Braunschweig, Stadt des Klaviers: Elf Tage lang stand das Instrument im
Zentrum eines üppigen Programmreigens, den die traditionsreichen Pianofabriken Grotrian-Steinweg (seit 1835) und Schimmel (seit 1885) sowie die Stiftung Nord/LB-Öffentliche vom 18. bis 28. September an zahlreichen Orten des Braunschweiger Stadtgebiets und im nahegelegenen Wolfenbüttel veranstalteten.
Historie und Einsatzmöglichkeiten des Pianos sollten beim „Tastentaumel“ in ihren schillernden Ausprägungen dokumentiert werden: Von Boogie bis Klassik, Klavierkabarett, musikalischen Lesungen und Fachvorträgen reichte das Spektrum - und geschätzte 10 000 Besucher folgten dem Lockruf der schwarzen und weißen Tasten. Das Klavier präsentierte sich beim nächtlichen musealen Marathonspiel ebenso wie bei Schnupperstunden in Einkaufspassagen. Nicht nur fingerfertige Lokalmatadoren kamen zum Zuge, sondern auch Nachwuchsgrößen der ansässigen Musikschulen und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Vollprofis. Zu Gast waren unter anderem der holländische Klavier-Entertainer Hans Liberg, die Boogie-Experten Axel Zwingenberger, Vince Weber, Gottfried Böttger und Frank Muschalle sowie die Konfrontationskünstler Christoph Spendel und Ratko Delorko, die häppchenweise Jazz und Klassik aufeinander prallen ließen. Auch im Kino spielte das Klavier eine tragende Rolle. Im Rahmen des Festivals waren auf Großbildleinwänden Kino-Perlen wie „Die Legende vom Ozeanpianisten“ und der lautlose Klassiker „Orlacs Hände“ zu sehen, den der Stummfilm-Fachmann Carsten-Stephan von Bothmer stilecht mit Klaviermusik und anderen Geräuschen begleitete. Schauspielerin Hannelore Elsner derweil bot beim „Tastentaumel“ Literarisches: eine Lesung aus „Ein Winter auf Mallorca“, bei dem sie mehr als nur die lückenhaft notierten Erinnerungen George Sands an ihren Geliebten Chopin aufdeckte.
Die Stiftung von Bank und Versicherung hat das Thema „Braunschweig - Stadt und Region des Klaviers“ zu einem von fünf Schwerpunkten für die nächsten Jahre erkoren. „40 Prozent der gesamten deutschen Klavierproduktion kommen aus Braunschweig“, betont Grotrian-Steinweg-Geschäftsführer Burkhard Stein.„Der Gedanke, in Braunschweig ein Klavierfestival zu veranstalten, drängte sich daher auf“, so Gerd-Ulrich Hartmann, Geschäftsführer der Stiftung.
Ursprünglich hatte Pianofabrikantin Gabriela Schimmel der Stiftung lediglich die Förderung des Projekts „Geschichte des Klaviers“ ans Herz gelegt: ein pädagogisch wertvolles Mammutprojekt von Ratko Delorko, der 20 historische Instrumente auf die Bühne des Braunschweiger Staatstheaters wuchten ließ und mit seinem klingenden Museum eine konzertante Zeitreise unternahm. Doch das Projekt weitete sich rasch aus, und mit den Initiatoren saßen schließlich etliche Projektpartner im Braunschweiger Boot: darunter Staatstheater und Landesmuseum, das Staatsarchiv Wolfenbüttel, der Dom, das Braunschweig Classix Festival, das Cinemaxx, die Städtische Musikschule und Städtisches Museum, das Lessingtheater Wolfenbüttel, der Internationale Filmfestverein und das Herzog-Anton-Ulrich-Museum. Wie sich am Ende herausstellte: ein zugkräftiger und flächendeckender Verbund aus 16 Veranstaltern.
Schon der Auftakt war stark. Das Städtische Museum hatte eigens eine Ausstellung zur 300-jährigen Klaviergeschichte in Braunschweig zusammengestellt: nach Angaben der Veranstalter die größte öffentliche Sammlung historischer Instrumente in Niedersachsen. Sie sollte zeigen, wie Handwerk sich in Kunst verwandelt, wie aus der Verbindung von Holz und Erz Musik entsteht. Zu sehen war dabei unter anderem jener Grotrian-Steinweg-Flügel, dem Clara Schumann bis zu ihrem Tode die Treue hielt. Recht unwillig soll sie sich - so ist es überliefert - in jenem Jahr 1879 nach Aufforderung an den Flügel gesetzt haben. Zögerlich habe sie den Handschuh abgestreift und mit der rechten Hand lässig in die Tasten gegriffen. Dann war es wohl geschehen um die berühmte Pianistin: „Von heute an spiele ich nur noch dieses Instrument“, soll sie gesagt haben.
Mitorganisatorin Gabriela Schimmel wertete das Festival als großen Erfolg. „Es ist uns gelungen, in 40 Veranstaltungen Braunschweig als das Klavierbauzentrum Deutschlands zu präsentieren. Dies wird auch dazu beitragen können, dass die Stadt noch größere Chancen hat, Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2010 zu werden.“ Das Ziel, die Menschen der Region vertraut zu machen mit dem Thema Klavier und zu vermitteln, dass das Instrument den Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen begegne und sie begleite, und dass es schlichtweg Genuss bereite, Klaviermusik zu hören oder zu spielen - „diese gewünschte Bewusstseinsschärfung ist offensichtlich erfolgt“, so Gabriela Schimmel.
Der „Tastentaumel“ soll keine einmalige Sache bleiben. Die Resonanz hat den Veranstaltern schließlich Mut gemacht, das Thema weiter zu verfolgen. Möglich, dass das Festival einen festen Platz im Braunschweiger Veranstaltungskalender bekommt. Konkrete Pläne gebe es zwar noch nicht, „aber der Tastentaumel wird sicher wieder von sich hören lassen“, verspricht Gabriela Schimmel.