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Im Anita-Berber-Style: Mária Celeng in „Jonny spielt auf“ am Münchner Gärtnerplatztheater. Foto: Christian POGO Zach
Im Anita-Berber-Style: Mária Celeng in „Jonny spielt auf“ am Münchner Gärtnerplatztheater. Foto: Christian POGO Zach
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Urteil statt Aufschrei – Offener Brief von Krenek-Spezialist*innen zu „Jonny spielt auf“ in München

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Die Inszenierung der Oper „Jonny spielt auf“ am Gärtnerplatztheater München hat zahlreiche Reaktionen hervorgerufen, bei der eine bestimmte Inszenierungsidee des Regisseurs Peter Lund im Fokus stand. Eine Gruppe von Krenek-Spezialist*innen hat sich nun mit einem offenen Brief an den Intendanten des Theaters, Josef Ernst Köpplinger, gewandt. Sie fordern, „Jonny spielt auf“ als wichtige Wegmarke der Musiktheater-Geschichte auf dem Spielplan zu belassen und dadurch weiteren Teilen der Öffentlichkeit – die Unterzeichnenden des „Offenen Briefes“ eingeschlossen – die Möglichkeit zu geben, sich damit auseinanderzusetzen.“ Wir dokumentieren den offenen Brief im Wortlaut.

STELLUNGNAHME ZU „JONNY SPIELT AUF“ IN MÜNCHEN

Nach rund einem Jahrhundert wurde nun in München die Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek wieder auf die Bühne des Gärtnerplatztheaters (Intendant Josef Köpplinger) gebracht. Es handelte sich bei der Premiere am 11.3. um eine – summa summarum – gelungene Aufführung, deren Inszenierung und dramaturgisches Umfeld auf die (Skandal-)Situation in München 1928 Bezug nahm und vom Publikum mit viel Zustimmung verfolgt wurde. Dennoch gaben die Verantwortlichen des Theaters (vorschnell) dem Druck von „social media“-AktivistInnen nach, die gegen das „blackfacing“ Sturm liefen, strichen das Schwarz-Schminken der Titelfigur, druckten die Programmhefte neu und setzten das Stück ab der nächsten Spielzeit wieder ab.

Was war geschehen? Regisseur Peter Lund hatte in kluger Weise die Herausforderungen dieser „Zeitoper“ (die 1927 mit sensationellem Erfolg uraufgeführt, in Folge auf zahlreichen Bühnen präsent war) nicht nur hinsichtlich der szenischen Ausstattung (vor allem die „schrillen“ Zwanzigerjahre mit Elementen von Karikatur und Revue und die technischen Errungenschaften) sondern auch des durch Nazis verursachten Theater-Skandals aufgegriffen (grau-martialisch anmutende Vorboten der Nazi-Dreißigerjahre sowie entsprechende Text-Bild-Elemente auf der Bühne, dramaturgische Begleitung auf mehreren Ebenen). Eines von vielen Elementen war dabei das damals notwendige Schwarz-Schminken der Titelfigur; dabei ist eine der Kern-Aussagen dieses Künstlerdramas, dass der modernen, amerikanischen Unterhaltungsmusik „mit Glanz und Tanz“ die Zukunft als „Erbin des alten Europa“ gehört – also das Gegenteil von Rassismus im Sinne einer Herabwürdigung von Schwarzen bzw. deren Kunstäußerungen.

Dieser Künstlerkonflikt (der autobiographische Züge tragende, introvertiert-verunsicherte Komponist Max steht der Anziehungskraft dieser schmissigen Musik und ihrer Personifizierung in Jonny gegenüber) ist sowohl mit einer Liebes-Seitensprung-Geschichte als auch von einem Krimi um eine gestohlene Geige verwoben. So ist nicht nur das Stück selbst szenisch-musikalisch sehr vielschichtig – und keine „Jazz-Oper“ wie immer wieder verkürzt bezeichnet –, sondern ebenso seine Rezeptionsgeschichte.

Denn die Oper wurde nach bzw. während der ersten Erfolgs-Aufführungen von Nazis gestört – zuerst in Wien und wenige Monate später am Gärtnerplatztheater München. Sie wurde danach in der Nazi-Ära mit Aufführungsverbot belegt, um in der Ausstellung „Entartete Musik“ mit dem Schwarzen Jonny am Titelbild als Negativ-Ikone zu figurieren. Dass der so erfolgreich aufspielende Jonny eben ein Schwarzer war – eine „freche jüdisch-negerische Besudelung“, wie auf den Nazi-Protest-Plakaten in Wien zu lesen –, war primärer Stein des Anstoßes, der so auch in einer heutigen Aufführung als Element einbezogen werden kann. Dabei wurde das also begründete „blackfacing“ vom Gärtnerplatztheater nicht nur in der Öffentlichkeitsarbeit vielfach, sondern auch mit den Mitwirkenden der Slapstick-Szenen, darunter mehrere „People of Color“ konsensual reflektiert.

Wenn nun dennoch das Stück einmal mehr auf Druck von außen abgesetzt werden soll, wiederholt sich – trotz anderer Ausgangslage – das Phänomen von vor einem Jahrhundert: Personen maßen sich an, aufgrund von Reiz-Codes, das Produktionsteam bzw. -Haus zu boykottieren (Waren es vor einem Jahrhundert „Kulturbolschewismus“ und „unerhörte Schandzustände“ in Wien, Stinkbomben und Niespulver in München) sind es jetzt Parallelen zu „brachialer rassistischer Gewalt“). Diese Ebene von ,Blackfacing geht heute nicht und Punkt‘ wird von einer Gruppe von mehrheitlich Studierenden aus dem Schauspieltheaterbereich als reflexartige Zensur in einem „Offenen Brief“ formuliert. Dabei haben praktisch sämtliche Personen, die eine Kritik aufgrund von Befassung mit Stück und Aufführung formuliert haben, diese positiv grundiert – Michael Stallknecht /NZZ, Robert Jungwirth / Klassikinfo, Manuel Brug / Welt, Juan Martin Koch / nmz, Jörn Florian Fuchs / DLF Kultur seien als markante genannt. Aber in einem „Pro“ und „Contra“ auf br-klassik argumentiert „Contra“, dass nicht verlangt werden könne, sich mit den „Gehirnwindungen des Herrn Lund“ auseinanderzusetzen bzw. selbst ins Theater zu gehen...

Im Gegensatz dazu sind die Unterzeichnenden – kultur- und musikwissenschaftlich, künstlerisch, publizistisch u.a. mit Ernst Krenek und seiner Zeit, einschließlich Exilforschung sowie Kulturaustausch mit Afrika, befasst – der Ansicht, dass unreflektierter Aufschrei kein Kunsturteil ersetzen kann. Wir fordern daher auf Seiten des Produktionsteams und des Hauses wie des Publikums und der Kritik, „Jonny spielt auf“ als wichtige Wegmarke der Musiktheater-Geschichte auf dem Spielplan zu belassen und dadurch weiteren Teilen der Öffentlichkeit – die Unterzeichnenden des „Offenen Briefes“ eingeschlossen – die Möglichkeit zu geben, sich damit auseinanderzusetzen.


  • Marion Diederichs-Lafite / Wien, Antje Müller / Berlin, Manfred Permoser / Musikuni Wien, Reinhard Schmiedel / Weimar, Peter Tregear / Melbourne, Claudia Zenck / Uni Hamburg (Alle haben die Premiere am 11.3. besucht – mit einer Covid-bedingten Kurzfrist-Absage)