Zweimal zwei kurze Schrägstriche und ein langer dazwischen – seit etwa zwei Jahren sticht einem dieses Logo ins Auge, egal, ob man Programmhefte in Freiburg, Hamburg, Augsburg, Kiel oder Stuttgart in die Hand nimmt. Die Marke steht für Netzwerk Neue Musik, dem größten Förderprojekt, das die Kulturstiftung des Bundes jemals für zeitgenössische Musik auf den Weg gebracht hat. 12 Millionen Euro gehen an 15 Netzwerkprojekte mit insgesamt 250 Einzelinitiativen. Der Clou an der ganzen Sache: Wer Geld will, muss gegenfinanzieren und so sind insgesamt über 24 Millionen Euro für die Vermittlung Neuer Musik bereitgestellt. Seit 2008 läuft das Netzwerkprojekt, seit spätestens 2009 fließen die Gelder und die Musik erklingt.
Ein bunter Strauß an Konzerten, Festivals, Kompositionsaufträgen, Uraufführungen und Ausstellungen sind neu entstanden. Überregional ist es noch recht wenig wahrgenommen, da das Netzwerk als dezentrale Struktur angelegt ist. Beeindruckend in der Fülle der Veranstaltungen sind jedoch Qualität und Wirkung bisher nur schwer messbar, doch der einmalige Versuch, die Kunst der Vermittlung bundesweit auf zeitgenössische Musik anzuwenden, ist definitiv im Gange.
Viele der teilnehmenden Veranstalter, Initiativen und Künstler dachten zunächst einfach daran, mit besserer finanzieller Ausstattung ihre bisherigen Projekte weiter zu betreiben. Hier trafen sie aber auf sanften bis ausgeprägten Druck der Netzwerkzentrale in Berlin, die den Geldhahn nur öffnete, wenn neue Kooperationen, Vernetzungen und Verdichtungen der örtlichen Szenen sich abzeichneten.
Wie ist eine Halbzeitbilanz bei einem derartig komplexen, prozesshaften Gebilde möglich, fragte sich die Redaktion der nmz und entschied sich zunächst dafür, die Kulturreferate nach den Auswirkungen des Netzwerks auf ihr kommunales Kulturleben zu befragen. Meistens selbst eingespannt in die Kofinanzierung, zeichnen die Antworten ein subjektives aber doch alles in allem realistisches Bild des Erreichten. Von über zwanzig angeschriebenen städtischen Kulturbehörden antworteten immerhin zehn ausführlich. Die genauen Antworten finden Sie im Netz unter www.nmz.de – hier soll ein erster Überblick gegeben werden.
Gefragt wurde nach Vernetzung, Vermittlung und der Zeit nach der Förderung durch die BKS.
Die Hamburger Senatorin für Kultur, Karin v. Welck, betont, dass sich das Projekt „sehr gut in die vielfältigen weiteren Aktivitäten einfügt, die rund um das Thema Elbphilharmonie und insbesondere auch zur Musikvermittlung seit einiger Zeit in Hamburg stattfinden“. Überregional wahrgenommen wurde insbesondere der Hamburger Klangcontainer, ein mobiler Mini-Konzertsaal, der in „schwellenloser, sympathischer Weise“ zu den Menschen in die Stadtteile der Elbmetropole reist.
In der Dreiflüssestadt Passau hatte das örtliche Projekt „Musik im Fluss“ wieder eine andere Funktion als in Hamburg. Neue Musik gab es vorher praktisch nicht, die Bemühungen der Festspiele Europäische Wochen einmal ausgenommen, in deren Programmkonzeption Zeitgenössisches aber nur marginal auftauchte. Reinhard Wachtveitl, der Leiter des Kulturamtes Passau, schreibt: „Aus unserer Sicht konnte neues Publikum hinzugewonnen werden, insbesondere junge Menschen. Das Projekt hat sicherlich dazu beigetragen, allgemein das Interesse für die Neue Musik zu wecken und Vorurteile auszuräumen.“ In Köln oder Berlin fehlt dafür vielleicht das Bewusstsein, tatsächlich gibt es aber in Deutschland noch Städte – und zwar nicht zu knapp –, die noch nicht über eine aktive neue Musikszene verfügen. Hier leistet die Initiative der Bundeskulturstiftung Pionierarbeit. Was tatsächlich von der Passauer „Musik im Fluss“ bleiben wird, steht allerdings noch in den Sternen.
