„Die Mitgliedsschulen des VdM verhindern mit Hilfe von Steuergeldern Teilhabe und Chancengleichheit von Lehrkräften und Schülern.“ Das krude Zitat stammt von einer Kundgebung von Instrumentallehrern des sächsischen Tonkünstlerverbands parallel zur verdi-Kundgebung anlässlich der Eröffnung des VdM-Musikschulkongresses in Berlin diesen Mai. Es war Anlass für einen Leitartikel von Theo Geißler, in dem er über die Zusammenhänge musikalischer Bildung und Ausbildung sowie über musikpädagogische Geschäftsmodelle vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen als Verleger räsonierte.
Natürlich ging es auch um die prekäre Situation der Musikschullehrer und Privatmusikerzieher, die in direktem Zusammenhang mit den Strukturen öffentlichen und privaten Musikunterrichts stehen. Wie prekär die Lage sich darstellt, insbesondere in Sachsen, von wo aus uns während des Sommers die meisten Zuschriften erreichten, zeigt eine Zusammenstellung empörter Leserbriefe, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten wollen. Theo Geißler antwortet auf Seite 1 und natürlich sind diese Stimmen inklusive der Beiträge auf den Seiten des VdM und des DTKV Anstoß für die Redaktion, das Thema Strukturwandel im Musikschulbereich und Fragen der Honorierung und sozialen Absicherung von Lehrbeauftragten und Musikschullehrern weiterhin engagiert zu verfolgen. Lesen Sie hierzu auch die Artikel auf Seite 41, 42, 47 und 48.
Schwache Lobby für Freiberufler/-innen
Es erstaunt und bestürzt mich, wie das freiberufliche Musikertum in zwei Artikeln aus der nmz 6/2019 schlechtgeredet wird. In seinem Leitartikel („Wahre Werte“, S. 1) berichtet der Herausgeber Theo Geißler von dem unlängst in Berlin stattgefundenen Kongress des Verbands deutscher Musikschulen und lässt es sich nicht nehmen, eine Gruppe von Demonstranten aus dem DTKV Sachsen zu schmähen, die am Rande der Veranstaltung für fairere Arbeitsbedingungen und mehr öffentliche Förderung protestiert hatten. Geißler greift die Basis des Protests scharf an und beschuldigt die Kolleg_innen, unter einer selbstgewählten Misere zu leiden – eine weltfremde und geradezu unverschämte Behauptung. In einem weiteren Artikel („Ungleichbehandlung liegt nicht vor“, S. 28) veröffentlicht die VdM-Führung eine ablehnende Stellungnahme zu einer Initiative des TKV Baden-Württemberg, in der Wettbewerbsverzerrung und Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und selbständig Beschäftigten angeprangert wurde. Es ist schwer verständlich, wie man sich als musikpädagogischer Interessenverband gegen die berechtigte Forderung nach einer ausgewogenen öffentlichen Förderung beider Gruppen wehren kann.
Die geschilderten Positionen konstruieren einen künstlichen Widerstreit zwischen Musikunterricht in öffentlicher Trägerschaft und Angeboten privater Institutionen. Dabei missachten sie den Umstand, dass die beiden ‚Parteien‘ zumeist mit fast identischem Lehrpersonal operieren und bei gleicher Qualifikation nahezu gleiche Leistungen anbieten. Die beiden Sektoren müssen als eine funktionale Einheit und nicht als Konkurrenten gedacht werden. In den Berliner öffentlichen Musikschulen arbeiten noch immer mehr als 80 Prozent der Instrumental- und Gesangslehrer_innen unfreiwillig als Selbständige. Diese beträchtliche Gruppe muss sich in den genannten Artikeln als „Privatunternehmer“ mit Gewinnerzielungsabsicht verunglimpfen lassen – eine völlig irrsinnige und beleidigende Bezeichnung für Menschen, die zumeist am Existenzminimum wirtschaften. […] Einmal mehr formieren sich der VdM und der Bundesverband des DTKV zu einer kontraproduktiven Opposition gegen ihre freiberuflich tätigen Kolleg_innen, und es ist schwer vorstellbar, wie angesichts dieser lähmenden Auseinandersetzungen noch erfolgreiche berufsständische Arbeit stattfinden soll.
