Es gehört wesentlich zur Macht der Musik, dass wir über dem Versinken in ihre Klänge die Zeit vergessen. Am Sonntag, den 21. Dezember, schlägt sich diese Erfahrung direkt im Programmablauf von SWR2 nieder: Drei eigens komponierte, lange Sendestrecken unter dem Titel „SWR2 Dreiklang“ sprengen das übliche Sendeschema, folgen allein musikalischen und ästhetischen Kriterien und bilden einen „Klangtag“.
Um 9.05 Uhr beginnt unter dem Titel „Musik schreibt Radiogeschichte“ eine klingende Geschichte der Musik im Rundfunk. Aufnahmen aus achtzig Jahren Rundfunkgeschichte und historische Kommentare verbinden sich zu einer Zeitgeschichte der ganz besonderen Art. Ungefähr 300 Radiosender – öffentlich-rechtliche und private – senden in Deutschland. Der größte Programmanteil: Musik. Musik zum Hinhören und Musik zum Nebenbeihören. Aus dem Vox-Haus in Berlin wurde am 29. Oktober 1923 die erste Unterhaltungssendung ausgestrahlt. Der Zweck des neuen Mediums wurde 1924 definiert als „funkentelefonische Verbreitung von Nachrichten, musikalischen oder anderen Darbietungen“.Schon im zweiten Jahr der Radiogeschichte in Deutschland wollten 90 Städte eigene Sender haben. Der Rundfunk wurde binnen kürzester Zeit zum Kulturfaktor. Die Zahl der Rundfunkteilnehmer hatte 1925 über eine halbe Million erreicht. Die Musik spielte – quantitativ und qualitativ betrachtet – bei dieser Geschichte von Anfang an eine, wenn nicht die entscheidende Rolle. Ohne die Musik wäre der Rundfunk nie zu einem Massenmedium und ‚Straßenfeger’ geworden, und ohne den Rundfunk hätte die Musikgeschichte einen gänzlich anderen Verlauf genommen.
In drei Stunden blättern Burkhard Egdorf und Wolfram Wessels in einer Collage aus Originalquellen und wichtigen Radiomusiken die Geschichte der Musik im Rundfunk auf.
Thomas Gerwin schreibt über seine Sendung aus fertig- und vorkomponierten Hörstücken und live zugespielten Nacht-Materialen, die er während der Sendung mixt:
Der „Klang der Nacht“ liegt zuweilen tief verborgen, tritt an anderen Orten aber auch laut und offen auf, übermütig, interessant, freundlich, gefährlich, exotisch, vertraut oder geheimnisvoll. Als Komponist und Klangkünstler spüre ich ihren vielfältigen Facetten und Bedeutungen nach. Am Abend des 4. Advents 2008 entsteht ein radiophones Werk aus einer größeren und mehreren kleineren Kompositionen, aus besonders aufgenommenen oder live von internationalen Korrespondenten zugespielten Soundscapes, aus live im SWR-Studio entstehenden Re-Mixes aus internationalen Radio- und Fernseh-Nachrichten zur vollen Stunde, aus Klang-Berichten von extremen Orten unserer Erde, ultrakurzen „Ohrenöffnern“ sowie aus kurzen live gespielten instrumentalen oder live-elektronischen Interventionen. Als dramaturgischer Höhepunkt des Abends ist neben den Live-Performances eine Schaltung hoch zur Raumstation ISS geplant. Bestimmte ausgewählte Aspekte oder Themengebiete wie „Stimmen der Nacht“ (mit Fokus auf den Klang menschlicher Stimmen), „Tiere in der Nacht“ (Aufnahmen in der Stadt, auf dem Land, im Nationalpark, im Nachttierhaus des Zoos, etc.), „Unterwegs“ (verschiedene nächtliche Reisesituationen), „Einsamkeit“, „Vergnügungen“, „Liebe“, „Verbrechen“, „Am Puls der Zeit/Information“ bilden Themenvorgaben sowohl für Vorproduziertes als auch als für die Live- Einspielungen. Die fertig komponierten Hörstücke sowie die Live-Zuspielungen werden nicht angesagt, sondern durch kurze Überleitungen musikalisch-akustisch „freigestellt“. Alles Erklingende ist Material und Objekt auch spontaner klangkünstlerischer Bearbeitung.
Zusätzlich zur Radio-Übertragung öffnet sich an einem realen Ort, im Studio 2 im Friedrich-Bischoff-Studio des SWR Baden-Baden, ein „Hörfenster“, wo eine kleinere Gruppe von Hörerinnen und Hörern das Event in besonderer Atmosphäre gemeinsam live erleben kann. So wird dem Publikum die Möglichkeit gegeben, einen Eindruck von der Entstehung der Radiokunst-Nacht zu bekommen indem es alle Aktionen des Künstlers z.B. auch das Zuspiel mit ungewöhnlichen Perkussions-Instrumenten oder Objekten und Live-Elektronik direkt verfolgen kann.
Nach dem „Klang der Nacht“, in seinen Erscheinungsformen zwischen Natur, Zivilisation und Gewalt, artifiziell arrangiert und komponiert aus Wirklichkeit von einem Klangkünstler der Gegenwart, beschließt ein Radiophon von Burkhard Egdorf den SWR2 Klangtag zur Nacht klassisch. Was wäre, nach den vielen Eindrücken aus der realen und medialen Welt, geeigneter als den Tondichtern der klassischen Musik das Ohr zu neigen? Nachtstücke von Chopin bis Debussy, von Beethoven bis Crumb versammeln sich um Charles Ives „Central Park in the Dark“.
Der „SWR2 Klangtag“ ist als Experiment zu verstehen, ein außergewöhnlicher Sonntag, an dem vormittags, nachmittags und abends in zusammenhängenden Strecken Klangcollagen eine spezifische Facette des Themas abbilden.