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Theo Brandmüller in der Kirche des Klosters São Bento an der dortigen Walcker-Orgel. Foto: Thomas Milz
Theo Brandmüller in der Kirche des Klosters São Bento an der dortigen Walcker-Orgel. Foto: Thomas Milz
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Theo Brandmüllers Messiaen-Rallye durch die Orgellandschaft Südamerikas

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Wenn es eine Rallye für Organisten gäbe, die Südamerika durchkreuzt, um die besten Orgeln zu erkunden und auf ihnen auch noch in einer Rekordzeit ein äußerst anspruchsvolles Programm zu spielen, dann wäre der deutsche Organist und Komponist Theo Brandmüller Favorit. Allen Teilnehmern gegenüber hätte er einen unschlagbaren Vorteil: Er ist zwar beileibe nicht der erste Organist, der in der Region gastierte, aber er hat als einer der ersten schon einen solchen künstlerischen Marathon hinter sich gebracht, mit dreizehn Konzerten in sechs Ländern innerhalb von knapp dreißig Tagen.

Wenige Wochen, bevor die nach Südamerika verlegte Dakar-Autorallye viel Staub in Südamerika aufwirbelte, ist Brandmüller Ende vergangenen Jahres kreuz und quer durch den Subkontinent gereist. Er hat Orgeln jeder Größe und Bauart aus den unterschiedlichsten Epochen traktiert und überdies ihre Tauglichkeit für Neue oder gar Neueste Musik erkundet.

Wenn die Tour de force einen Namen bräuchte, müsste man sie Messiaen-Rallye nennen, denn der Grand Maître der zeitgenössischen französischen Orgelmusik stand bei fast allen Konzerten im Mittelpunkt. Die Tournee war eine Hommage zum hundertsten Geburtstag Messiaens (am 10. Dezember), zu dessen Schülerschar sich Brandmüller zählen kann. Möglich gemacht und organisiert hatte die Reise das Goethe-Institut, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Französischen Kulturinstitut. Ohne die Logistik derart weltumspannender In-stitutionen wäre das Unternehmen nicht zu bewerkstelligen gewesen.

Brandmüllers Strapazierfähigkeit wurde aufs äußerste auf die Probe gestellt, auch wenn sein Programm an einem paradiesischen Ort begann und er sich nach dem anstrengenden Flug über den Ozean erst einmal in Rio de Janeiro in einem Hotelzimmer mit Blick auf den Strand von Ipanema erholen durfte. Von Rio flog er in die brasilianische Megalopolis São Paulo, von da in die peruanische Hauptstadt Lima und weiter nach Bogotá in Kolumbien. Der Nachtflug nach Buenos Aires quer über den Subkontinent war nicht nur die längste Teilstrecke, Brandmüller musste auch gleich noch am Tag seiner Ankunft sein erstes Konzert auf argentinischem Boden geben. Nach Abstechern in die argentinischen Provinzstädte Córdoba und San Juan, einer Kurz-Expedition nach Asunción in Paraguay und einem Konzert mit Workshop im urugayischen Montevideo tourte er zum Abschluss wieder durch Brasilien, gastierte noch in Porto Alegre, Curitiba und Salvador da Bahia.

Die Programme der Konzerte hatte Brandmüller schon in Deutschland entsprechend der Disposition der einzelnen Instrumente zusammengestellt. Das Kernstück, Messiaens Zyklus „La Nativité du Seigneur“, konnte er komplett nur auf zwei Instrumenten aufführen, die alle notwendigen Register und Spielhilfen boten: auf der Walcker-Orgel im Kloster São Bento (Sankt Benedikt) in São Paulo, in dem Papst Benedikt XVI. auf seiner Brasilienreise 2007 einquartiert war, und auf der Cavaillé-Coll-Mutin-Orgel in der Kirche vom Allerheiligsten Sakrament in Buenos Aires. Das waren zugleich die beiden edelsten Instrumente auf der gesamten Tour. Die Reaktion des Publikums auf Brandmüllers Messiaen-Interpretation war in São Paulo begeistert, in Buenos Aires gar enthusiastisch. Dort zählte auch die Grande Dame der argentinischen Komponisten, Alicia Terzian, zu den Zuhörern.

In Buenos Aires gibt es ohnehin ein sehr sachverständiges Publikum. Eine erstaunlich große Zahl gut ausgebildeter oder gar zur internationalen Spitze zählender Organisten bietet in einer Reihe von Kirchen mit Orgeln von guter Qualität in ordentlichem Zustand das Jahr über Konzerte auf hohem Niveau. Messiaen zählt dabei zu den festen Größen in den Programmen. Brandmüller spielte in den übrigen Konzerten auf seiner Tournee einzelne Teile aus Messiaens Weihnachts-Zyklus oder auch andere Stücke des Komponisten, wie etwa die „Apparition de l’Eglise éternelle“ oder die sechste Meditation aus dem „Mystère de la Sainte Trinité“, je nachdem, wie die Stücke auf den einzelnen Orgeln realisierbar waren. Lediglich in Bogotá verzichtete er ganz auf Messiaen, weil dem Jubilar dort ein französischer Organisten-Kollege fast zur gleichen Zeit huldigte. Im Übrigen wählte Brandmüller Stücke aus seinem weitgefächerten Repertoire zwischen Barock und Moderne, Beispiele aus dem Œuvre seiner Lieblingskomponisten, dem Portugiesen Diego de Conceição aus dem 17. Jahrhundert, César Franck (mit dessen erstem Choral) oder Jéhan Alain, auch Bach fehlte hie und da nicht.

