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Soundtrack für Fremdenhass und rechte Idylle

Untertitel
Rechtsrock als (Bestand-)Teil aktueller Jugendkulturen
Publikationsdatum
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Rock von Rechts II (Milieus, Hintergründe und Materialien), Dieter Baacke, Klaus Farin, Jürgen Lauffer (Hg.), Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der BRD e.V. (GMK), Bielefeld 1999. 20 Mark. linie.gif (77 Byte) Glatzköpfige Jugendliche, Skinheads, jagen in Mecklenburg-Vorpommern Vietnamesen, schlagen sie halbtot. In Bayern wird ein Mozambikaner „aus tiefverwurzeltem Fremdenhass“ von einem 31-Jährigen lebensgefährlich verletzt. Meldungen, wie sie in deutschen Zeitungen an der Tagesordnung sind. Häufig dringen solche Nachrichten kaum mehr über die Grenzen eines Bundeslandes hinaus. Aus den Medien verschwunden ist auch der Rechtsrock, der den Soundtrack zu Überfällen auf Ausländer, Homosexuelle und „linke Zecken“ liefert. Vor wenigen Jahren überschlugen sich noch Feuilletons, das Phänomen der simplen, lauten und aggressiv-nationalistischen Rockmusik niederzuschreiben. Bands wie die „Böhse(n) Onkelz“ aus Frankfurt, „Foierstoss“ und „Kraftschlag“ gaben im nationalen Pop-Diskurs zeitweise den Ton an. Seither sind zahlreiche Platten indiziert oder ganz verboten worden. Die Wissenschaftler Dieter Baacke und Jürgen Lauffer, Geschäftsführer der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK), ließen es dabei nicht bewenden. Zusammen mit dem Berliner Journalisten Klaus Farin bringen sie Licht in das von pauschalen (Vor-)Urteilen und moralischer Entrüstung vernebelte Dunkel rechter Jugendkulturen. In ihrem Buch arbeiten sie Hintergründe des spezifischen Milieus heraus und beleuchten Ursachen für dessen Erstarken in den ostdeutschen Bundesländern nach dem Fall der Mauer. Liedtexte rechter und Neonazi-Bands werden analysiert und führen zu einer differenzierteren Sichtweise und Beurteilung von Bands, wie es in der öffentlichen Diskussion nur selten geschieht. Gewaltbereitschaft und -tätigkeit vor allem der rechtsradikalen Skin-Szene werden dabei keineswegs verharmlost. Konzerte stellen für diesen Personenkreis weit mehr als nur eine Zutat für fremdenfeindliche und neofaschistische Gesinnung dar. Der Konfliktforscher Rainer Dollase warnt davor, den Konsum rechter Rockmusik einfach zu ignorieren, nach dem Motto: aussitzen. Marcel Legrum bietet einen knappen Überblick über die Bedeutung des Internets und des neuen MP3-Formats für die rechtsgerichtete Szene. Tabellen geben eine rasche Übersicht über CD- und MC-Veröffentlichungen, eine Auswertung rechter Bands nach Ausrichtung, Geschlechterverhältnis und weiterer soziologischer Kriterien. Klaus Farin stellt rechtsorientierte Jugend(musik-)kultur als „Geschichte einer Provokation“ dar. Letztlich schreibt Rechtsrock damit weit eher die Tradition des Rock ’n’ Roll als einer rebellischen Jugendbewegung fort, als es heute irgendeine andere der vielen Szenen tut. Damit sieht sich der engagierte Publizist immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, der rechten Szene Vorschub zu leisten. Farin macht aber etwas anderes: Er schaut und hört genau hin, ohne gleich zu verteufeln. Mit dem von ihm gegründeten Berliner Archiv der Jugendkulturen geht es ihm um eine möglichst präzise Bestandsaufnahme aktueller Jugendkulturen und darum, differenziertes Wissen darüber weiter zu geben. Dazu begibt er sich, unter eigener Gefahr, in die Szenen hinein. Daneben sammelt das Archiv Zeugnisse der Jugendkulturen und wertet diese aus. Als unabhängige Einrichtung finanziert es sich über Publikationen, Spenden und pädagogisches Material, das für Fortbildungen, Schulen und andere Institutionen herausgegeben wird. Für Medien, Pädagogen, aber auch Politiker oder Richter bietet das Archiv durch authentische Informationen Einblicke in verschiedene Jugendszenen und die Herzen von jungen Leuten – auch rechten Jugendlichen – wie man sie in der Qualität und Gründlichkeit sonst nirgends findet.

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