Banner Full-Size

Traditionen wiederbeleben

Untertitel
„Nova – Sendesaal Bremen“ mit einem John-Cage-Schwerpunkt
Publikationsdatum
Body

Festivals mit überregionaler, ja internationaler Ausstrahlung durch einen finanziellen Federstrich zu beenden, wie es im Jahre 2000 mit „Pro musica nova“ bei Radio Bremen geschah, ist leicht. Aber ein Festival von Grund auf neu zu konzipieren und im Publikum zu verankern, ist schwer, langwierig und reich an Enttäuschungen, weil die ursprünglichen treuen Besucher erstmal weggebrochen sind. Aber nachdem der Bremer Sendesaal gegen die Abrisspläne einer in dieser Hinsicht banausischen Landesregierung und eines willfährigen damaligen Intendanten auch nach dem Umzug Radio Bremens in die Innenstadt erhalten wurde (siehe neue musikzeitung 5-12), schickte sich nun die Crew um Peter Schulze bereits zum zweiten Mal an, mit „Nova – Sendesaal Bremen“ an die einst von Hans Otte begründete „Pro musica nova“ anzuknüpfen.

Dass dabei John Cage im Mittelpunkt stand, ist nicht nur dem aktuell anstehenden 100. Geburtstag des Komponisten zuzuschreiben; Cage hatte zu Bremen eine lange und inhaltsreiche Beziehung – zwischen 1959 und 1982 war er sechsmal hier, zuletzt am Mischpult seiner Raummusik „A House Full of Music“, die bei der „Nova“ 1982 im Übersee-Museum realisiert wurde. Und genau dort setzte die jetzige „Nova“ an, nämlich mit der deutschen Erstaufführung der letzten, posthum beim Grazer Musikprotokoll 1992 uraufgeführten Komposition des amerikanischen Komponisten: „Fifty Eight for concert band“. Die 58 Bläser des Landesjugendorchesters, einstudiert von Stefan Geiger, boten im Lichthof des Museums eine klangmächtige, fast zeremonielle Rundum-Beschallung der zahlreichen Besucher, eine Wiedergabe des exakt 45-minütigen Stückes, die derjenigen im Grazer Landhaushof keineswegs nachstand.

Die drei Kammerkonzerte vereinten Klavierwerke von Cage und jüngeren Tonsetzern sowie Kammermusik von Studierenden der Bremer Hochschule für Künste aus der Klasse Jörg Birkenkötter. Steffen Schleiermacher (Leipzig) vereinte an zwei Flügeln die Sonaten aus Cages „Sonatas and Interludes for Prepared Piano“ mit normal notierten Werken von Hans Otte, Karlheinz Stockhausen, Earle Brown und Morton Feldman, wobei sich bei Stockhausens „Klavierstück V“ einmal mehr der verblüffende Effekt zeigte, dass dieses einst hochavantgardistische Werk heute Klangschichten hervorkehrt, die an Debussy, ja an Liszt denken lassen.

Die Kompositionsschüler Vinicius Giusti, Jan Messtorff, Alexander Müller und Anton Wassiljew zeigten sich als Begabungen, die noch auf dem Wege zu sich selbst, zu einer eigenständigen, persönlichen Handschrift sind. Die wiederum war im abschließenden Klavierabend von Sophie-Mayuko Vetter mit Werken von Peter Ruzicka und Hans Otte überdeutlich vorhanden: die klangsensible und technisch brillante Künstlerin interpretierte Ruzickas „Fünf Szenen“ und „Parergon“ als gleichermaßen expressive wie pianistisch dankbare Momente aus dramatischen Zusammenhängen, Ottes „Stundenbuch“ hingegen als introvertiert-meditative Miniaturen, in denen die Zeit stillzustehen scheint. 

Ein Orgelabend mit Zsigmond Szathmáry im Bremer Dom brachte eine eindrucksvolle Uraufführung von Detlef Heusingers „Tombeau sur le mort de G. F. H.“, eine Gedenkmusik für den Vater des Komponisten; es ist ein Werk, das die Klangtraditionen der Orgel nicht vorschnell verfremdet, weil das halt angeblich „modern“ sei, sondern sie akzeptiert und darin eine überzeugende formale Entwicklung gestaltet. „Der Dom und das Meer“ von Mesias Maiguashca lieferte kaum mehr als ein banales Zitat aus Debussys Prelude „La cathédrale engloutie“, Wilfried Michels „Labial“ für Orgel und Tonband versuchte sich in Zirkus-Atmosphäre und Ernst Helmuth Flammers Toccata aus „Superverso“ erinnerte durch ihr interessantes Konzept an die Uraufführung des gesamten Zyklus vor 20 Jahren bei „Pro musica nova“. Szathmáry selbst schließlich steuerte „Rhetorica“ für Solovioline bei, klangschön wiedergegeben durch seine Tochter Anikó Katharina Szathmáry.

Das Festival klang medial aus mit Theo Geißlers Dokumentation „Sounding D“, einer filmisch festgehaltenen Reise mit der Deutschen Bahn durch die Zentren der Neue-Musik-Aktivitäten, die in den vergangenen vier Jahren durch die Bundeskulturstiftung gefördert worden waren.

In Anbetracht der meist bescheidenen Publikumsresonanz bei dieser „Nova“ wünscht man der Bremer Sendesaal-Crew Stehvermögen, Geduld, Hartnäckigkeit, mehr Vernetzung in der Stadt und Erfolg bei der Suche nach einem eigenen Profil.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!