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Hanns Eisler. Foto: Breitkopf & Härtel
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Schabernack und Revolution

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Hanns Eisler zum 50. Todestag
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Er war Unikum, Stänkerer und Neutöner. Er war Schüler von Arnold Schönberg und kongenialer Partner von Bert Brecht. Im September jährt sich Hanns Eislers Todestag zum 50. Mal.
Man wirft mir oft vor, dass ich gegen gewisse Methoden der Musik in diesen Tagen bin. Das ist völlig falsch. (…) Ich bin für jede Methode, die die Musik so herrichten kann, dass sie Vernunft aussagt statt Dummheit.“ So Hanns Eisler in einem Interview 1961. So war er, entschlossen, offensiv und stets wie ein angeschlagener Boxer zwischen Angriff und Verteidigung. Eisler gab gern den Querulanten, er war auch einer. Doch lässt er sich – weder als Mensch noch als Künstler – nicht auf einen Nenner bringen. Oder doch?

Punkt 1: „Eisler hat keine Opern komponiert, zu viel Pathos abgelehnt und war im zwischenmenschlichen Umgang direkter, als es manchen Zeitgenossen lieb war.“ Punkt 2: „Er hat Zwölftonmusik geschrieben, die man pfeifen kann, und Revolutionslieder komponiert, die den Anspruch der Avantgarde spiegeln.“ Punkt 3: „Der Komponist war nicht nur Zeitzeuge, er hatte teil an den historischen Ereignissen und gestaltete sie mit.“

Friederike Wißmann, von 1998 bis 2002 Mitarbeiterin der Eisler-Gesamtausgabe, heute Historische Musikwissenschaft an der Universität Frankfurt lehrend, hat eine neue Eisler-Biographie verfasst: 14 Kapitel, so wie Eislers „14 Arten den Regen zu beschreiben“. Doch Wißmann beschäftigt sich nicht allein mit der Vita, sondern auch intensiv mit seinem Werk. Eigentlich kann das kaum gut gehen. Halb Biographie, halb Werk-Analyse, das klingt nach lauwarm. Ist es aber nicht; denn Wißmann argumentiert erfreulich unideologisch, sie reiht sich nicht blindlings ein in das Lager der Eisler-Bewunderer oder der Eisler-Hasser, die seine Rezeption viele Jahrzehnte geprägt haben. Wißmann kommt immer erfreulich schnell auf den Punkt, sichert durch fundierte Quellenkenntnis ab und scheut sich nicht, die Widersprüchlichkeit dieses Mannes aufzuzeigen. 

Eisler wird am 6. Juli 1898 als „Johannes Eisler“ in Leipzig, in der Hofmeisterstraße 14, als Kind eines Philosophen und einer Fleischerstochter geboren. Vater Rudolf, ein strenger Privatgelehrter, und Mutter Ida Maria, Würstel-Verkäuferin, prägen eine Lebenswelt voller Spannungen zwischen bürgerlicher Lebensweise und linkem politischem Bewusstsein. Leipzig verlässt Eisler bereits als Dreijähriger, den Vater zieht es zurück in seine österreichische Heimat, nach Wien. Nach Ende der Schulzeit schreibt sich der bisherige Autodidakt am Wiener Konservatorium ein und bekommt außerdem Gratis-Unterricht bei Arnold Schönberg. Doch es kommt erst zur Entfremdung, dann zum Krach, viel später zu einer Wieder-Annäherung. Der Lehrer kann es nicht leiden, wenn sich einer gehen lässt – und Eisler neigt dazu, halb aus Berechnung, halb aus Achtlosigkeit. Gutes Benehmen gilt als Sache der Bürgerlichen, doch Eisler schwingt sich zum Anwalt der Arbeiter auf: „Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Hosentaschen, leicht grölend“, wie seine Vortragsempfehlung im „Lied der Arbeitslosen“ lautet. An Werken wie diesen entflammen immer wieder kunstästhetische Diskussionen, die auch über Eislers Tod am 6. September 1962 hinaus geführt werden: Können (radikale) Kunst und (linke) Politik eine sinnvolle Liaison eingehen? 

Eisler geht nach Berlin, wo es zur kongenialen Partnerschaft mit Bertolt Brecht kommt. Seine schroffe Musik wandelt Brechts Texte zu Gassenhauern. Soundtracks verleihen Filmen wie „Kuhle Wampe“ eine sinnlich-propagandistische Wucht. Nach verschiedenen Exil-Stationen in Europa flieht Eisler in die USA, erst nach New York, später nach Los Angeles, bevor er nach Eu­ropa zurückkehrt. Gerade diese späten Amerika- und frühen Rückkehrer-Jahre bilden eine der vielen Schnittstellen in Eislers Leben. 

