musikalische «Abschiedsgruß» des großen Popstars in Deutschland angekommen. Bowies einziges Musical «Lazarus» feierte am Samstagabend eine minutenlang umjubelte deutsche Erstaufführung - und das auf einer Baustelle.
Obwohl das Schauspielhaus wegen einer Großsanierung geschlossen ist, war es dem umtriebigen Intendanten Wilfried Schulz gelungen, die deutschen Erstaufführungsrechte nach Düsseldorf zu holen. Und so musste sich das Premierenpublikum erst einmal den Weg vorbei an einer monströsen Baugrube, Gerüsten und Sicherheitszäunen vorbei zum Hintereingang bahnen, bevor es mit Bowies Welthits wie «Life on Mars», «Heroes» oder «Absolute Beginners» belohnt wurde.
Theater wäre nicht Theater ohne einen Coup. Der kam allerdings völlig ungeplant aus dem weit entfernten Wien - und richtete sich gegen den «Lazarus-Regisseur Matthias Hartmann, ehemals Intendant des Wiener Burgtheaters. Wenige Stunden vor der von einem großen Medienecho begleiteten «Lazarus»-Premiere wurde ein offener Brief von Hartmanns ehemaligen Mitarbeitern publik, in dem sie ihm vorwerfen, in seiner Amtszeit von 2009 bis 2014 eine «Atmosphäre der Angst» geschaffen zu haben. Im Fahrwasser der «#MeeToo»-Debatte ist da von Sexismus und Machtmissbrauch die Rede.
Hartmann war 2014 als Intendant der «Burg» wegen einer ihm angelasteten Finanzaffäre entlassen worden. Ein Ermittlungsverfahren steht kurz vor dem Abschluss, die meisten Vorwürfe haben sich laut Hartmann als haltlos erwiesen. Dann taucht der Brief auf. Hartmann spricht von einem «gezielten Angriff» auf die Düsseldorfer Premiere. Einige der Unterzeichner des Briefes kenne er gar nicht. Hartmann, der in Theaterkreisen durchaus als schwierig, dominant und ruppig gilt, vermutet, man wolle seine Entlassung nachträglich rechtfertigen.
Für Unruhe sorgte der «Burg»-Brief während der Endproben in Düsseldorf trotzdem. Intendant Schulz sprach noch am Freitagabend mit dem Ensemble und mit Hartmann. Das Premierenpublikum aber feierte das «Lazarus»-Team inklusive Regisseur dann ungerührt mit Ovationen.
Bowie hatte «Lazarus», das er zusammen mit dem irischen Dramatiker Enda Walsh schon sterbenskrank schrieb, als ein schwer zu entschlüsselndes Rätsel über das Sterben und die Reise in das Jenseits angelegt. Unter Hartmanns Regie wird aus dem Musical ein bildmächtiges Gesamtkunstwerk, getragen von künstlerisch verfremdeten Projektionen des Bühnengeschehens auf riesige Leinwände, die Sonnensegeln einer Raumstation nachempfunden sind.
Live-Kameras sind ständig hautnah an den Schauspielern und übertragen ihre Gesichter auf die Screens, wo sie sich in den Wolken oder Sternen verlieren. Sterben als künstlerische Inszenierung - besser hätte man Bowie, der sich Zeit seines Lebens in unterschiedlichsten Rollen stilisierte, kaum interpretieren können.
Die Handlung von «Lazarus» knüpft an das Ende des Films «Der Mann, der vom Himmel fiel» (1976) an, in dem Bowie die Hauptrolle des Thomas Newton gespielt hatte. Im Film strandete der Außerirdische auf der Erde. Im Musical ist Newton ein reicher Geschäftsmann geworden. Er versucht, seine inneren Dämonen mit Gin zu vertreiben und träumt von der Rückkehr zu seinem Heimatplaneten. «Ich bin ein Sterbender, der nicht sterben kann», spricht er - oder ist es der todkranke Bowie? Eine Raumkapsel erhebt sich über einem von leeren Flaschen umrahmten Matratzenlager - Hoffnungsträger und Käfig zugleich.
Der norwegische Performer und Sänger Hans Petter Dahl in der Rolle des Newton sieht Bowie zwar verblüffend ähnlich, vermag der verlorenen Seele Newtons mit seiner starren Gestik und eintönigen Sprache aber kaum Leben einzuhauchen. Auf glitzernden Plateauschuhen trippelt Dahl über die Bühne oder muss planlos herumliegen. Erst zum Ende der zweistündigen Aufführung läuft er bei einem grandios verrenkten Tanz zu Form auf.
Bis dahin stiehlt ihm Publikumsliebling André Kaczmarczyk als Valentine die Show. Als eine Mischung zwischen Mephisto, Transvestit und mordendem Todesengel geht er in seiner zynischen Rolle auf, die Menschen in den Tod zu befördern. In den Bann zieht auch Lieke Hoppe als namenloses Mädchen und Synonym der Hoffnung, die mit ihrer gefühlvollen Version von «Life on Mars» Szenenapplaus einheimst.
«David sagte stets, das Stück solle sich anfühlen wie ein Fiebertraum», sagt Co-Autor Walsh. Und so entpuppen sich die Freaks und Irren auf der Bühne als Halluzinationen Newtons. Eine stringente Handlung darf man nicht erwarten, dafür aber eine exzellente Band und gefühlvolle Interpretationen der Bowie-Klassiker.
Bowie starb Anfang 2016 kurz nach der New Yorker Uraufführung von «Lazarus». In der Bibel wird Lazarus von den Toten auferweckt. Der Kern von Bowies Requiem: Der Mensch wird zerrissen vom inneren Kampf zwischen Lebenshoffnung und der Gewissheit des Sterbens.