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„Neue Musik – was ist sie (uns) wert?“
Darüber diskutierten, veranstaltet vom Netzwerk Neue Musik, Hans-Joachim Otto (MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages), Raoul Mörchen (Kritiker und Autor), Heinz-Dieter Sommer (Stv. Intendant/Hörfunkdirektor Hessischer Rundfunk) und Peter Hanser-Strecker (Geschäftsführender Gesellschafter Schott Music). Die Moderation hatte Rainer Pöllman vom Deutschlandradio Kultur.
Hans-Joachim Otto: Wenn wir heute keine zeitgenössische Musik mehr fördern, dann bricht die Entwicklung ab. Wie alle anderen Kunstrichtungen auch braucht die Musik einen Nährboden, um in die Zukunft wachsen zu können. Deswegen ist zeitgenössische Musik nicht nur für Kenner ein Genuss, sondern sie ist die Voraussetzung dafür, dass sich die Musik weiterentwickeln kann. (…) Wenn wir unsere Jugendlichen und auch die Erwachsenen nicht ausreichend kulturell schulen, dann ist es natürlich sehr schwer für eine doch etwas kompliziertere Kulturform. (…) Ohne öffentliche Förderung gäbe es die zeitgenössische Musik in Deutschland gar nicht, und damit schließe ich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit ein.
Raoul Mörchen: Investitionen kann man ja auch in geistige Wertschöpfungen tätigen, damit die Gesellschaft ein wenig reflektierter wird, was ihr eigenes Dasein angeht. (…) Der Laden läuft auch deswegen, weil er von der Selbstausbeutung einer kleinen Gruppe, nämlich der Komponisten und Interpreten lebt. (…)
Die Kommunen stecken 95 Prozent ihres Kulturetats in die städtischen Opernhäuser und die dazugehörigen Klangkörper; man sollte über diesen seit der Nachkriegszeit nicht mehr veränderten Verteilungsschlüssel einmal wieder nachdenken, dann könnte man Dinge machen, von denen wir heute nur träumen.
Heinz-Dieter Sommer: Ich verstehe den Begriff der Investition als eine Investition in die Struktur einer Gesellschaft, in der die Voraussetzungen kultureller Art einen „Standortvorteil“ ergeben. Hier findet ein geistiger, kultureller Austausch statt, der andere dazu verleitet, zu uns zu kommen. (…) Unser Auftrag als öffentlich-rechtlicher Sender ist es, die Bandbreite dessen, was es an zeitgenössischer Musik gibt, deutlich zu machen. Das Hören von Neuer Musik ist, insgesamt gesehen, geeignet den Sinn für Neues, anderes und damit auch den Sinn für Toleranz zu schärfen.
Peter Hanser-Strecker: Die Szene ist ja nicht nur öffentlich subventioniert; was wir immer wieder erleben, ist das Engagement einer Vielzahl von Privatinitiativen, die durch Stiftungen gestützt und gefördert werden. Nur findet das häufig abseits der Radarschirme der Medien statt. In diesen Zeiten wird das natürlich nicht einfacher, aber wir sollten dennoch nicht von einer darbenden neuen Musik sprechen, sondern von einer hoffnungsfrohen.
Monika Giefahn
Föderalismusreform 2
Im Zusammenhang mit der Föderalismusreform 2 sind die freiwilligen Leistungen ein wichtiges Thema auch für das Wahlprogramm der SPD. Diese freiwilligen Leistungen müssen verpflichtenden Charakter haben. Ich hoffe, wir können eine Garantie dafür gesetzlich verankern.
Urheberrecht
Das ist eines der Hauptthemen der Diskussion zwischen den Kulturpolitikern und den Verbraucherschützern. Was immer noch unterschätzt wird, das ist der Wert geistiger Arbeit. Wir brauchen eine Kampagne, die aber nicht auf Verbot und Verfolgung basiert, wie dies momentan die Plattenindustrie zu bevorzugen scheint, sondern eher eine Bewusstseinskampagne, wie sie damals etwa zum Thema Rauchen in den USA gemacht wurde.
