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Vergessene Moderne wird ins Repertoire zurückgeholt

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Projekttage „Geschichte, Musik, Erinnerung: Brücken für die Zukunft“ mit Wettbewerb „Verfemte Musik“
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Die Rubrik „Zukunftswerkstatt“ ist eine der Neuerungen, die die Redaktion der neuen musikkzeitung im 50. Jahrgang einführte. Ebenfalls ins 50. Jahr kommt dieses Jahr die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), deren Verbandszeitung die nmz bereits war, als sie sich noch „Musikalische Jugend“ nannte. Thema dieser „Zukunftswerkstatt“ ist der neue Wettbewerb „Verfemte Musik“, den der JM Landesverband Mecklenburg-Vorpommern initiierte. Für die Zukunft sei, so Thomas Rietschel, Geschäftsführer der JMD in Weikersheim, gemeinsam mit dem Bundesverband der JMD, eine internationale Ausweitung dieses Wettbewerbs geplant: „Verfemte Musik gab es nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch aus den Diktaturen Lateinamerikas und Südostasiens und anderen Teilen der Welt. Überall dort sind Komponisten vertrieben oder unterdrückt worden, weil ihre Arbeit den jeweiligen Machthabern nicht ins Konzept passte.“ Der Wettbewerb soll sich auch in Zukunft speziell an junge Musiker richten, die sich über diesen Wettbewerb künstlerisch mit widerständiger, unterdrückter Musik auseinander setzen. Dabei geht es letztlich auch um das alte Thema Musik und Politik. Wie die Premiere des Wettbewerbs in Schwerin über die Bühne ging, berichtet Georg Beck.

Die Rubrik „Zukunftswerkstatt“ ist eine der Neuerungen, die die Redaktion der neuen musikkzeitung im 50. Jahrgang einführte. Ebenfalls ins 50. Jahr kommt dieses Jahr die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), deren Verbandszeitung die nmz bereits war, als sie sich noch „Musikalische Jugend“ nannte. Thema dieser „Zukunftswerkstatt“ ist der neue Wettbewerb „Verfemte Musik“, den der JM Landesverband Mecklenburg-Vorpommern initiierte. Für die Zukunft sei, so Thomas Rietschel, Geschäftsführer der JMD in Weikersheim, gemeinsam mit dem Bundesverband der JMD, eine internationale Ausweitung dieses Wettbewerbs geplant: „Verfemte Musik gab es nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch aus den Diktaturen Lateinamerikas und Südostasiens und anderen Teilen der Welt. Überall dort sind Komponisten vertrieben oder unterdrückt worden, weil ihre Arbeit den jeweiligen Machthabern nicht ins Konzept passte.“ Der Wettbewerb soll sich auch in Zukunft speziell an junge Musiker richten, die sich über diesen Wettbewerb künstlerisch mit widerständiger, unterdrückter Musik auseinander setzen. Dabei geht es letztlich auch um das alte Thema Musik und Politik. Wie die Premiere des Wettbewerbs in Schwerin über die Bühne ging, berichtet Georg Beck. Es hat sich herumgesprochen. Was als Repertoire im Musikbetrieb verhandelt wird, ist Resultat von Verabredungen. Abhängig von Markt und Moden. Etwas aber fehlt, heißt es in Brechts Mahagonny. Was, sagen uns die Spurenleser abseits der abgesteckten Claims. Sie machen uns aufmerksam auf komponierende Frauen und auf Komponisten, die selbst noch aus der Beerenauslese der klassischen Moderne herausfallen, auch wenn sie nach ihrem eigenen Bewusstsein ein Teil dieser Moderne waren: Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krasa, Alma Mahler, Erwin Schulhoff, Viktor Ullmann, um nur einige zu nennen.

Es bedurfte und bedarf besonderer Anstrengungen, um sie und ihre Werke wieder ins Gedächtnis zu rufen. Verdienst von Initiativen, die sich seit nunmehr über zehn Jahren zunächst außerhalb des universitären Betriebs gebildet haben und sich um das verdrängte Erbe einer vergessenen Moderne bemühen. Spurensicherung, Zeugenbefragung, Quellenedition, Konzerte.