Eine besonders interessante Struktur bildete sich im Süden heraus. Unter dem Dach von Musik der Jahrhunderte schlossen sich hier neben der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart 22 Städte aus dem Umland zu einem Projekt Netzwerk Süd zusammen. Die Unterstellung, dass das Projekt vor allem Audience Development für Musik der Jahrhunderte und das Festival Eclat sei, wäre zu kurz gegriffen. Susanne Eisenmann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport, schreibt an die nmz: „Das alles ist sehr erfreulich. In der Musikschule Stuttgart verzeichnet der Fachbereich Komposition großes Interesse.“ Und weiter: „Die Vernetzung der Region hat sicher profitiert. Ein großes Projekt ist im Oktober 2010 das Festival ‚Zukunftsmusik‘, zu dem sich zwölf Städte zusammengeschlossen haben. Jede Stadt beauftragte einen Composer in Residence, ein innovatives musikalisches Projekt für ihre Stadt zu entwerfen.“
Aus der schwäbischen Provinz kommen vorwiegend positive Meldungen zum Netzwerk Neue Musik. So schreibt Martin Schick, Leiter des Kultur- und Sportamtes der Stadt Backnang: „Die entscheidende, anfangs offene Frage war für mich immer, ob wir den Leuten etwa nur ganz engspartig die Trockenkekse in der Manier der Zwölftöner anbieten und sie damit auf Nimmerwiedersehen vertreiben oder ob es gelingt, ihnen geschickt und unideologisch Brücken in die Gegenwart zu bauen, freilich ohne dabei auf Qualität zu verzichten.“
Susanne Aschenbrandt vom Kulturreferat Ostfildern schrieb der nmz: „Es gab MEHR Musik, neue Erfahrungen und Lerneffekte. Differenzierter lässt sich das bestimmen, wenn das Projekt weiter gediehen ist. Gut: direkte und schnelle Kommunikation mit der ‚Zentrale‘. Unbürokratische Abwicklung, soweit es die Vorgaben der Bundeskulturstiftung erlauben. Verbesserungsbedürftig: Notwendige zeitliche Vorläufe bei der Vermittlungsarbeit müssen besser bedacht werden.“
Ebenfalls in der Region wirksam wurde das rheinland-pfälzische Projekt „Spektrum Villa Musica“. Der Referatsleiter Theater-Orchester-Musikpflege im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur, Kajo Pieper, antwortete: „Es kam zu Kooperationen, die auch über 2011 hinaus auf Nachhaltigkeit angelegt sind (Villa Musica und Herrenhaus Edenkoben, Villa Musica und Musikhochschule Mainz, Musikgymnasium Montabaur und AG Neue Musik Grünstadt). Rheinland-Pfalz war bis 2008 ein Land der Einzelakteure in der Neuen Musik, jetzt ist es in diesem Bereich ein Land der vernetzten Aktionen, des runden Tischs, der gegenseitigen Unterstützung und Anregung.“
Erik Schrade, Kulturdezernent der Landeshauptstadt Saarbrücken, schrieb dem Netzwerk Musik Saar ins Stammbuch: „Ein breites Publikum wird Neue Musik wahrscheinlich niemals ansprechen. Auch ist eine Evaluation in der Frage des allgemeinen Musikverständnisses der Bürger schwierig. Ich denke aber, dass vor allem bei Jugendlichen größeres Verständnis für Neue Musik geweckt werden konnte. Es hat sich gezeigt, dass Jugendliche durch Popmusik vielfach unterfordert sind.“
Ebenfalls in diese Richtung gehen Aussagen des Kulturamtes der Stadt Kiel: „Eine Besucherbefragung der ‚Kieler Tage für Neue Musik 2010/Chiffren‘ hat gezeigt, dass das Festival mit der Mischung aus musikalisch hohem Niveau und verschiedenen Vermitt-lungsangeboten beim Publikum sehr gut angenommen wird. Die Altersstruktur der zirka 1.100 Besucher war gemischt. Mit etwa 20 Prozent der Zuhörer unter 25 Jahren konnte auch das junge Publikum von ‚Chiffren‘ begeistert werden.“
Insgesamt überwiegt also das Positive. Einigkeit herrscht aber in der mal schwächeren, mal stärkeren Kritik an der BKS, was die Nachhaltigkeit angeht. Angesichts der aktuellen kommunalen Finanzlage sehen sich viele Kulturreferate nicht in der Lage, definitive Zusagen über weitere Förderungen von Projekten des Netzwerks über 2012 hinaus zu machen.