Fast an allen Orten hatte Brandmüller Gelegenheit, sich als Improvisator und Komponist zu präsentieren, mit seinen eigenen Stücken „Innenlicht“ und „Die Grotten von Eyzies“ oder Improvisationen über den Hymnus „Conditor Alme Siderum“ und über deutsche oder brasilianische Weihnachtslieder. Seine monumentale Hommage an Messiaen „Norge“ (in Anlehnung an Norwegen als Messiaens Lieblingslandschaft) konnte er nur an drei Orten, in Rio de Janeiro, Bogotá und bei seinem zweiten Konzertauftritt in Buenos Aires aufführen, weil die übrigen Orgeln nicht dafür geeignet waren. In Buenos Aires bekam er spontan minutenlangen Sonderapplaus für sein Werk. Gerade die Cavaillé-Coll-Mutin-Orgel in der Kirche vom Allerheiligsten Sakrament, auf der er „Norge“ spielte, hatte es Brandmüller angetan. Das von dem Orgelbauer Juan H. Weinhold bestens in Schuss gehaltene Instrument verfüge, so Brandmüller nach dem Konzert, über viel Grundtönigkeit in der Intonation und zarte Mixturen, ideale Klangbedingungen für sein prachtvolles Landschaftsklanggemälde, dessen äußere Wucht zerbrechliche Strukturen umhüllt und in die Zeitlosigkeit auszuströmen scheint.

Die Orgellandschaft Südamerikas hat Brandmüller auf seiner Parforcetour aus vielerlei Perspektiven kennengelernt. Eine Station auf seiner Reise hatte er allerdings ganz streichen müssen. Die Orgel im uruguayischen Paysandú war wegen Witterungseinflüssen unspielbar. Das Instrument im argentinischen Córdoba war trotz Reparaturbemühungen bis zur letzten Minute vor dem Konzert in prekärem Zustand. In Paraguay spielt Orgelmusik im Bewusstsein der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle, entsprechend ungepflegt ist das Instrument gewesen, an dem er in Asunción musizierte. Die meist kleineren Orgeln in den übrigen Städten befänden sich immer dann in ordentlichem Zustand, wenn sich ein Musikerherz um die durchweg hundert Jahre alten Instrumente kümmere, sagt Brandmüller. Die meisten Kirchen-Orgeln seien reparaturbedürftig, doch häufig müsse man der Geistlichkeit vor Ort überhaupt klarmachen, dass die Instrumente gewartet und gepflegt werden müssten. Brandmüller empfahl deshalb hier und da die Gründung von Orgelvereinen in den Gemeinden und er suggerierte Mäzenaten-Institutionen oder Sponsoren zu gewinnen, um größere Reparatur-Aktionen, wie sie etwa in Córdoba nötig sind, finanzieren zu können.

Die beiden „säkularen“ Orgeln in Konzertsälen, die er auf seiner Tournee kennenlernte, ein Instrument in einer öffentlichen Bibliothek in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá und die Orgel im „Auditorio“ der Universität der argentinischen Provinzstadt San Juan, sind zwar keine Spitzeninstrumente, befinden sich jedoch in sehr gutem Zustand. In Bogotá kümmert sich bezeichnenderweise eine Bank um das Konzertleben, und in dem akustisch hervorragenden Konzertsaal in San Juan sorgt eine private Initiative, das „Mozarteum“, für einen regen Konzertbetrieb. Dort gibt es ein erfahrenes Publikum, zu Brandmüllers Auftritt kamen fast tausend Zuhörer.

Bei den Orgel- und Kompositions-Workshops, die Brandmüller neben seinen Konzerten in Córdoba, Bogotá, Montevideo und Porto Alegre leitete, beobachtete er durchweg ein Ausbildungsniveau, wie es in den deutschen „Mittelbau-Instituten“, den Konservatorien, anzutreffen ist. An die Ansprüche, wie sie in den deutschen Musikhochschulen gestellt werden, reiche es nicht heran, resümiert Brandmüller seine Beobachtungen. Allerdings äußerten die Musikstudenten durchweg den Wunsch, ihre Kenntnisse über die zeitgenössische Musik erweitern zu wollen. Die großen Meister der klassischen Moderne, Schönberg oder auch Messiaen, seien keineswegs Unbekannte, doch die neue und neueste europäische Musik-Szene sei weitgehend Terra incognita, hat Brandmüller beobachtet. Hochbegabten, sowohl im Orgelfach als auch in Komposition, bleibe nur der Weg nach Europa, um sich an den dortigen Spitzeninstituten fortzubilden. Brandmüller will sich deshalb bei einschlägigen deutschen Fördereinrichtungen wie etwa dem DAAD dafür einsetzen will, dass verstärkt Musiker aus Südamerika bei einem Austausch berücksichtigt werden.

Wie groß das Interesse in Südamerika an den Werken der heutigen Komponisten in Europa und speziell in Deutschland ist, hat Brandmüller an den Reaktionen auf die Interpretation seiner eigenen Stücke und Improvisationen erfahren. Der Impakt seines Personalstils macht es allerdings auch vergleichsweise einfach, über Hörerfahrungen früherer Musik, deren Spuren sein Werk durchzieht, in das Ungehörte hineinzufinden. So anstrengend die Orgelrallye des deutschen Musikers kreuz und quer über den Subkontinent auch war, er würde jederzeit wieder auf Tour gehen, bekennt Brandmüller. Vor allem die Begegnung mit den musikinteressierten jungen Südamerikanern in den Konzerten und Workshops hat ihn begeistert. Sie seien es schließlich auch, meint er, die künftig ihre künstlerischen Erfahrungen in ihrem Kulturraum an andere weitergeben sollen und deshalb alle Förderung verdienten.

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