Die „Jeunesses musicales“ hat dieses Arsenal mit dem ersten bundesweiten Instrumental- und Gesangswettbewerb „Verfemte Musik“ bereichert. Das Echo war mit rund vierzig Teilnehmern in den Fächern Klavierlied und Streichquartett bemerkenswert groß. Idee und Initiative machen Sinn. Denn wie anders sollte sich das Repertoire erweitern, wenn es nicht zum Besitz eines fähigen künstlerischen Nachwuchses wird?

Frischgekürt, die Schecks in der Hand, die Instrumente geschultert, rüsten sich die Stars des Wettbewerbs zum Aufbruch. Mit einer souveränen Interpretation des 3. Streichquartetts op. 46 (1943) ihres Namenspatrons hat das junge Viktor Ullmann Quartett in Schwerin abgeräumt. Jetzt aber nach Hause! Die Vier sind schon in der Tür, als ihr energischer Schritt mit einem Mal innehält. In einer Ecke sitzt Kollege und Juror Paul Kling. Wie sich verabschieden?
Als Siebenjähriger steht Kling zum ersten Mal auf der Bühne. Wunderkind konzertiert mit Wiener Symphonikern, lautet die Schlagzeile. Mit zwanzig begleitet ihn das Prager Symphonieorchester zu Brahms’ Violinkonzert.

Dann kommt Theresienstadt, der Nazi-Käfig mit den vergoldeten Gitterstäben, das Durchgangslager Richtung Auschwitz sechzig Kilometer vor Prag. Kling überlebt und übernimmt nach dem Krieg eine Professur im kanadischen Vancouver, wo er jahrzehntelang nicht über die Ereignisse spricht. Auch aus Vorsicht. „Der spielt hier doch nur, weil er im KZ war.“ Solchen Ressentiments wollte Kling das Wasser abgraben. Erst jetzt, am Ende seiner Laufbahn, redet er und steht auch zur Absurdität, dass das Lager für ihn mit dem Glück einer außerordentlichen menschlichen wie künstlerischen Begegnung verbunden bleibt. Im KZ lernt er Gideon Klein kennen, das junge Prager Multitalent, den viel bewunderten Pianisten und Komponisten. Die Konzerte mit Klein sind Stunden der Erfüllung. Erfahrungen, die nur er weitergeben kann.

Neue Begegnungen

Schwerin, im Januar 2001. Es ist mehr als das halbe Jahrhundert, das zwischen Kling und dem Ullmann-Quartett steht. Immer sind da auch noch die Reste einer Eiszeit aus Nichtsprechenkönnen, Nichtsprechenwollen. Die Täter verstockt, die Opfer traumatisiert. Die zweite Generation eher halbherzig, noch voller Angst über das, was herauskommen könnte. Erst jetzt, im Umkreis der Epochenwende, erhalten die Begegnungen neue Qualität. Was die Schweriner Veranstaltungsregie etwas rationalisierend den „Zeitzeugen“-Auftritt der KZ-Überlebenden nannte – die Worte fehlen und die wir finden sind nicht die, die wir bräuchten – endet konvulsivisch im Aufbrechen aufgestauter Erinnerungs- und Gefühlsenergie. Theresienstadt-Überlebende teilen sich mit – und finden sich wieder. Nach 57 Jahren treffen hier zwei ehemalige Zimmergenossen zusammen. Paul Sandfort, ein in Hamburg geborener dänischer Jude und Zvi Cohen alias Horst Cohn, der Berliner Junge mit der Mundharmonika. Ungläubiges Staunen über ein unwahrscheinliches Wiedersehen. Bist du das?

