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Sparen um jeden Preis: Musikschulen in Gefahr

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Kommunalpolitiker und dubiose Geschäftemacher in unheiliger Allianz
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m statistischen Jahrbuch 1996 des Verbands deutscher Musikschulen, VdM, heißt es: „Obgleich von Privatisierung öffentlicher Aufgaben vermehrt die Rede ist, kann derzeit daraus keine Tendenz für Musikschulen abgeleitet werden“. Doch zur Zeit häufen sich die Alarmzeichen: Ein Trend zur Privatisierung sorgt für Unruhe. Etwa 69 Prozent der annähernd 1.000 VdM-Musikschulen sind derzeit Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft, weitere 30 Prozent sind als gemeinnütziger eingetragener Verein – mit kommunaler Beteiligung – organisiert. Andere Rechtsformen wie Stiftung oder GmbH spielen eine verschwindend geringe Rolle. Doch wie lange noch? Die Kommunen müssen zum Teil drastische Sparmaßnahmen ergreifen. Also denkt sich mancher Stadtrat: „Was mit der Müllabfuhr funktioniert, muß doch auch bei unserer Musikschule gehen.“ Immer mehr private Anbieter bis hin zur Franchise-Musikschule versuchen vom Sparzwang der Gemeinden zu profitieren, ohne ein gleichwertiges Angebot machen zu können. Und so bietet die Umwandlung kommunaler Schulen in die Rechtsformen e.V. oder GmbH den Gemeinden ein willkommenes Schlupfloch für einen Rückzug aus ihrer Bildungsverantwortung. Es folgen einige Beispiele, die zwar nicht Schule machen müssen, aber die aktuelle Problematik verdeutlichen: 1995 wurde die Musikschule Weilerswist, Nordrhein-Westfalen, in einen e.V. umgewandelt. Hauptziel der Aktion war Einsparung. Beschäftigungsverhältnisse wurden umgewandelt, Gebühren erhöht. Nachdem die Musikschule gegen verschiedene VdM Richtlinien verstieß – Verschweigen des Trägerwechsels, ausschließlich Honorarlehrkräfte, Schulleiter Jens Vetter ist gleichzeitig Vereinsvorstand und anderes – , soll sie jetzt aus dem VdM ausgeschlossen werden. Nun ja, ein Einzelfall. Möglicherweise nicht, denn Schulleiter Vetter verkauft mittlerweile sein „Konzept“ dieser Umwandlung für 100 Mark pro Unterlagenmappe an interessierte Kommunalpolitiker. So landete sein Umwandlungskonzept erst kürzlich im Gemeinderat der nordrhein-westfälischen Städte Hemer und Frechen. Während die Angelegenheit in Hemer noch schwebt, lehnte Frechen wegen fehlender Übertragbarkeit und gravierenden Mängeln das Konzept ab. Insbesondere war man entsetzt über die Verschlechterung des Angebots, die unzureichende Besoldung der Lehrer und die zu hohen Gebühren. In welcher Kommune wird Vetters Vorschlag als nächstes auftauchen? Beispiel zwei: Die Musikschule Bad Bederkesa in Niedersachsen ist zum 30. Juni 1997 aufgelöst worden, da die Gemeinde ihre Zuschüsse strich. Angeblich deckt die Privatmusikschule Beck aus Bremerhaven die Nachfrage mit einer Filiale ab – aber in welcher Qualität und wie lange? CDU-Abgeordneter Berthold vor der Presse: „Beck hat uns beeindruckt – da ist kein Platz für die kommunale Musikschule.“ Auch Beck in Bremerhaven operiert mit einem Papier, das er als „Merkblatt zur korrekten Auflösung kommunaler Musikschulen“ entsprechend verbreitet. Beispiel drei: Die Kreismusikschule Osterholz-Scharmbeck e.V., Niedersachsen, soll „vollprivatisiert“ werden durch Übernahme in die Privatmusikschule Ridder. Diese ist pikanterweise am Wohnort desjenigen Kreistags- und Bundestagsabgeordneten ansässig, der diese Bestrebungen forciert. Begründung: „Die machen das Gleiche billiger“. Beispiel vier: Die Musikschule Bornheim im Rheinland war 1993 als e.V. „privatisiert“ worden. 