Davon zeugt auch der zweite Band mit Briefen innerhalb der Eisler-Gesamtausgabe. Er umfasst die Jahre 1944 bis 1951. Eisler lebt in Kalifornien, anfangs in unmittelbarer Nachbarschaft zu Feuchtwanger und Thomas Mann, er hat den penetranten Geruch der Filmbranche teils schmerzhaft inhaliert und unterrichtet an der University of Southern California. Nach Kriegsende wendet sich Eisler wieder Europa zu: 1948 kommt er nach Wien, wo man ihm mit konsequenter Nicht-Beachtung begegnet, bevor er 1949 nach Berlin geht, wo er sich auf seine Weise am Aufbau der DDR beteiligt. Dort wird er zur Gallionsfigur, nicht aber glücklich.

Eisler hat seine Briefe, anders als Brecht, nicht als Dokumente eines Künstlers angesehen, als ein aus Mosaiksteinchen zusammengesetztes künstlerisches Manifest, dafür sind diese Texte meist viel zu kurz und beschäftigen sich vorwiegend mit Alltagsdingen – wie ein Vorläufer der E-Mail, überspitzt formuliert. Doch zeigen diese Dokumente, nicht zuletzt genau wegen ihrer Stauchung auf das Notwendigste, Eisler als Selbstironiker, als einen Augenzwinkerer und jemanden, der früh den Wiener Schmäh in sich aufgesogen hat. Er verstellt sich nicht, Eisler bleibt immer er selbst, auch wenn er sozusagen in offizieller Mission schreibt, an Schönberg oder an Thomas Mann.

Eine „Ballade von der kritischen Herausgabe verfasster Briefe“ gibt es nicht, aber sie hätte Eisler sicher gefallen. Er liebte den Schabernack, das Aufrührertum, er hasste intellektuelle Arroganz. Eisler konnte erschreckend unpathetisch sein wie in seinen späten Gesängen – welch schwerelose Traurigkeit in „Komm! ins Offene, Freund! (…) fast will Mir es scheinen, es sei, als in der bleiernen Zeit“ – er kannte die schlanke, angespannte Eleganz wie in seinen Filmmusik-Suiten, er kehrte gern den eckig-spröden Expressionisten heraus, der die Zwölftonlehre aufgesogen hat. Dennoch schwingt bei Eisler immer ein doppelter Boden mit, mal eine versteckte Aussage – trotz aller Plakativität –, mal ein diskretes harmonisches Experiment, mal ein post­romantischer Traum. Man kann Eisler nie festnageln, auch wenn man es posthum immer versucht hat: Er, Eisler, der Komponist der DDR-Hymne! Doch sein größtes Wunschprojekt, eine Faust-Oper, wird ausgerechnet vom Aufsichtsstaat, dem er diese Hymne geschenkt hat, unterbunden. Das Libretto versetzt die Kulturbürokraten in Alarmbereitschaft, das Projekt muss beendet werden. Von daher zählen, neben den frühen Brecht-Vertonungen, seine sperrig-pathetische „Deutsche Symphonie“ und, mehr noch, sein „Hollywooder Liederbuch“ zu Eislers bleibenden Leistungen.

Wer sich diese Werke hörend erschließen will, kommt an der beim Label „Berlin classics“ in Einzelfolgen erschienenen Werk-Edition nicht vorbei. Hier begegnet man seiner experimentellen Klaviermusik, seinen teils verschroben-kauzigen Versuchen in der Kammermusik. Hier lernt man den Film- und Chorkomponisten kennen, seine Lieder und Kantaten aus dem Exil, seine Orchesterwerke. Dazu gibt es mehrere CDs mit Dokumenten, darunter in Ausschnitten die Gespräche mit Hans Bunge, und einige historische Einspielungen mit Eisler selbst. 

Eislers Musik war auf ihre Weise stets radikal, sie wollte und sollte immer wieder auf die Gegenwart reagieren, den Menschen und die Geschehnisse begleiten – nur dann, so Eisler, könne Musik als Modell dienen. 50 Jahre nach seinem Tod ist die Akte Eisler längst noch nicht geschlossen, zu lange war die Auseinandersetzung mit Mensch und Werk hemmungslos verkrampft. Die Edition seiner Werke und Briefe, neue Noten-Ausgaben wie das zusammengestellte Liederbuch „Keen Sechser in der Tasche“ oder Friederike Wißmanns jüngste Biographie sind wichtige Bausteine für eine fällige Ent-Krampfung.

Neuerscheinungen 

  • Hanns Eisler: Briefe 1944–1951
    (Hg. v. Maren Köster und Jürgen Schebera). Wiesbaden, Breitkopf & Härtel (Hanns Eisler Gesamtausgabe Serie IX, Band 4.2), ca. 39,80 Euro
  • Hanns Eisler: Keen Sechser in der Tasche. Songs und Balladen. Für Singstimme und Klavier (Hg. v. Oliver Dahin und Peter Deeg). Leipzig, Deutscher Verlag für Musik, 20,00 Euro
  • Friederike Wißmann: Hanns Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär. München, Bertelsmann (Edition Elke Heidenreich), 19,99 Euro

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