Wohin man in der Musikschul- und Bildungslandschaft blickt – überall trifft man inzwischen auf Unterrichtsformen, wie Klassenmusizieren in Kooperationen mit Grundschulen und Elementares Musizieren in Kindertagesstätten. Häufig wird der Unterricht im Rahmen dieser Kooperationsmodelle als Tandemunterricht oder Teamteaching beschrieben. Musikschullehrkräfte sollen also beispielsweise gemeinsam mit Grundschullehrerinnen und -lehrern beziehungsweise Erzieherinnen und Erziehern unterrichten. Die (richtige) Grundidee ist oft, dass beide Professionen ihre Stärken und Schwerpunkte zugunsten der Schülerinnen und Schüler gewinnbringend einspeisen können und, dass der stundenweise und daher nur punktuelle Musikunterricht durch die externe Fachkraft Impulse gibt und getragen wird durch eine weitergehende Musikalisierung des Alltags in den jeweiligen Einrichtungen durch die dort tätigen Personen.
Hinterfragt man die Umsetzung solcher Vorgaben bei den beteiligten Lehrkräften, so stellt man sehr schnell fest, dass diese sich mit ihrer Aufgabe allein gelassen fühlen oder gar überfordert sind. Auch sucht man vergebens in den Projektunterlagen nach detaillierten Aufgabenbeschreibungen und Handreichungen. Dabei weiß man, dass ein Team, denn nichts anderes ist ein Unterrichtstandem, und die dazu notwendige Teambildung nicht „einfach so“ vonstatten gehen, sondern aktiv entwickelt und die benötigten Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen.
Ganz besonders in der Konstellation Musikschullehrkraft und Grundschullehrkraft treffen Personen aufeinander, die es gewohnt sind, als „Einzelkämpfer“ ihren Unterricht zu bestreiten. Um die Ressourcen der beiden Lehrkräfte sinnvoll zu nutzen und zu einem erfüllenden Unterrichtsergebnis für alle Beteiligten zu kommen, bedarf es grundlegender Voraussetzungen, welche in der Regel in den Konzepten der Kooperationen nicht eingeplant sind. Bisweilen bekommt man den Eindruck, dass besonders in Kooperationen mit Kindertagesstätten der Sinn des Tandems nur darin besteht, besonders viele Kinder in einer Gruppe unterrichten zu können. Bei Kooperationen mit Grundschulen sollen durch die Tandemlösung oft die fehlenden Erfahrungen der Musikschullehrkräfte im Klassenunterricht ausgeglichen werden. Diese Ansätze werden der eigentlichen Aufgabe und Bedeutung der Unterrichts-Tandems in keinster Weise gerecht. Dass trotz dieser teils sehr ungünstigen Rahmenbedingungen manche Tandems hervorragend funktionieren, liegt an der großen Bereitschaft der beteiligten Personen, sich über das normale Maß hinaus zu engagieren und auf diese, für viele ungewohnte, Lehrsituation einzulassen.
Rahmenbedingungen durch Kooperationsverträge regeln
Um die Unterrichtsform Tandem überhaupt durchführen zu können, reicht es nicht aus, dass sich die beteiligten Lehrkräfte dazu bereit erklären. Sowohl die kooperierenden Einrichtungen, Musikschulen und Kindergärten, beziehungsweise deren Träger, als auch die Musikschulen und die Grundschulen, sollten einen entsprechenden Rahmenvertrag unterzeichnen, in dem alle notwendigen Grundvoraussetzungen, Rechte und Pflichten detailliert beschrieben sind. So können viele Reibungspunkte, wie die Raumbelegung, Schlüsselprobleme, Vertretungsregelungen, zusätzliche Veranstaltungen wie Elternabende oder Auftritte zu Kindergarten- und Schulfesten etcetera im Vorfeld geregelt werden.
Finden sich dann Lehrkräfte, die bereit sind, in einem Tandem zusammenzuarbeiten, ist ein solider Grundstein gelegt. Sehr wichtig ist es als nächs-tes, den beteiligten Personen Zeitfens-ter für regelmäßige Besprechungen einzuräumen. In diesen Gesprächen müssen die Unterrichtsziele und Notwendigkeiten gemeinsam geplant und vorbereitet werden. Ohne diese regelmäßigen Absprachen, welche in die Arbeitszeiten eingeplant werden müssen, ist keine Teambildung möglich. Grundvoraussetzung für jede Teambildung ist auch das Bewusstsein, dass diese Prozesse nicht sofort passieren, sondern sich über einen Zeitraum entwickeln. Häufig benötigen Tandems ein bis eineinhalb Jahre, um richtig gut zu funktionieren. Häufige personelle Wechsel sollten daher soweit möglich vermieden werden. Sehr hilfreich ist es, wenn die Tandems von außen begleitet werden und jederzeit die Möglichkeit haben, ihre Probleme mit einer außenstehenden Person zu besprechen oder Supervisionsangebote zur Verfügung stehen. Auch sollten die Tandemlehrkräfte entsprechende Fortbildungsangebote wahrnehmen können.
Teambildung als Prozess
Im Entwicklungsprozess eines Tandems durchläuft dieses verschiedene Entwicklungsstadien. Begegnet man sich zu Beginn respektvoll und vorsichtig, so kommt es in der Zusammenarbeit bald zu einem Entwicklungsstand, in dem auch Reibereien und Missverständnisse oft unvermeidlich sind. Beide Lehrpersonen müssen lernen, die Lehrmethoden des anderen zu respektieren. Begegnen sich die Personen aber mit einer grundsätzlichen gegenseitigen Wertschätzung, so entsteht in dieser Phase die Grundlage, welche es ermöglicht, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es entstehen neue Umgangs- und Verhaltensweisen, die auch ein gegenseitiges kritisches Feedback ermöglichen, sowie die gemeinsame Suche nach neuen Lösungsansätzen. Eine gemeinsame Analyse der Stärken und Schwächen schafft eine gute Grundlage zu einer sinnvollen Aufgabenverteilung im Unterricht.
