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Richtiger Einsatz

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Deutsche Jugendorchesterlandschaft
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Gerne spricht man heute von der „Null-Bock-Generation“, von jungen Leuten, die sich nicht mehr für eine Sache einsetzen, vom Verfall idealistischen Gedankenguts, von der Vereinzelung der Jugendlichen. Wer viel mit Jugendorchestern zu tun hat und seine Kenntnisse über Jugendliche vorwiegend aus diesen Kontakten bezieht, bekommt hier ein ganz anderes Bild. „Bock“ ist hier in hohem Maße vorhanden: Bock auf Musikmachen von früh bis spät, auf Lernen und Entwicklung, auf das Miteinander mit anderen Gleichgesinnten. Ein Jugendlicher, der in einem Orchester spielt, verwendet einen großen Teil seiner Freizeit auf die Musik. Er hat wöchentlich Instrumentalunterricht, er übt (meistens) regelmäßig, er besucht mindestens einmal pro Woche die Orchesterprobe. Dazu kommen Wochenendproben oder Arbeitsphasen in den Ferien – je nach Organisationsform des Orchesters. Hier ist – neben der Schule – ein nicht zu unterschätzendes Engagement vorhanden. Guten Gewissens darf man hier von „Sinngebung“ sprechen, einem Gut, das heute allerorts gesucht wird. Zirka 2000 Jugendorchester gibt es in Deutschland, das bedeutet: fast 100.000 Jugendliche, die sich dort tummeln. Freilich ist dies im Hinblick auf die Gesamtzahl der Jugendlichen in Deutschland eine kleine Teilmenge, und möglicherweise vermittelt die Jugendorchesterlandschaft ein idealisiertes Bild der Gesamtjugend. Fakt ist aber, daß keiner dieser jungen Musiker „außerhalb“ lebt. Jeder von ihnen hat täglich Kontakt mit anderen, die seine Begeisterung nicht teilen, die aber dennoch miterleben, was ihm wichtig ist, und sich vielleicht anstecken lassen, wenn nicht von seiner Liebe zur Musik, so doch von seiner Zielstrebigkeit und seinem Engagement für eine Gemeinschaft. Die Jugendorchesterlandschaft ist groß und facettenreich. Spielt der eine sein ganzes „jugendliches“ Leben lang mit Begeisterung im Schulorchester, so wechselt der andere irgendwann ins regionale oder städtische Jugendorchester, später dann ins Landesjugendorchester, das bereits eine Elite vereint. Hier steigt der Anspruch an das musikalische Niveau, wohl auch an Professionalität, Übe- und Probedisziplin. Höhepunkt und Ziel derer, die in der Musik hoch hinaus wollen, sind Bundesjugendorchester, Deutsches Musikschulorchester und Bundesstudentenorchester, die „Junge Deutsche Philharmonie“. Hier wird auf höchstem Niveau musiziert. Wer dort Mitglied ist, muß sich, wie in jeder Gemeinschaft, die auf ein Ziel hinstrebt, Zwängen beugen, erlebt aber auf der anderen Seite eine neue Freiheit. Gerade die Junge Deutsche Philharmonie gibt Anlaß, über weitergehenden Sinn und Zweck, aber vielleicht auch über die Grenzen von Jugendorchestern nachzudenken. Hier wird in Statuten und Strukturen festgehalten, was viele Jugendorchester auszeichnet. Selbstbestimmung, Mitwirkung des einzelnen an den Geschicken „seines“ Orchesters sind hier gefragt. Ob dies immer so funktioniert, ob es nicht meistens doch nur einige wenige sind, die sich über die Musik hinaus für ihr Orchester einsetzen, ob sich diese Tendenz gar fortsetzt und verstärkt, mag dahingestellt sein. Von einem „guten Geist“ kann hier dennoch gesprochen werden, der von den Älteren zu den Jüngeren übertragen wird. Nur schade, daß dieser Geist nicht einfach auf