- Wendelin Bitzan, Musiker und Musikforscher (Berlin)
Zwangslage
Mit einigem Befremden habe ich den oben genannten Artikel von Herrn Geißler zur Kenntnis genommen. Ich selbst war nicht bei der Berliner Aktion meiner sächsischen Kollegen anwesend und kann mich daher zu Inhalt und Form der Transparente nur bedingt äußern. Aber ich bin unangenehm überrascht von der Lesart eines mittlerweile arrivierten Kollegen, schlicht schlechte Laune und Geldgier hinter einer Aktion zu vermuten, die ein grundsätzliches Problem von uns Freelancern öffentlich machte. Die Entscheidung, als solche zu agieren, haben die wenigsten frei getroffen, sie resultiert sehr oft aus der Zwangslage, dass es immer weniger Festanstellungen an öffentlichen Musikschulen gibt. Die Honorare, die man „eigentlich“ auf dem freien Markt ansetzen müsste, schließen weniger betuchte Familien mit mehr als einem musikliebenden Kind als Zielgruppe oftmals von vornherein aus, und auch viele andere Menschen nutzen begreiflicherweise gern die gestützten Gebühren und Synergieeffekte einer öffentlichen Musikschule. Die Aktion meiner Kollegen war meiner Kenntnis nach deshalb darauf gerichtet, dass die finanzielle Unterstützung durch die Kommunen dann bitte auch die Honorarlehrkräfte mit einkalkulieren sollte, die ebenso wie Festangestellte engagiert dort unterrichten. […]
- Marita Herklotz (Freiberufler und Honorarlehrkraft), via E-Mail
Gesellschaftlich wertvoll
Ich bin eine der Demonstrant*innen vor dem Musikschulkongress am 17. Mai 2019. Ihr Leitartikel „Wahre Werte“ nmz 06/2019 hat mich zutiefst beleidigt und unheimlich traurig gemacht. Er ist gespickt mit Unwahrheiten, Unterstellungen, Halbwissen und offensichtlicher Unkenntnis der Sache selbst gegenüber. Er spiegelt nichts von dem wider, was wir dort erlebt haben. Es gab Solidarität unter den Betroffenen und Verständnis von vielen Kolleg*innen vor Ort. Nur durch manche unserer provokanten Plakate kamen wir mit einigen Vertretern des VdM ins Gespräch, auch diese Gespräche hatten mehr Inhalt, als der völlig unverständliche Artikel. Einen Vergleich mit Trump-Tweets verbitte ich mir ausdrücklich. […]
Auch ich habe meinen Beruf freiwillig ausgewählt. Ich bin der Überzeugung, dass es unseren wertvollen Beruf in der Gesellschaft braucht. Die Art, wie ich ihn 25 Jahre gezwungenermaßen ausüben musste, war nicht freiwillig. Falls Sie es nicht wissen, aber viele meiner Kolleg*innen arbeiten mit dem gleichen Enthusiasmus, mit Hingabe, hohem Fachwissen und Liebe zu Ihrem Beruf wie ihre festangestellten Kolleg*innen. […] Keiner der Demonstrant*innen will die Musikschule als solche in Ihrer Existenz und Notwendigkeit in Frage stellen. Nur die Art und Weise, wie man dort mit dem hochqualifizierten Personal seit Jahrzehnten umgeht, das stellen wir/ich in Frage. Und dafür nutze ich mein Bürgerrecht der freien Meinungsäußerung und gehe weiter auf die Straße!
- Janet Olbrich, Honorarlehrerin der Musikschule Leipzig, Mitglied der Honorarlehrervertretung der Musikschule Leipzig, 2. stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes Musik – TKV Sachsen e.V.
Prekäre Arbeitssituation
Ihren Beitrag „Wahre Werte“ aus der nmz vom Juni 2019 habe ich mit Interesse gelesen. Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Überheblichkeit Sie die freiberuflichen Lehrkräfte aus Sachsen (dem Osten!) verhöhnen. Nur weil sie am Rande des Musikschulkongresses in Berlin mit einer kleinen Demonstration auf ihre prekäre Lage aufmerksam machen wollten.
Zu Ihrer Information: Lehrkräfte, die auf Honorarbasis unterrichten, leisten an kommunalen deutschen Musikschulen einen Großteil der Arbeit, besonders in Sachsen und Berlin, aber nicht nur dort. Sie sind rechtlich und finanziell wesentlich schlechter gestellt als ihre fest angestellten Kollegen, sodass man durchaus von einer „Zweiklassengesellschaft“ sprechen kann, so wie es auch bei der Demonstration formuliert wurde.
