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Und ewig lockt die Zauberflöte

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Theatermarketing muss sich in der Praxis bewähren
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Montagmorgen, 10.00 Uhr, in einem deutschen Stadttheater. Konzeptionsprobe für die Neuinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“. Anwesend sind das Regieteam von auswärts samt Dramaturgin, alle beteiligten Solisten, Assistenten, Repetitoren, Hospitanten et cetera. Noch sechs Wochen bis zur Premiere. Heute lüften die „Macher“ ihr Geheimnis. Die Bühne ist Modell, die Kostüme hängen als gemalte Figurinen an der Wand, der Regisseur erläutert sein Konzept und der Dirigent summt einen Rhythmus vor.

Diese Situation wird sich in der laufenden Spielzeit rund 30 Mal wiederholen. So viele Neuproduktionen werden in Oper, Schauspiel und Ballett pro Saison an einem Dreispartenhaus gestemmt. Der Konzeptionsprobe folgen sechs Wochen harte Arbeit bis zur Premiere. Eine ist fast immer dabei: die Frau vom Marketing. „Was machen Sie eigentlich hier?“, wird sie gelegentlich von Kollegen gefragt.

Dabeisitzen, zuhören, Ideen entwickeln, wie die Inszenierung optimal beworben werden kann. „Die Zauberflöte“ markiert in diesem Jahr den Saisonstart. 18 Vorstellungen stehen auf dem Programm. Das Ziel: Mozarts Singspiel soll in diesem Jahr mindestens 20.000 Besucher ins Opernhaus locken.

Die „Zauberflöte“ in statistischen Zahlen: 47 Neuinszenierungen gab es deutschlandweit allein in der vorletzten Spielzeit. Das macht 658 Aufführungen mit über 354.000 Besuchern*; muss man diesen Selbstläufer überhaupt „vermarkten“? Man muss: Gerade mit den bekannten „Highlights“ kann man neue Publikumsschichten erreichen. Aber wie?

Theatermarketing, was ist das?

Dahinter steckt ein Budget, das meist gerade ausreicht, um die allgemeinen Infos (Spielpläne, Theaterzeitung, Infoplakate) zu drucken. Dazu kommen Computer, Fax und Telefon. Im Mittelpunkt steht immer ein Produkt, das im künstlerischen Raum ziemlich frei von Zielgruppenforschung entsteht. Positiv formuliert: Der Mangel fördert die Kreativität. Und: Theatermarketing ist und bleibt die Kunst, Kunst zu vermarkten, ohne sie zu beschädigen.

Spielplan und Theaterzeitung sind längst gedruckt und verteilt, wenn das Team sich zur ersten Probe trifft. „Die Zauberflöte“ ist nur ein Stück unter vielen. Am deutschen Stadttheater wird geklotzt, nicht gekleckert. Hier sind es drei Sparten, acht Spielstätten, 1.000 Veranstaltungen im Jahr. Allein in diesem Monat stehen 13 Produktionen mit 77 Aufführungen auf dem Spielplan, 7 davon sind Premieren. Mittendrin der traditionelle Großevent , „Tag der offenen Tür“ im Schauspielhaus.

Was also tun?

Erstens: Das A und O ist die hausinterne Information, denn das Team der Theaterkasse, das Garderobenpersonal und die Bühnenpförtner sind die Menschen mit dem ersten und intensivsten „Kundenkontakt“. Die Ticketverkäufer müssen jederzeit Bescheid wissen – sie leisten harte Basisarbeit: Über den nüchternen Kartenverkauf hinaus pflegen sie das persönliche Gespräch mit „ihren“ Theaterfans, wissen, wo Herr Meier am liebsten sitzt und welches neue Schauspiel Frau Schmidt unbedingt gesehen haben muss. Eignet sich die neue „Zauberflöte“ für Kinder? Oder für Tante Herta zum 70. Geburtstag? Fragen, die die Servicekräfte beantworten müssen, damit der Opernbesuch für den Einzelnen kein „Flop“ wird. Gerade Mozarts Meisterstück gilt als „Einstiegsdroge“ für Opernsüchtige – begeisterte Besucher werden wiederkommen und sich auch andere Opern ansehen. Das Stadttheater lebt schließlich von seinen Abonnenten und „Stammkunden“, die jedes Jahr fünf, zehn oder mehr Aufführungen sehen.

Zweitens: Die Medien müssen motiviert werden. „Das Theater muss jeden Tag in der Zeitung stehen“, meinen Intendanten und haben Recht. Aber überzeugen Sie mal den Chef der Lokalzeitung davon, schon wieder über eine „Zauberflöte“ zu berichten! Themen finden und anbieten: Ein Interview mit dem Dirigenten („international gefeierter Spezialist“), ein Bericht über den Regisseur („bekannter Maler mit Hang zur Oper“), eine Backstage-Reportage aus den Werkstätten („lebensgroße Tiere – handgearbeitet“) oder über die sechs jungen Pantomimen, die eine besondere Rolle spielen? Nicht alles kommt an. Immerhin: Das Lokalradio lässt sich für die frisch diplomierten Pantomimen begeistern. Die Regionalzeitung will einen Termin mit dem Regieteam für ein Vorgespräch mit Foto. Für das Fernsehen ist die x-te „Zauberflöte“ kein Thema, man einigt sich für später auf einen Beitrag über die Koproduktion mit der RuhrTriennale.