Je besser die Tandems in diesem Prozess begleitet werden, umso schneller lässt sich eine Unterrichtssituation herstellen, in der sich alle Beteiligten wohl fühlen und der Mehrwert des Tandems für die Schüler auch wirklich zum Tragen kommt. Es sei an dieser Stelle auch gesagt, dass nicht jedes Tandem funktioniert. Denn hinter allem steht bekanntlich der Mensch mit seiner Individualität. Gerade hier ist es wichtig, dass eine außenstehende Person zeitnah eingreift und nach passenderen Tandem-Konstellationen sucht. Passen die Lehrpersonen nicht zusammen, können sie dies auf Dauer vor den Schülern nicht verbergen und die Unterrichtssituation wird immer unbefriedigend und angespannt bleiben.
Betrachtet man hingegen funktionierende Tandems, so kommt man sehr schnell zu der Erkenntnis, dass es die unterschiedlichsten Modelle und Rollenverteilungen gibt. Es finden sich beispielsweise Unterrichtsmodelle, bei denen die Lehrkräfte die Unterrichtsbausteine teilen und jeder zeitweise die ganze Gruppe oder Klasse unterrichtet. Der oder die Andere beobachtet in dieser Zeit den Unterricht und erlebt ihn quasi aus der Schülerpers-pektive. Bei anderen Modellen teilen die Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler zeitweise in zwei Gruppen auf, oder einer befasst sich intensiv mit einer Kleingruppe oder einem einzelnen Schüler. Häufig sieht man auch, dass beide Lehrkräfte während einer Explorationsphase einzelne Schüler punktuell betreuen. Wichtig ist, dass beide Lehrkräfte sich vor jeder Unterrichtsstunde über den Ablauf und die Methodenauswahl verständigt haben, damit es vor den Schülern nie zu Unstimmigkeiten kommt. Ein gut funktionierendes Tandem kann sich nach einiger Zeit oft wortlos verständigen und das gegenseitige Vertrauen ermöglicht es, jeweils dem Anderen den entsprechenden Raum für seinen Unterrichtsteil einzuräumen. Bei einem respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander werden beide Partner aus dieser Arbeit wertvolle Erkenntnisse ziehen und einen gro-ßen Zugewinn an Methoden und Möglichkeiten verzeichnen.
Einen großen Schritt in der gemeinsamen Arbeit zur Entwicklung des Tandems können auch gemeinsame Projekte wie die Ausgestaltung von Festen etcetera darstellen, bei welchen häufig noch weitere Kolleginnen und Kollegen beteiligt sind. Hier muss das Tandem als Einheit nach außen auftreten und seine Ziele gemeinsam verfolgen.
Vorteile der Tandemarbeit
Der individuelle Umgang mit einer heterogenen Gruppe durch vermehrte Binnendifferenzierung wird durch die Tandemarbeit deutlich erleichtert. Der wiederkehrende Rollenwechsel der Lehrkräfte zwischen Beobachten und Anleiten ermöglicht es ihnen, die Kinder intensiver auch individuell wahrzunehmen. Ein anschließender Austausch mit der Grundschullehrkraft, der Erzieherin oder dem Erzieher gibt Aufschlüsse und Erkenntnisse über bestimmte Verhaltensweisen der einzelnen Kinder. Für Schülerinnen und Schüler ist es zudem oft ein besonderes Erlebnis, ihre Lehrkraft einmal in der Rolle des Schülers, der den Unterricht mitmacht, zu sehen. Dies öffnet den Kindern oft Türen zu einem anderen und vertrauensvolleren Umgang mit ihrer Lehrkraft.
Auch in der Elternarbeit zeigt die Zusammenarbeit im Tandem positive Ergebnisse. Die Musikschullehrkraft, die nur zeitweise in der Einrichtung ist, bekommt die Eltern nur selten zu sehen. Hier kann über die Erzieherin, den Erzieher, oder über die Grundschullehrkraft ein engerer Austausch hergestellt werden.
Obwohl bei vielen Kooperationen an den Grundbedingungen deutlich nachgebessert werden sollte und nicht allerorts das Rad neu erfunden werden muss, ist festzustellen, dass die Mehrheit der im Tandem unterrichtenden Lehrkräfte diesen als äußerst lohnend und gewinnbringend einschätzen. Durch die Tatsache, dass jede Lehrkraft ihre besonderen Fähigkeiten und Ideen in diesen Unterricht einbringt, gewinnt dieser ganz erheblich an Qualität. Daher gilt es weiterhin, jede Lehrerin, jeden Lehrer, jede Erzieherin, jeden Erzieher und insbesondere die verantwortlichen Leitungen in Schule, Musikschule und Kindertagesstätte zu ermutigen, den Schritt in die Arbeit als oder mit Tandems zu wagen und dabei für die nötigen Rahmenbedingungen und Begleitmaßnahmen zu sorgen.
„If you have an apple and I have an apple and we exchange these apples then you and I will still each have one apple. But if you have an idea and I have an idea and we exchange these ideas, then each of us will have two ideas.“ (George Bernard Shaw)