Kultur des Miteinanders
Wenn wir weiter wirtschaften wie bislang, jeder für sich, nur um möglichst großen Profit zu erreichen, ohne an unsere wahren Wurzeln und Werte zu denken, werden wir keine Zukunft haben. (…) Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der technischen Entwicklung, zum Beispiel dem Bereich der erneuerbaren Energien, in dem wir Weltmarktführer sind, und der Tatsache, dass wir ein Kulturland sind – für beides ist Kreativität notwendig. Wenn wir diesen Zusammenhang aufgeben, dann verlieren das, was es uns möglich macht technologische Spitzenprodukte herzustellen.
Staatsziel Kultur
In dieser Legislaturperiode gibt es eine heftige Diskussion zu diesem Thema. Mit einem Staatsziel Kultur machen wir klar, dass Kultur ein grundbedürfnis ist, für das auch eine Grundversorgung gewährleistet werden muss. Damit sind Musikschulen oder Bibliotheken nicht mehr freiwillige Leistung, sondern haben einen ähnlichen Rang wie zum Beispiel der Schutz der Natur. Wir werden in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich keine 2/3-Mehrheit bekommen, aber es ist wichtig, dass die Debatte weitergeht.
Bleicher-Nagelsmann, Gerhard Rohde, Gerald Mertens
Streik von Orchestermusikern
Mertens: Der Knackpunkt liegt darin, dass es bislang so war, dass die Orchestermusiker stets die gleiche Lohn-erhöhung bekommen haben wie der öffentliche Dienst … und diese Schraube, die seit 1938 so besteht, sollte zurückgedreht, die Musikervergütungen sollten abgekoppelt werden, dagegen haben wir uns gewehrt … Schauen Sie sich doch um in der deutschen Orchester- und Theaterlandschaft. Wir haben sehr viele GmbHs, wir haben Stiftungen, und einige Stiftungen wurden auch gegründet, um aus diesem öffentlichen Dienst auszutreten und Künstlerinnen und Künstler schlechter zu bezahlen, und da machen wir eben nicht mit.
Bleicher-Nagelsmann: Wenn Aufschreie kommen von den Orchestern, von den Musikschulen oder anderen Kultureinrichtungen, dann hat das doch damit zu tun, dass man Warnsignale geben will, dass man deutlich macht, so kann es nicht weitergehen. Wir wollen Qualität liefern, Qualität hat ihren Preis. Und wenn das nicht mehr gewährleistet ist, dass man Qualität liefern kann, muss man sagen: halt, stopp, so geht es nicht.
Berufsaussichten
Mertens: Auf eine Tutti-Stelle beim WDR Rundfunksinfonieorchester haben Sie 300 Bewerbungen. Das heißt, es ist ein sehr, sehr harter, sehr viel schwerer werdender Wettbewerb um die wenigen Stellen, die es gibt. Insofern lastet zum Teil auf den Musikhochschulen die Beihilfe zu einer hoch subventionierten Arbeitslosigkeit, die am Ende der Ausbildung steht.
Bleicher-Nagelsmann: Ich finde das Wort Subventionen völlig falsch, wenn es um Kultur geht. Wenn es um Kultur und die Künste geht, muss man unseres Erachtens von Investition reden. Was jetzt noch an Finanzmitteln da ist, wird den Anforderungen und Aufgaben für die Zukunft überhaupt nicht gerecht – weder für die jungen Menschen noch für die, die ihren Beruf ausüben. Man kann seinen Beruf nur ausüben, wenn man sozial abgesichert ist. (…) In der Kultur lebt die Vielfalt. Wenn wir hieran nicht weiter arbeiten, wird es für diese Gesellschaft schwierig werden, insbesondere in der Krise.
Orchester als Welterbe
Mertens: Wir denken darüber nach, zu beantragen, die deutsche Orchesterlandschaft unter UNESCO-Weltkulturerbeschutz zu stellen. Wenn Herr Sarkozy das für die französische Küche beantragt, dann sollten wir das für die deutschen Kulturorchester beantragen.