Der Direktor des Kulturamtes der Stadt Freiburg, Achim Könneke, brachte es am deutlichsten auf den Punkt: „Mehrklang will seine Arbeit unbedingt auch über 2011 hinaus fortführen. Alles andere wäre ja auch absurd, die Initiative war ja von Beginn an strukturell darauf angelegt. Leider sind die Förderungen der Bundeskulturstiftung aber grundsätzlich nicht auf Nachhaltigkeit angelegt, was sich bei allen Struktur-Initiativen der Stiftung, zum Beispiel auch bei ‚Jedem Kind ein Instrument‘, zunehmend als nachhaltiges Problem darstellt. Die Stiftung zieht sich nach vier Jahren nicht nur finanziell, sondern wahrscheinlich komplett zurück, um ein neues Thema anzuschieben. Und so steht für die künftige Basisfinanzierung die Kommune allein in der Verantwortung. Dadurch wird den Kommunen eine große Last aufgebürdet, denn sehr wahrscheinlich kann keine die Lücke der wegfallenden Bundesmittel kompensieren. Da ist deshalb schon in der Struktur der Stiftungsarbeit eine gigantische Sollbruchstelle eingebaut, die die Nachhaltigkeit gefährdet.“
Soweit die Umfrage der nmz (in voller Länge unter www.nmz.de). Ein nächster Schritt wäre nun, Tendenzen in der Qualität und der Ästhetik der Netzwerk-Projekte aufzuspüren. Dazu wäre eine Datenerhebung über die Arbeit der 15 Projekte hilfreich: Wie viele Uraufführungen, wie viele Konzerte, welche Gattungen, wie viele Künstler, Besucher, welche Alterszugehörigkeit et cetera. Zentrales Kriterium für die Qualität der vierjährigen Netzwerkwerkarbeit wird jedoch der Fortbestand einzelner neuer Reihen, neugegründeter Kooperationen und ein stärkeres Publikumsinteresse über das Jahr 2012 hinaus sein.
Die ganze Umfrage unter: www.nmz.de
sounding D
Ein dreitägiges Festival in Eisenach vom 10. bis zum 12. September ist die Abschlussveranstaltung der großen Reise des sounding D-Zuges, der am 25. August in Dresden startet, und dann über die Stationen Berlin, Kiel, Hamburg, Hannover, Köln, Engers, Freiburg, Stuttgart, Augsburg und Passau in Eisenach ankommt. Eine prozessorientierte Klanginstallation von Robin Minard im Zug – für jedermann online zugänglich und auch interaktiv beeinflussbar unter www.sounding-d.net –, viele Konzerte an den Bahnhöfen und in den Städten sowie das Eisenacher Festival sollen den Stand der Netzwerkarbeit darstellen und könnten endlich auch überregionale Beachtung durch Publikum und Medien generieren.
Sehen Sie Bilder der Eröffnungsveranstaltung zu sounding D unter www.nmzmedia.de und lesen Sie das Interview mit Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Bundeskulturstiftung, auf der folgenden Seite.
Lesen Sie außerdem die kompletten Statements zur Umfrage aus:
Freiburg
Hamburg
Kiel
Stuttgart
Ostfildern
Backnang
Passau
Saarbrücken
Mainz
Dresden