Neue Musik ist in München gut repräsentiert. Es gibt zwei Festivals (Biennale, ADEvantgarde), eine Konzertreihe (musica viva), Orchester (Orchester des Bayerischen Rundfunks, Münchner Kammerorchester), Veranstalter (Tonkünstlerverband München, Schwere Reiter), Ensembles (Trio Coriolis, Oktopus, Zeitsprung, piano possibile) und Solisten (u.a. Sabine Liebner, Cornelia Melian), die sich programmatisch um Neue Musik kümmern. Die Summe dieser Veranstaltungen lässt hier eine vielfältige und reichhaltige Musiklandschaft entstehen, über die man sich freuen kann.
Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass in München eine neue Reihe für Ensemble-Musik der Gegenwart fehlt. Eine Reihe die, analog zu einem guten Museum für Moderne Kunst, zwei komplementäre Inhalte parallel präsentiert: Einerseits eine ständige, wirklich umfassende, systematisch angelegte „Sammlung“ von Kompositionen, die Entwicklungen der letzten 30 Jahre in der Neuen Musik exemplarisch repräsentiert und, parallel dazu, regelmäßige Uraufführungen ganz neuer Stücke. Es würde also einerseits darum gehen, die nicht gealterte Produktion der letzten drei Jahrzehnte (die man als eine verlängerte Gegenwart betrachten kann) verfügbar zu machen und sie gleichzeitig in Verbindung zu setzen mit aktuellen Kompositionen.
Dem könnte man entgegenhalten, dass es dieses Modell eines „Museums für Neue Musik“ in München bereits gibt, zum Beispiel in Form der Konzert-reihe musica viva, deren Programm aus einer Mischung historischer moderner Orchester-Stücke und aus Uraufführungen besteht. Oder auch in Form des Programms des Münchner Kammerorchesters (MKO), das einen wesentlichen Teil seines Repertoires der Neuen Musik widmet und dabei Stücke bereits toter und lebender moderner Komponisten gleichermaßen berücksichtigt.
Warum sollte man sich also ein zusätzliches Forum wünschen, wenn es bereits zwei Institutionen gibt, die Neue Musik der letzten Jahrzehnte regelmäßig aufführen? Aus meiner Sicht deshalb, weil es bei der musica viva und beim MKO um Orchestermusik geht und nicht um Ensemblemusik. Diese wird von der musica viva und dem MKO eher sporadisch, sozusagen nebenbei aufgeführt, denn die Klangkörper sind in beiden Fällen Orchester. Und die kleineren eingangs erwähnten Akteure (außer der Biennale) führen zwar nur Ensemblemusik auf, aber nicht auf die zuvor beschriebene systematische Art. Eine Reihe für Ensemblemusik gibt es nicht. Aber der bei weitem größte Anteil der aktuellen Musik-Produktion ist für Ensembles konzipiert, nicht für Orchester. Und gerade für diese große Mehrheit von Stücken wäre ein eigenes, anerkanntes und dauerhaftes Forum sehr nützlich.
Dabei denke ich, dass eine Reihe mehr bieten könnte als ein Festival, das in der Regel ausschließlich von Uraufführungen lebt. Dagegen kann sich eine Reihe in ihrer Programmatik auf eine geschichtlich breitere Epoche spezialisieren und so die ständige Präsenz etwas älterer, jedoch künstlerisch oder ästhetisch immer noch aktueller Musik gewährleisten. Und im Gegensatz zu Festivals, die auf eine kurze Periode pro Jahr angelegt sind, sind die Konzerte einer Reihe regelmäßig über das Jahr verteilt. Hierbei würde sich die Frage stellen, ob ein einziges, festes Ensemble alle Konzerte der Reihe aufführen sollte (wie es das BR-Sinfonieorchester für die musica viva tut) oder ob jedes einzelne Konzert von einem anderen Ensemble aufgeführt werden sollte? Im ersten Fall wären regelmäßige Musiker-Gehälter und ein professionelles Management zu bezahlen; im zweiten Fall Musiker-Gagen, Transportkosten und Hotel. Die erste Variante ist vermutlich teurer, bietet jedoch der künstlerischen Leitung eine maximale Programm-Autonomie. Dies wäre im zweiten Fall nicht so, denn man wäre für die Zusammenstellung der Konzert-Programme sehr abhängig vom bestehenden Repertoire und vom Terminplan der jeweiligen eingeladenen Ensembles. Aber für die zweite Alternative müsste man möglicherweise weniger bezahlen.Damit sind wir beim fundamentalen Thema der Finanzierung dieser hypothetischen Reihe angekommen. Das Grundschema der Finanzierung wäre vermutlich das übliche: eine kombinierte Beteiligung der Stadt (Kulturreferat), verschiedener Stiftungen des Landes und des Bundes und Sponsoren. Die sehr hohe erforderliche Summe zusammen zu tragen und noch dazu über Jahre hinaus zu sichern, erscheint, insbesondere bei der heutigen Finanzlage, utopisch.
Ich finde aber, dass es in bestimmten Fällen besser ist, eine quasi-utopische Vorstellung öffentlich zu formulieren statt es nicht zu tun. Denn so besteht die Möglichkeit, dass viele von der Idee angesprochen werden und ihre Kräfte vereinen, um das vorgeschlagene Projekt umzusetzen. Deswegen ist es gut, im Anfangsstadium zunächst ohne jede Bescheidenheit zu denken und zu planen. Der Ausgangspunkt einer guten Sache ist, glaube ich, ein maximaler Qualitätsanspruch und nicht eine durch pragmatische Überlegungen bereits reduzierte Idee. Ein passendes Motto für ein solches Unternehmen könnte Pierre Boulez‘ Aussage sein: „Qualität ist immer radikal“ (nmz, 2011). Vielleicht könnte man sich so zukünftig in der „Musikstadt München“ einer Reihe erfreuen, die komplementär zur musica viva ein ständiges Forum für neue Ensemblemusik bietet.
Tom Sora, Mitglied der Münchner Gesellschaft für Neue Musik