1995 wurde sie aufgelöst, weil der Stadtrat die Zuschüsse auf Null senkte. Es müsse die Frage gestellt werden, so Stadtdirektor Hans-Jürgen Ahlers, ob es überhaupt eine öffentliche Aufgabe sei, die musikalische Erziehung der Kinder zu bezuschussen, oder ob nicht die Eltern allein dafür verantwortlich seien. Folge seiner Abwägung war die Schließung. Beispiel fünf: Selbst im „Musterländle“ Baden-Württemberg sind Anzeichen einer Krise zu vermerken. In Ehingen haben Oberbürgermeister Johann Krieger und der Gemeinderat im vergangenen Herbst beschlossen, die Musikschule durch einen radikalen Schnitt zu „sanieren“ und alle 14 BAT-Verträge in freie Mitarbeiterverhältnisse umzuwandeln. Dabei soll der kommunale Anteil von zirka 515.000 Mark auf etwa 390.000 Mark zurückgefahren werden. Durch ein engagiertes Eingreifen des VdM-Landesverbandes Baden-Württemberg und den drohenden Verlust der Landeszuschüsse konnte der Beschluß zur Radikal-Umwandlung der Musikschule vorläufig gestoppt werden. Die Musikschule gewann ein halbes Jahr Aufschub zur Entwicklung eigener Konzepte, allerdings unter weitgehender Aufrechterhaltung des obengenannten Kürzungsbeschlusses in bezug auf die kommunalen Finanzen. Die begonnene Umsetzung eines individuellen Konzepts wird nun durch einige Gemeinderäte und den Oberbürgermeister unterstützt. Ein Exempel für gelungene Überzeugungsarbeit? Es ist zu hoffen. Beispiel sechs: Nicht alle Stadtparlamente sind sich ihrer Sache Musikschule so sicher wie in Saarbrücken, wo der Antrag der Fraktionssprecherin Irmgard Schmidt, aus Kostengründen solle die städtische Musikschule mit dem privaten Anbieter Fröhlich kooperieren, schon im ersten Anlauf Entrüstung auslöste: Absurd genug - hat doch Fröhlich mit seiner Franchise-Kette allenfalls Akkordeon- und Melodika-Kurse zu bieten. Es befremdet allerdings, daß der Vorsitzende des Bundesverbandes der Jugendkunstschulen (BJKE), Peter Vermeulen, just ein ähnliches Ansinnen in einem Beitrag für den „Infodienst Kulturpädagogische Nachrichten“ verbreitete (für die nmz nahm Felix M. Roehl in Ausgabe 5/1997 unter der Überschrift „Kulturfinanzierung: Wer liefert welches Gut?“ Stellung) und damit die bildungspolitische Forderung der deutschen Musikschulen und ihres Verbandes nach angemessener öffentlicher Förderung seitlich unterlief. Auf welcher Seite steht Herr Vermeulen? Jedenfalls hat sich der BJKE inzwischen von der Äußerung seines Vorsitzenden distanziert. Unmißverständlich war die Reaktion aus dem Bundesjugendministerium, das in diesen Denkmodellen das öffentliche Interesse an und die Förderung der außerschulischen Jugendbildung konterkariert sieht. Solche Beispiele, so das Ministerium, „stellen zu den Mitgliedschulen des VdM keine Alternative dar. Ihrer Aufgabe als Ausbildungsort, als kommunales Begegnungszentrum und Stätte sozialen Lernens können die Musikschulen – neben der Erhebung von Musikschulgebühren – nur mit Hilfe öffentlicher Mittel gerecht werden.“ Dossier · Klassik Komm. und die „Aktion Musik“ Klassik Komm. +++ weitere Texte zum Thema +++

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