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Wenn gerade mal wieder ein Schuljahr vorbei ist und mir bei dem Gedanken an das nächste unwohl wird, dann frage ich mich in den letzten Jahren immer wieder und immer häufiger: Warum mache ich das eigentlich noch? Woche um Woche in den Klassen 6 bis 9 muß ich jeweils eine Stunde Musik unterrichten in einer Grund- und Hauptschule, die in einem echten Brennpunkt liegt, die ein Kollegium hat, dessen Durchschnittsalter bei etwa 46 Jahren liegt, deren baulicher Zustand und deren Ausstattung in allen Fächern, nicht nur in Musik, so überaltert ist, daß es selbst bei unseren Schülern nur ein mühsames Lächeln hervorruft.
Ich will‘s gar nicht leugnen, mich überkommt häufig die blanke Wut, wenn ich daran denke, daß die Nachbarschule, eine vor einigen Jahren gegründete Gesamtschule, ein neues Gebäude, eine perfekte Ausstattung bekam, daß diese Schule unsere motiviertesten SchülerInnen nach Klasse 4 abzog (was ich von den Eltern wiederum verstehen kann, denn wir hätten gar nicht die Förderungsmöglichkeiten); mit einem Schlag waren Flöten-AG und Chor dahin. Doch diese Wut hilft ja auch nicht weiter, selbst wenn ich mir sagen lasse, daß der Unterricht drüben auch nicht besser läuft als bei uns. Die Gründe für meine Misere aber liegen noch tiefer:
* Als ich vor 21 Jahren studiert habe (Musik war mein Drittfach), sind wir nur begrenzt ausgebildet worden. Was mir fehlt, sind viele elementare Kenntnisse, besonders was das Musizieren mit Gruppen angeht.
* Die Musik, die ich mag, (donnerstags spiel‘ ich noch immer in einer Skiffle-Group) ist nicht die meiner Schüler. Ihre Musik geht mir, ganz offen gestanden, aber auch unheimlich auf den Wecker.
* Die wenigen Fortbildungsveranstaltungen, die uns vom Landesinstitut angeboten werden, sind entweder überbelegt, nicht genügend auf meine konkrete Situation zugeschnitten, oder aber: Ich bekomme wegen des zu hohen Krankenstandes an meiner Schule keine Beurlaubung.
* Weder die Raumausstattung (der Musikraum ist ein notdürftig hergerichteter Klassenraum) noch die Unterrichtsmaterialien (“Bruder Singer“ und “Musik im Leben“) entsprechen meinen Vorstellungen.
* Ich bin “Einzelkämpfer“ - kein Musikkollege ist da, mit dem man mal reden könnte; beispielsweise über das Desinteresse und die Ahnungslosigkeit beim Schulleiter gegenüber der Musik (“Sie haben‘s gut! Sie dürfen mal wieder eine ganze Stunde singen!“)
Ich weiß, das alles klingt recht jammernd. Um Verständnis will ich bei Außenstehenden auch gar nicht werben. Vielleicht geht es mir mit diesen Zeilen auch nur darum, endlich einmal uns Hauptschullehrern und unseren alltäglichen Schwierigkeiten die Stimme zu geben. Doch selbst die versagt, weil es sicher nicht nur eine Stimme gibt. Da lese ich von einer Hauptschule, die bei „Schulen musizieren“ in Lübeck aufgetreten ist und großen Eindruck auf alle Beteiligte gemacht hat. Ja, das gibt es, aber für solche Möglichkeiten fehlen mir die finanziellen Mittel und die notwendige Zeit für die AG-Arbeit. Wenn die Schulleitung meint, erst einmal müsse die Stundentafel abgedeckt sein, dann könne man an die Arbeit mit Gruppen denken, dann werde ich bis zu meiner Pensionierung in diesem Bereich nichts anbieten können.
Offen gestanden: Mir geht es häufig so wie meinen SchülerInnen: Ich habe „null Bock auf nichts“, ich mag meinen Musikunterricht ebenso wenig wie sie. Und weil er nichts bringt, finde ich die Schule ebenso grausam wie sie. Nur: Sie dürfen nach neun Jahren gehen, ich habe bis zur Pensionierung jetzt immer noch knapp 20 Jahre vor mir. Wenn nicht bald etwas passiert, dann werde ich sicher vorzeitig in den schon jetzt wohl verdienten Ruhestand gehen; und daß ich ab dem kommenden Schuljahr noch zwei Stunden mehr unterrichten soll, kann ich überhaupt nicht einsehen.
Was passieren soll? Diese Frage kann ich leicht beantworten, besonders seit vor einiger Zeit drei Studenten an meiner Schule ihr Praktikum absolviert haben und in meiner 7b unterrichtet haben. Alle hatten (auch) das Fach Musik und kamen von derselben Hochschule. Sie sind anders ausgebildet als ich: Sie haben statt Chorleitung gelernt, wie man eine Band aufbaut, konnten mit Instrumenten aus Afrika und Südamerika improvisieren. Sie schrieben kleine klassische Stücke für die verrückteste Besetzungen um, konnten sich zur Musik bewegen und tanzen. Sie haben auch gelernt, wie man zusammenarbeitet, das konnte ich gut sehen.
Ganz ehrlich: Als sie diese paar Wochen lang an unserer Schule waren, ging es mit mir und meinem Unterricht besser. Wenn die gegenwärtige Einstellungssituation endlich geändert würde, wenn solche jungen KollegInnen bei uns wären, wenn wir unseren Musikstundenplan und unsere Inhalte selbst schreiben könnten, dann wäre ich nicht so resigniert. Und meine Schüler- und Schülerinnen und ich hätten den Spaß im Musikunterricht, den ich hatte, als ich 1975 das Wahlfach Musik belegte.
Dossier · Klassik Komm. und die „Aktion Musik“
Klassik Komm.
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