Hamburg - Diese Opernpremiere verlangt dem Hamburger Publikum einiges an Mitdenken ab: Am Sonntag kam an der Staatsoper der Doppelabend «Pierrot lunaire / La voix humaine» von Arnold Schönberg und Francis Poulenc heraus - und stieß auf zustimmenden Beifall.
Die Sopranistin Anja Silja, Grande Dame ihres Fachs und mittlerweile 80 Jahre alt, ist als «Frau» in Schönbergs Gedichtvertonungen zu erleben, die mehr zu sprechen als zu singen sind. Silja beeindruckt mit Expressivität und Präsenz. Sie teilt sich die 21 Gedichte mit ihren jüngeren Kolleginnen Nicole Chevalier und Marie-Dominique Ryckmanns. Jede steht für ein Lebensalter, jede gestaltet virtuos, ob im Falsett oder im tiefen Brustregister.
Dominiert wird dieser «Pierrot» durch das Video von Luis August Krawen: digitale Bilder von enormer Poesie, deren Verbindung zu den ohnehin schon symbolistisch verrätselten Gedichten von Albert Giraud sich dem Betrachter allerdings kaum erschließt.
Um so realistischer wirkt Poulencs «La voix humaine» in der Regie von Hausherr Georges Delnon. Die Sopranistin Kerstin Avemo als Elle (französisch für «sie») telefoniert das ganze Stück über mit ihrem Geliebten, der sie gerade verlassen hat. Zu hören ist nur, was sie sagt. Sie schwindelt ihm anfangs Souveränität vor, aber die Fassade zerfällt zunehmend. Von Trotz bis zu Todessehnsucht legt Avemo sämtliche Gefühlsnuancen einer liebeskranken Frau in ihre Stimme.
Anders als bei Schönbergs atonaler, reduzierter Tonsprache illustriert das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano die Stimmungen der Protagonistin bei Poulenc in üppigen, elegischen Klängen, die im Vergleich zu Schönberg gelegentlich etwas seicht wirken.