Dieter Gorny
Musikmesse und neue Märkte
Musikmesse
So sehr berechtigt diese Messen Händlermessen sind, so sehr, glaube ich, müssen wir, wenn es uns um die Musik geht, Debatten-Orte für die Musik schaffen. Wir können gar nicht genügend Plätze haben, wo über das Phänomen Musik und seine Bedeutung gesprochen wird. Der Messe geht es natürlich darum, diejenigen zufrieden zu stellen, die Eintritt zahlen. Das sind die Kunden. Und die-se muss man danach fragen: Besteht ein Interesse an den Debatten? Wenn das so ist, dann gehört ein bisschen Mut dazu, um dem Ganzen mehr Profil zu geben. Der closed shop nur für den Handel deckt die Probleme nicht mehr ausreichend ab. Der Wert einer solchen Messe ist nicht nur der, dass die Aussteller hier ihre Instrumente verkaufen. Der Wert wäre auch der, dass man in diesen Tagen mindestens bundesweit über Musik spricht. Wenn wir zum Beispiel über den „Tag der Musik“ reden: warum nicht während der Messe?
Musikmarkt
Wenn man den Musikmarkt als Torte betrachtet, so sehen wir hier auf der Messe einen noch sehr gesunden Bereich, nämlich den der Instrumentenhersteller. Ein anderes Stück der Torte ist der Konzertbereich, ein drittes ist der Bereich der „Recorded music“. Die Firmen bemühen sich darum, mit ihrem Portfolio nicht mehr so einseitig zu sein. Ich gehe davon aus, dass wir in mittlerer Zukunft keine spezifizierten Servicepartner mehr haben werden, sondern nur noch Musikfirmen, die dem Künstler sagen: Ich versuche, Dir so umfassend wie möglich zu Deinem Recht zu verhelfen.
Hans-Joachim Otto
Kulturpolitik
Rundfunk
In der Steuerungsgruppe der Enquete-Kommission reden wir sehr konkret über die Präzisierung des Programmauftrages, auch über die Forderung, dass in den Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF regelmäßig Meldungen aus dem Kulturleben gebracht werden. Das, was in diesen Nachrichten gesendet wird, halten die Menschen für wichtig. Ein Bericht etwa über die Donaueschinger Musiktage in der Tagesschau wäre ein großer Gewinn für die Neue Musik in Deutschland.
RundfunkänderungsStaatsvertrag
Auf dem Markt der Online-Angebote agieren auf der einen Seite die Öffentlich-Rechtlichen mit acht Milliarden Euro Gebühren jedes Jahr, abgesichert und ohne jede Sorgen, und andererseits viele kleine Verlage und andere Anbieter, die sich vor allem durch Werbung finanzieren müssen. In diesem wettbewerbsintensiven Umfeld ist es extrem schwierig, Werbung und Sponsoring zu bekommen. Der Maßstab für alles, was wir im Bereich der öffentlich-rechtlichen Medien tun, muss doch sein: Sicherung von Vielfalt. Ich habe die große Sorge, dass durch die starken und gebührenfinanzierten Angebote der Öffentlich-Rechtlichen manche privaten Angebote verschwinden werden. Das wäre dann ein Verlust von Vielfalt, also gerade das Gegenteil davon, was wir eigentlich erreichen wollen. Das muss verhindert werden.
Ich fordere, dass wir in Deutschland nach dem Vorbild von Großbritannien eine unabhängige, externe und professionelle Medienaufsicht bekommen, so dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mindestens genauso wirksam geprüft wird wie die privaten Angebote durch die Landesmedienanstalten. Die anstaltsinterne Kontrolle durch Rundfunkräte schafft keine wirksame Aufsicht.
Die optimale Lösung wäre eine Bund-Länder-Anstalt, die einheitlich alle Medien beaufsichtigt, so dass nach einheitlichen Maßstäben extern und professionell geprüft wird. So würden auch die Möglichkeiten parteipolitischer Einflussnahme gemindert.
Zivilgesellschaft
Als liberaler Politiker setze ich prioritär auf die Kräfte der Zivilgesellschaft. Ich bin ohnehin der Meinung, dass zunächst einmal die Zivilgesellschaft kulturelle und gesellschaftliche Impulse setzen muss und der Staat nur dort einzugreifen hat, wo die Zivilgesellschaft nicht vorankommt. Der Staat hat Rahmenbedingungen zu setzen, in der sich die Zivilgesellschaft frei und kreativ entfalten kann.