Die spätsommerliche Sonne verwandelt den Parkplatz vor der Friedrich- Ebert-Halle in Ludwigshafen in eine flimmernde Asphaltwüste, auf der die über 350 Musiker des Jugendorchesters Simon Bolivar wie fröhliche Ausflügler wirken, die gerade ihren Bussen entsteigen. Doch im Inneren des großen Ausstellungspavillons herrscht bereits angespannte Konzentration; hier gilt’s der Kunst, zumal der Gustav Mahlers, dessen Auferstehungssymphonie am Abend zusammen mit dem Chor der Musikhochschule Mannheim, dem Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz und Mitgliedern des Mahler Chamber Orchestra über die Bühne gehen soll.
Die BASF hatte eingeladen, um in der Reihe „Stars & Friends“ nun schon zum vierten Mal auf Außergewöhliches hinzuweisen: dass sich Armut und Hochkultur nicht ausschließen und das Alte Europa von der Begeisterungsfähigkeit und dem unbedingten Einsatz südamerikanischer Enthusiasten Einiges lernen können. Das Rahmenprogramm „Next Generation. Musik – Bildung – Jugendkultur“ bot die Bühne, um mehr über die Arbeitsweise dieser besonderen Form von Hilfe zur Selbsthilfe zu erfahren.
Der musikalische Mentor und Gründervater José Antonio Abreu (68), der vor 30 Jahren die Fundación des Estado para el Sistema Nacional de las Orquestas Juveniles e Invantiles de Venezuela gegründet hatte, weiß auch heute noch mitreißend zu erzählen, warum seinem Sistema ein großer und nachhaltiger Erfolg beschieden war. Was für viele Entwicklungsländer der Sport, ist für Venezuela die Musik, die klassische vor allem. Da gibt es keine Berührungsängste mit den Heroen der europäischen Hochkultur. Auf die Frage, warum Mahler und kein südamerikanischer Komponist auf dem Programm stünde, antwortet der Jesuitenzögling und Inhaber des alternativen Nobelpreises mit hintergründigem Lächeln, dass Mahler, wie auch Beethoven oder Mozart schließlich der ganzen Welt gehörten und nicht einzelnen Ländern.
Das lockert die Gesprächsrunde auf, die unter der engagierten Leitung von Claus Spahn (Die ZEIT) nach möglichen Lerneffekten bei der musikalischen Ausbildung in Deutschland suchen. Dass es hierzulande mehr und mehr Initiativen im Bereich kultureller Bildung gibt, ist für Andreas Kolb (nmz) ein Symptom für ungelöste Probleme im Gefolge der PISA-Studien; in Deutschland ist es sicherlich schwer vorstellbar, dass Jugendlichen – ohne jegliche musikalische Vorbildung – von der Straße weg ein großes Orchesterkonzert zugetraut wird. Es ist die Liebe zum gemeinsamen Orchesterspiel, die auch der Pianist Herbert Schuch an unseren Musikhochschulen vermisst. Ob die Popularität von Netrebko oder Lang Lang junge Menschen mit Migrationshintergrund zur Musik führen kann, wie sich dies Per Hauber, Marketingleiter von Universal Music Classics, wünscht, stieß nicht nur beim Rektor der Musikhochschule Mannheim auf deutliche Zweifel.
„Lasst uns von Abreu, Dudamel und den jungen Musikern Venezuelas lernen, dass Arbeit und Freude keine Gegensatzpaare sein müssen“, so Klaus Philipp Seif, Leiter Kultur, Sport und Sozialberatung der BASF, die bereits seit 1921 Kunst und Kultur in Ludwigshafen und der Region mit einem jährlichen Budget in zweistelliger Millionenhöhe fördert. Und so erhielt dann am Abend Abreu aus den Vorstandshänden einen Scheck über 50.000 Euro, der neben den zweihundert Geigen einer Lichtensteiner Stiftung sicherlich nicht ausschließlich der klassischen Musik zu Gute kommen wird.
Mit Mahler verbindet Dudamel nicht nur der gleiche Vorname; an allen entscheidenden Stellen seines 27 Jahre jungen Lebens war die Musik des österreichischen Komponisten von großem Einfluss. Seine Interpretation der Fünften verschaffte ihm 2005 den 1. Preis des Bamberger Dirigierwettbewerbs, und mit der Zweiten eroberte er an diesem Abend die Herzen der Konzertbesucher in Ludwigshafen. Nach achtzig Minuten angespannter Konzentration entlud sich orkanartiger Jubel über die erschöpften, aber glücklichen Jugendlichen, die einmal mehr bewiesen hatten, dass man mit und durch die Musik, unabhängig von sozialer und geographischer Herkunft, Außergewöhnliches zu schaffen im Stande ist.