Positiver Nebeneffekt: Alle angesprochenen Journalisten wollen auch zum Fototermin mit den 16 neuen Azubis des rund 600 Mitarbeiter zählenden Theaters kommen. Etliche neue Lehrstellen und sogar ein neuer Ausbildungsgang – das wollen die Leute lesen. Stadtgespräch sein, das allgemeine Image verbessern, auch das ist Theatermarketing.
Drittens: Zielgruppenarbeit leisten. Bei der Konzeptionsprobe erklärt der Regisseur, er will „das Märchen“ der „Zauberflöte“ erzählen, die Dialoge bleiben erhalten. Keine spröde „Neufassung“ des Klassikers – also bestens geeignet für Schulen und Familien. Die Disposition ist darauf eingerichtet: Etliche Vorstellungen beginnen speziell für das junge Publikum schon um 17.00 Uhr. Der Theaterpädagoge bietet das Zusatzprogramm: Schulklassen erleben einen „Blick hinter die Kulissen“ mit anschließender Improvisationsstunde. Die Kids dürfen sich kostümieren, schminken und selbst Theater spielen. Interaktives Marketing für das Publikum von morgen. Dazu passt auch die Idee der Dramaturgie, ein T-Shirt zur „Zauberflöte“ herauszubringen und einen Vorstoß ins Merchandising zu wagen: Die jungen Leute stehen auf Souvenirs.

Viertens: Multiplikatoren aktivieren. Theater ist ein lokales und regionales „Geschäft“. Fast jede deutsche Großstadt „leistet“ sich eine Bühne mit eigenem Haus und Ensemble. Die Stützen des Theaters sind die Bürger in Stadt und Region, die die Arbeit „ihrer“ Bühne aufmerksam verfolgen und im Idealfall zu den regelmäßigen Besuchern zählen. Angesichts des stetig wachsenden Freizeitmarkts ist Theater ein Angebot unter vielen: Man geht abends ins Fitness-Center, „shoppen“ oder ins Kino, fliegt übers Wochenende irgendwohin oder macht es sich zuhause vor dem Fernseher gemütlich. Multiplikatoren tragen das Thema Theater in alle Lebensbereiche: Deshalb sind die Info-Nachmittage für Taxifahrer und Stadtführer, das Künstlerdiner für Sponsoren und die Backstage-Einladung für deren Kunden oder Mitarbeiter so wichtig. Ideen gibt es viele. Was häufig fehlt, ist genügend Zeit und „Manpower“, um alle Kontakte aufzubauen, zu pflegen und zu nutzen.

Fünftens, sechstens, siebtens: Das Theatermarketing hat alle Hände voll zu tun. In Zeiten knapper Kassen gibt es an vielen deutschen Stadttheatern nur einen Vertreter dieser relativ jungen Zunft – in Personalunion ist er oder sie für die hauseigenen Veröffentlichungen, die komplette Pressearbeit, interne und externe Kommunikation sowie Sponsorenbetreuung ebenso zuständig wie für die Konzeption und Umsetzung neuer Marketingideen. In Essen ist man neuerdings zu dritt: Hier arbeitet eine Marketingfrau mit zwei Presse- und Öffentlichkeitsarbeiterinnen zusammen. Wenn das angeschlossene Konzerthaus eröffnet wird, kommen vier zusätzliche Mitarbeiter extra für die Vermarktung der „Philharmonie“ dazu. Am Nationaltheater Mannheim ist der Bereich Theatermarketing seit Jahren bestens etabliert: Drei Kolleginnen arbeiten spartenübergreifend mit den vier Pressesprechern und -dramaturgen in Oper, Schauspiel, Ballett und Kindertheater Hand in Hand. Hinzu kommen zwei Fachleute für „Regionalmarketing“, die sich um Besucher aus dem Umland kümmern. Das „Output“ des Theatermarketings ist in Mannheim kontinuierlich gewachsen: Mit dem größeren Team lassen sich mehr und bessere Ideen verwirklichen, um die Lust auf das breit gefächerte Stadttheater-Angebot zu steigern. Dann muss „nur“ noch das Wesentliche stimmen und das Produkt auf der Bühne Erfolg haben.

Montagmorgen, 11.00 Uhr, in einem deutschen Stadttheater. Ende der Konzeptionsprobe für die „Zauberflöte“. Alle machen sich an die Arbeit, jeder in seinem Bereich. Um gemeinsam an dem Erfolg dieser Inszenierung zu arbeiten. Denn: Wenn sich am Premierentag vor hoffentlich ausverkauftem Haus der Vorhang öffnet, steht allein die Kunst im Mittelpunkt…

* Quelle: Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins, Juli 2003

 

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