Der Stadtsingechor Halle, Mitteldeutschlands ältester Knabenchor, geht ab Mittwoch auf eine zehntägige Konzerttournee nach China. Das Team um Chorleiter Frank-Steffen Elster hatte nur wenige Wochen Zeit, die Reise vorzubereiten.
Ungewohnte Klänge erfüllen derzeit den Probenraum im Dachstuhl der historischen Franckeschen Stiftungen in Halle. Die Jungen des Stadtsingechors proben für ihren bevorstehenden Auftritt in China. Dafür haben sie extra drei chinesische Volksweisen ins Repertoire aufgenommen. Die eine davon ist ein Superhit im Reich der Mitte: «chi schon tschi you mama hao» kann am besten mit «Mama ist die Beste» übersetzt werden. «Die Aussprache ist schwierig», sagt Arthur König. Als einen der jüngsten Teilnehmer der am Mittwoch (26. August) beginnenden zehntägigen Konzertreise beschäftigt den Neunjährigen aber eine wesentlich banalere Frage: «Muss ich in China mit Stäbchen essen?» «Nicht unbedingt», beruhigt ihn Chorleiter Frank-Steffen Elster, «wir bekommen bestimmt auch Besteck».
Elster, seit gut zwei Jahren Leiter des Knaben-Ensembles, hat sehr für diese Reise gekämpft. «Erst im Juni war klar, dass wir wirklich eingeladen werden», sagt der 33-Jährige. Das ist gemessen am bürokratischen Aufwand extrem wenig Zeit. Visa-Erteilung, Aufführungsgenehmigungen und nicht zuletzt die Finanzierung mussten innerhalb dieser paar Wochen gestemmt werden.
Die Chinesen werden, da ist sich der Mann mit der sonoren Bass-Stimme sicher, einen Chor auf hohem Niveau erleben. Der Stadtsingechor zu Halle ist Mitteldeutschlands ältester Knabenchor, und damit auch älter als die Leipziger Thomaner und der Dresdner Kreuzchor. Seine Wurzeln gehen auf das frühe 12. Jahrhundert zurück, als in Halles Kloster Neuwerk erstmals Jungen unterrichtet wurden. Er wurde unter anderem von Georg Friedrich Händels Lehrer Wilhelm Zachow geleitet und auch von Friedemann Bach, dem Sohn des Barockmeisters Johann Sebastian Bach. Dennoch steht der Chor bis heute im Schatten der beiden berühmteren Ensembles. «Schade», findet Elster, der gleichzeitig noch den Kinderchor des Leipziger Gewandhauses leitet, das und betont: «Wir haben noch Reserven, aber wir müssen uns nicht verstecken.»
Ein reiner Knabenchor ist für Elster eine spannende Aufgabe. «Ein Chor, der nur aus männlichen Sängern besteht, hat ein anderes Klangbild. Denn Jungsstimmen haben einfach eine eigene Spezifik», sagt der Vater zweier Söhne. Außerdem sei in der Musikgeschichte Vieles auf diese traditionell gewachsene Form des Singens zugeschnitten. Der gemischte Kinderchor sei da eher eine Entwicklung der neueren Zeit.
75 Mitglieder und etwa 50 Aspiranten gehören derzeit zum Chor. Die Nachwuchsgewinnung wird nicht dem Zufall überlassen. Eine Mitarbeiterin ist eigens dafür zuständig, in Kindergärten und Grundschulen Talente wie den heute neunjährigen Arthur König aufzuspüren. Diese werden dann bereits als Fünfjährige an das Chorsingen herangeführt. Wer den Sprung in den Aspirantenchor schafft, hat außerdem die Möglichkeit in der benachbarten Grundschule zu lernen, in der die Sängerknaben speziellen Unterricht erhalten. Frühestens mit neun Jahren werden die Jungs dann in den eigentlichen Chor aufgenommen und können später auch den Musikzweig des Landesgymnasiums Latina «August Hermann Francke» besuchen.
Arthur findet den Chor «richtig toll». Singen ist für ihn schon immer wichtig gewesen. Da stört es ihn auch nicht, dass er zu den Auftritten die klassische Chorkleidung bestehend aus Anzughose, Jackett und Fliege tragen muss. Wer sich für das Singen im Chor entscheide, der wähle eben auch eine Gemeinschaft, sagt Elster.
Der Stadtsingechor in Halle
Halle - Die Wurzeln des Stadtsingechors zu Halle gehen auf das frühe 12. Jahrhundert zurück. Damals erhielt das Kloster Neuwerk als erstes in Halle das Schulrecht und gestaltete mit seinen Schülern die Musik für die Gottesdienste des Klosters. Den Namen Stadtsingechor erhielt das Ensemble allerdings erst 1565. Dieser Chor hatte die Kirchenmusik an den städtischen Hauptkirchen zu bestreiten. 1808 wurde er den Franckeschen Stiftungen angegliedert, in denen er noch heute ansässig ist.
Im Mittelpunkt der Arbeit des Stadtsingechors steht die Pflege der geistlichen Chormusik. Besonderes Augenmerk liegt auf der mitteldeutschen Musiktradition von Samuel Scheidt, Georg-Friedrich Händel sowie Heinrich Schütz und Johann-Sebastian Bach.
Der Stadtsingechor zu Halle befindet sich seit 1946 in der Trägerschaft der Stadt Halle. Im Jahr 2002 ersangen sich die Jungen, die zwischen 9 und 18 Jahre alt sind, den 1. Preis beim deutschen Chorwettbewerb in Osnabrück. Ein Jahr später verlieh ihnen der Bundespräsident die Zelter-Plakette.