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München (dpa) - Kirill Petrenko weiß inzwischen, dass ihn ein Jubelsturm erwartet, wenn er im Bayreuther Festspielhaus vor den Vorhang tritt. Der kleine Russe steht dann im schwarzen Anzug ganz ruhig da, die Hand am Herzen. Er verbeugt sich zurückhaltend, fast schüchtern - und verschwindet schnell wieder irgendwo im Hintergrund. Der Dirigent ist der erklärte Publikumsliebling der Bayreuther Festspiele.
Doch im Gegensatz zum anderen großen Liebling Klaus Florian Vogt aalt er sich nicht in der Publikumsgunst - ganz im Gegenteil. Fast wirkt es so, als seien ihm die Jubelstürme, die ihm entgegenschallen, unangenehm, unheimlich.
Es ist erst das zweite Jahr, in dem der 42-Jährige bei Richard Wagners Vierteiler «Der Ring des Nibelungen» im berühmten Bayreuther Orchestergraben am Pult steht - und schon hat er sich tief hineindirigiert in die Publikumsherzen. War sein Debüt im vergangenen Jahr stürmisch umjubelt, ist er in Jahr zwei schon eine feste Größe, ein Fels in der Brandung in der Festival-Sturmflut die «Ring»-Regisseur Frank Castorf ausgelöst hat. Während der nämlich wahre Proteststürme von Publikum und Kritik und großen Jubel gleichermaßen erntet, scheinen sich bei Petrenko alle einig: Dieser Mann ist eine musikalische Ausnahmeerscheinung. Das dürfte er auch wieder unter Beweis stellen, wenn an diesem Freitag mit dem «Rheingold» der dritte und letzte Bayreuther «Ring»-Zyklus startet.
Was Petrenko, der in Sibirien geboren wurde, so stark macht, sind wohl sein unermüdlicher Fleiß, seine Präzision - und dass er nie zufrieden ist, stets zweifelt. Die Probenzeit, die Castorf ihm in Bayreuth bereitwillig überließ, wusste er problemlos zu füllen. Schließlich gibt es immer was zu tun. «Er ist immer dabei, zu lernen und auch sich selbst zu hinterfragen», sagt «Siegfried»-Tenor Lance Ryan. «Er überlegt und sagt nicht mit einem Riesen-Ego: So ist es. Das ist sehr klug von ihm.»
So sehr überlegt er, der Kapellmeister an der Wiener Volksoper war, Generalmusikdirektor der Staatsoper Meiningen und der Komischen Oper in Berlin, dass er sich inzwischen weigert, in der Öffentlichkeit über seine Arbeit zu sprechen. Seit er im vergangenen Jahr seinen renommierten Posten als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München angetreten hat, schweigt er, lehnt Interviewanfragen und Fototermine kategorisch ab. «Phantom der Oper» nannte ihn die «Welt» darum kürzlich in ihrer Online-Ausgabe.
Dabei wachsen in Bayreuth und in München die Begehrlichkeiten. Auch in der bayerischen Landeshauptstadt ist wohl noch niemand so schnell zum Publikumsliebling avanciert wie Petrenko. Immer wieder werden dort Parallelen gezogen zu Carlos Kleiber, der die Münchner Opernfans in den 60er bis 80er Jahren mit legendären Aufführungen verzauberte.
Längst ist die unschöne Debatte um Petrenkos Vorgänger Kent Nagano vergessen. Wer Petrenko am Pult erlebt, dürfte inzwischen besser verstehen, warum Intendant Nikolaus Bachler das Engagement des Russen zur Bedingung für sein Bleiben machte - und warum das bayerische Kultusministerium Nagano dafür in einer zumindest aus kommunikationspolitischer Sicht fragwürdigen Aktion über die Klinge springen ließ. Die Neuproduktion von Bernd Alois Zimmermanns Oper «Die Soldaten» aus diesem Jahr ist dank der genialen Inszenierung von Andreas Kriegenburg und Petrenkos gewaltiger Präzision oder präziser Gewalt schon jetzt legendär.
Virtuos führt Petrenko das Münchner Orchester auch durch Zimmermanns überbordende Klangwelt - laut, gewaltig, aber immer präzise und perfekt auf das abgestimmt, was auf der Bühne geschieht. Ein Gewalt-Exzess aus Bild und Ton. Bei den International Opera Awards in London wurde er im April dieses Jahres zum besten Dirigenten erklärt. Sänger Lance Ryan sagt schlicht über ihn: «Er kann es einfach.»
Britta Schultejans