Die Suche nach Vergleichen unter den Kunstformen führt auf die Collage, auf Techniken des Überlagerns, des Übereinanderschichtens von Ähnlichem. Ähnlich, nicht gleich, sind alle diese fragmentierten Lagererzählungen. Was aber geschieht, wenn Überlebende eines „Muster“-KZs erzählen? Dass sie junge Zuhörer finden, hat es schon immer gegeben. Neu daran ist das Interesse ohne die symbiotische Annäherung mit Hang zur Hinterlegung von Sühnezeichen. Sichtbar noch in der Verabschiedung zwischen Paul Kling und dem Ullmann-Quartett: Shake-hands, Blickwechsel, gute Wünsche – das war’s. Es ist die Freiheit in dieser Geste, die hoffnungsvoll stimmt. Ohne Sentimentalität, vor allem aber ohne Schuldgefühl und Verantwortungsscham, was für die ersten Nachfahren der Tätergeneration doch geradezu konstitutiv war. Die Enkelgeneration scheint frei davon, das heißt, sie ist frei für die Aneignung einer Musik, deren Modernität wir erst allmählich wahrzunehmen beginnen. Kling hat verstanden. Vielleicht ist es ein solcher Moment, auf den er ein Leben lang warten musste. Die Musik eines Viktor Ullmann, eines Gideon Klein – Repertoire einer neuen Instrumentalistengeneration. Apropos. Über das Spiel des Ullmann-Quartetts lassen sich wahlweise viele und wenige Worte machen. Es differenziert, transparent, hingebungsvoll zu befinden, ist sicher keine Übertreibung. Jurymitglied Paul Kling macht es kürzer: „Ich war weg“ beschreibt er seinen Höreindruck.

Offener Kreis

Schwerin im Januar 2001. Eine Stadt wird Schauplatz von Begegnungen der nicht ganz alltäglichen Art. Zu den beglückenden gehört auch die Erscheinung des Baritons Matthias Flohr, Jahrgang 1977. Mit den „Vier Liedern nach Worten chinesischer Poesie“ des Janácek-Schülers Pavel Haas wird Flohr zusammen mit seiner Begleiterin Anne Schätz erster Preisträger im Wettbewerbteil Klavierlied. Und auch in diesem Fall stiftet, wenngleich auf Umwegen, ein Jurymitglied die Verbindung zum Komponisten. Sängerin Olga Cerna aus Prag – das Tschechisch des deutschsprachigen Baritons nennt sie mit herrlich rollendem R „so wunderbar“ – ist Schülerin des verstorbenen Karel Berman, der seinerseits noch von Pavel Haas autorisiert wurde. Auch hier also, allem beschworenen „Traditionsabbruch“ zum Trotz, der Brückenschlag – unendlich vermittelt, aber gelungen. Was zählt sonst?

Fortsetzung mit Fragen

Auch wenn es ein Kreis sein sollte, der in Schwerin abgeschritten wurde, muss von ihm gesagt werden: er schließt sich nicht. Dagegen steht allein schon die Emotionalbilanz eines Viertage-Tauchbads aus Konzerten, Wettbewerb, Vorträgen, Ausstellungen und Gesprächen: der wahrnehmende Sinn erfüllt, vollgelaufen wie ein Schwamm. Mit Geschichte, mit Musik, mit Erinnerung, um die skandierende Kopfzeile der Schweriner Projekttage zu zitieren. Auch deren Unterzeile erwies sich im nachhinein, entgegen vorausgegangener Skepsis, als beschreibungsfähig. „Brücken für die Zukunft“ war in Schwerin tatsächlich nicht nur der Schirmherren- und Sponsoren-Lockstoff für Bundespräsident, Bundeszentrale für politische Bildung und andere maß- wie geldgebende Institutionen des öffentlichen Lebens in- und außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns.

Notwendig transportieren Projekttage wie diese auch Widersprüche. So lauert in der Ehrenrettung immer auch die fortgeschriebene Stigmatisierung. „Verfemt“ steht für „entartet“, das Wort, mit dem die Nazis die Moderne ächteten. Wie lässt sich Positives durch Negatives ausdrücken? Ähnlich vertrackt das Wort von den Theresienstädter Komponisten. Sie waren es natürlich schon vorher und auch im Lager verstanden sie sich als Teil der Moderne. Das nicht zu vergessen gehört auch – späteren Verengungen des Modernitätsbegriffs zum Trotz – zur notwendigen Fortsetzung der Schweriner Projekttage. Mit dem Ausbau der horizontöffnenden tschechischen wie israelischen Kontakte des federführenden Organisators Volker Ahmels („Jeunesses musicales“ Landesverband Mecklenburg-Vorpommern), der angekündigten Internationalisierung des Wettbewerbs, seiner Öffnung für Streicherduos und -trios, für Klavier solo und einer weiter voranzutreibenden Repertoireerweiterung werden sich auch Antworten finden auf die schon Schönberg verstörende Frage nach dem „fehlenden Wort“.

Programmtipp: Deutschlandfunk,
11. März, 15.05 bis 16.00 Uhr – Feature des Autors zum gleichen Thema.

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