„Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ – eine Binsenweisheit zwar, aber wie immer trifft sie die Sache auf den Punkt. Wer den Meisterbrief führt, hat in der Regel viel Zeit und Geld in die Hand genommen und in seine Ausbildung investiert, um von seiner Zunft als Fachmann anerkannt zu werden. Umso besorgter müssen Kollegen des Verbandes Deutscher Tonmeister (VDT) immer wieder registrieren, dass Arbeiten aus ihren Werkstätten – wenn sie im Zusammenhang mit der Restauration historischer Schallaufnahmen stehen – sehr schnell zum „Freiwild“ werden. Aufwendig neu gemasterte, oftmals mit viel Liebe zum musikalischen und historischen Detail klanglich vollständig überarbeitete und der gegenwärtigen Audiophilosophie angepasste historische Einspielungen fallen scheinbar ungebremst in das Haifischbecken der CD-Piraterie.
International anerkannte Tonmeister, wie zum Beispiel der für Naxos arbeitende Mark Obert-Thorn oder Jürgen Crasser, der sämtliche Editionen von Bear Family neu gestaltet und auch Holger Siedler, der mit seinen historisch Bearbeitungen im Rahmen der vom Label „Profil“ herausgegebenen „Edition Staatskapelle Dresden“ in internationalen Rezensionen höchste Punktzahlen für seine Arbeit einfährt, können ein Lied von dieser Quellenlage singen: Ein oftmals gruseliger Mix von Schellackplatten (durch das Abspielen mit Stahlnadeln ergraut, bei unsachgemäßer Lagerung verkratzt, gerissen oder durch falsche Lagerung verzogen), Langspielplatten der ersten Generation, deren Rillen durch das Abspielen mit den schweren Plattenhobeln der 50er-Jahre quasi eingeebnet wurden oder verknitterten Tonbändern, die schon merkwürdig nach Essig riechen, die teils vom Bobby gerutscht sind, oder die – auch dies kommt vor – aus Platzgründen von so genannten professionellen Archivaren von der originalen 76er Masterbandgeschwindigkeit auf die 19er Consumergeschwindigkeit herunterkopiert wurden. Hat der Tonmeister Glück, sieht er sich nur mit einem der hier beschriebenen Sachverhalte konfrontiert. In der Regel stellt sich aber bei der Detailanalyse heraus, dass viele Störkomponenten aufeinander treffen. Die Ausgangssituation vor der Restaurierung ist immer individuell. Der Weg zum Erfolg kann aus diesem Grunde nicht über eine routinemäßige Abfolge von Handgriffen erfolgen. An diesem Punkt beginnt die schöpferische Eigenleistung des Tonmeisters.
Sie sind in der Regel keine eigenen Produzenten, sondern Dienstleister im Auftrag von Labels, die sich der seriösen Veröffentlichung historischer Aufnahmen verschrieben haben. Da wird Geld in die Hand genommen, oftmals in stattlicher Höhe, um am Ende ein Produkt zu erhalten, das im audiophilen Bereich konkurrenzfähig ist. Umso ernüchternder ist schließlich die Erkenntnis, dass das Endprodukt „vogelfrei“ ist. Die geleistete Arbeit ist – per Gesetzeslücke – für jedermann kostenfrei nutzbar. Der nach kaufmännischen Regeln kalkulierende seriöse Produzent muss die Vorkosten in seinen Händlerabgabepreis mit einkalkulieren, der Trittbrettfahrer kann hingegen sein Produkt schnell und schmutzig zu Dumpingpreisen auf den Markt werfen. Einschlägige Prozesse gegen derartige Trittbrettfahrer verlaufen in der Regel im Sande. Bisher haben es die individuellen Restaurierungsmerkmale, die in jeder Veröffentlichung enthalten und nachweisbar sind, noch nicht geschafft, vor Gericht als Beweis für ein Abkupfern anerkannt zu werden. Dabei ist durchaus zu behaupten, dass sich unter den Meistern ihres Faches mittlerweile eindeutige, klangästhetische Handschriften herauskristallisiert haben. Ihre Namen auf den Covers sind ein Qualitätskriterium und geben dem Musikliebhaber Auskunft über das zu erwartende Klangbild einer historischen Veröffentlichung. Und bei den unter Piratenflagge arbeitenden Billig-anbietern, die natürlich und aus gutem Grund ihre Quellen verschweigen müssen, wundert sich nach erfolgter feindlicher Übernahme mancher Rezensent über die hervorragende Klangqualität.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht um die in letzter Zeit viel diskutierte Anhebung der 50-Jahres-Schutzfrist. Diese gesetzliche Regelung hat dazu beigetragen, dass wir mittlerweile in Europa und in vielen Ländern der Welt in den Genuss einer einzigartigen kulturellen Vielfalt kommen können. Eine Anhebung dieser Deadline hätte sogar katastrophale kulturelle Auswirkungen, denn sie würde den nach knallharten Markt- und Umsatzkriterien kalkulierenden Major Companies eine Art Sperrmonopol in die Hand geben. Das Veröffentlichungsspektrum würde sofort wieder auf die wenigen historischen und profitablen Dauerbrenner zusammenschrumpfen. Das gesamte Nischenrepertoire hingegen, das von kleineren, seriös arbeitenden Labels betreut wird, hätte hingegen keine Chance mehr. Man bleibt bei den Majors lieber vornehm unter sich. Lizenzpflichtige Aufnahmen werden wegen des zu erwartenden geringen Ertrages und des zu erwartenden bürokratischen Aufwandes selten oder gar nicht herausgegeben oder verlizensiert. Leidige Erfahrungen in diesem Punkt sprechen eine klare Sprache.
Um die Sache auf den Punkt zu bringen: Eine fünfzigjährige Schutzfrist, so wie bereits im Gesetz verankert, unter Hinzunahme eines neuen, eigenen Copyrights für die Tonmeisterleistung sollte das Ziel sein. Jeder, der im Besitz eines historischen, nach heutigen Qualitätskriterien jedoch klangtechnisch und damit auch kommerziell nicht mehr verwertbaren, die Schutzfristen einhaltenden Originaltonträgers ist, soll die Freiheit haben, sich damit auf dem Markt zu versuchen. Dies aber mit der Gewährleistung, dass seine finanziellen Aufwendungen einen Schutz vor Piraterie genießen. Ein Fotograf, der die historische Himmelsscheibe fotografiert, erhält auf sein Bild ein Copyright, ein Musikverleger, der ein unbekanntes, historisches Bach-Autograph neu setzen und drucken lässt, hat bei Aufführungen des Werkes Anspruch auf Materialentschädigung. – Warum also ist das Werk des Tonmeisters nicht geschützt, der historische Aufnahmen wieder wie einen Phönix aus der Asche holt?