professionelle Strukturen übertragbar ist. Freilich gibt es Ausnahmen. Und sicher gibt es wertvolle und notwendige Errungenschaften des heutigen Orchesterlebens, an denen nicht gerüttelt werden soll. Aber ein bißchen mehr von dem einstigen Jugendorchester-Elan könnten die jungen Profimusiker schon mitbringen an ihren neuen Wirkungsort – und die Chance erhalten, ihn durchzusetzen! In vielen Orchestern ist das Feld für den Jugendorchestergeist heute noch nicht bereitet. Kein Grund, die Bedeutung der Jugendensembles herabzuwerten. Im Gegenteil: umso wichtiger ist es, den Teamgeist, die Bereitschaft, Zeit und Kraft für ein selbstgestecktes Ziel einzusetzen, weiter zu fördern. Dem gegenüber stehen zunehmende Probleme, die das organisatorische Umfeld betreffen. Meist wird alle Arbeit ehrenamtlich erledigt, und das bei zunehmender Komplexität der Aufgaben. Welcher Dirigent oder welches Orchestermitglied kennt sich schon aus mit rechtlichen Fragen der Organisationsform, mit komplizierten Gema-Tarifen, mit den (Un-)Rechten, Noten zu leihen, zu kopieren etcetera? Wer hat Kontakte ins Ausland, weiß, wie und wo man Zuschußanträge stellen kann? Alles wird mühsam erarbeitet, und wenn der Laden gerade gut läuft, verläßt der ehrenamtliche Organisator das Orchester – und alles geht wieder von vorne los. Die Notwendigkeit eines professionellen Managements wird immer offensichtlicher, oft aber ist es schlicht nicht bezahlbar. In allen Fragen der Organisation und des Jugendorchestermanagements hilft die Jeunesses Musicales, der Dachverband der Jugendorchester in Deutschland hat sich die Betreuung und Beratung dieser Ensembles auf seine Fahnen geschrieben. Hier werden Ratschläge gegeben zu Finanzierung, Notenleihe, Gema, und Auslandskontakten. Vor allem kommen die Orchester hier auch untereinander in Kontakt. Sogar das Problem der Konkurrenz untereinander kann offen angesprochen werden. Noten-, Instrumenten- und auch Musikerbörse verlaufen auf diese Weise direkt und persönlich („brauche für Mahlers Erste noch zwei Bratschen und liefere für Deine Spanienreise einen Solofagottisten...“). Zuletzt sei auf den Wert der Jugendorchester für das ganze Musikleben in Deutschland hingewiesen. Angesichts der großen Zahl von Orchestern, die fast ohne Ausnahme mehrere Konzerte pro Jahr geben, ist ihre Bedeutung leicht nachvollziehbar. Was an technischem Können und musikalischer Reife noch fehlen mag, wird aufgewogen durch Begeisterung und Kreativität. Dazu kommt der Mut, Neues auszuprobieren: wie viele Jugendorchester zeichnen sich aus durch kreative Programme und Konzertgestaltung oder das Wagnis, unbekannte Werke und Neue Musik zu spielen. Darüberhinaus können Jugendorchester in hervorragender Weise ein neues Publikum erschließen. Freunde und Verwandte gehen oft nur um eines Mitspielers willen (und vielleicht zum ersten Mal!) ins Sinfoniekonzert – und kehren beeindruckt von dem neuen Klangerlebnis zurück. Jugendorchester erfüllen offensichtlich unterschiedliche Aufgaben. Musikalische Breitenarbeit wie Vorbereitung auf die Spitze wird hier geleistet, gesellschafts- wie kulturpolitische Bedürfnisse werden abgedeckt, sowohl für die aktiv Beteiligten als auch für das Umfeld der Musizierenden. Wichtig ist eine ausreichende und vor allem kontinuierliche Förderung und Absicherung dieses Bereichs, damit die Orchester auch zukünftig ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen können.

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