Diese Tatsache aber interessiert Sie in ihrem Artikel nicht im Geringsten, im Gegenteil. Sie treten kleine Schwächen dieser Demonstration unnötig breit und behaupten im Anschluss noch zynisch, diese Musiker seien an ihrer Lage eben selbst schuld: sie hätten als „ungezwungene Entscheidung“ ihre prekäre Arbeitssituation frei gewählt. Das stimmt so nicht.
Die vielen älteren Lehrkräfte, nicht nur aus DDR-Zeiten, die bis heute mit großem Engagement unterrichten, haben damals unter völlig anderen Bedingungen ihren Beruf gewählt. Und die vielen junge Kolleginnen und Kollegen, die voller Idealismus diesen schönen Beruf des Instrumentalpädagogen gewählt haben, weil es ihnen ein Bedürfnis ist, ihre Kunst weiterzugeben: Haben sie kein Recht auf eine Bezahlung, von der sie würdig leben und eine Familie ernähren können? […]
- Frauke Uerlichs, via E-Mail
Es ist längst Fünf vor zwölf
[…] Wir finden es außerdem empörend, in welcher Art und Weise Sie das Engagement einiger mutiger Musikpädagogen und des Landesverbandes Sachsen des DTKV, der seit Jahren hart um Verbesserungen der Verdienstbedingungen dieser Gruppe ringt, abwerten und regelrecht verunglimpfen. Die in Berlin demonstrierenden Honorarlehrer*innen öffentlicher Musikschulen sind gewiss nicht angetreten um unsere „Gewinnerzielungsabsicht“ als „Freelancer“ zu betonen. Ihren Vergleich der Slogans mit Trump-Tweets empfinden wir als äußerst unangebracht und diffamierend. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? In welche Ecke wollen Sie damit jene stellen, die sich kritisch äußern? […] Eine von uns, die an der Demonstration beteiligt war, kann übrigens Ihre Darstellung der Situation vor Ort in Berlin gar nicht bestätigen: „Die Kolleg*innen der ver.di-Kundgebung, denen ich begegnet bin, haben sich nicht abgewandt. Im Gegenteil, bei Ankunft vor Ort wurden wir sogar von ihnen mehrfach aufgefordert, uns zu ihnen zu gesellen, da wir doch ähnliche Ziele vertreten, wie mehrmals betont wurde. […].“
[…] Wenn Sie glauben, dass man als Musikpädagoge in Deutschland die Wahl zwischen Festanstellung und Freiberuflichkeit hat, sitzen Sie leider einem Irrtum auf. Die Realität stellt sich uns ganz anders dar. Ist man als ausgebildeter Musikpädagoge freiberuflich tätig, ob gewollt oder wie sehr häufig aus dem Fehlen anderer Alternativen heraus, bekommt man jedenfalls schnell sehr deutlich die stattfindende Wettbewerbsverzerrung zu spüren, die tatsächlich zulasten der Chancengleichheit von Schülern, deren Eltern und Musikpädagogen geht.
Wir denken nicht, dass der Wert der Musik dadurch beschädigt wird, dass Missverhältnisse benannt werden. Im Übrigen wurde mit der Aktion kein „materiell betonierter Konflikt vom Zaun gebrochen“, er ist in unserer Wahrnehmung schon längst da. Nur was benannt ist, kann diskutiert werden und schlussendlich im besten Fall zu einer Veränderung führen. Als Mitglieder im sächsischen Landesverband erleben wir, dass man sich dort seit Jahren mit hohem Engagement intensiv mit der Problematik beschäftigt, viele Ideen entwickelt hat und zu Gesprächen bereit steht. Glauben Sie, dass wir in Sachsen nicht erst mit anderen Methoden und auf anderen Wegen als über Aktionen auf der Straße diese Themen versucht haben zu bewegen? Es ist leider aber längst „Fünf vor zwölf“ und wir müssen dringend handeln.
- Kristin Unglaube, Musikpädagogin und Honorarlehrkraft, freiberufliche Cellistin, Vorstandsmitglied Berufsverband Musik - Landesverband Sachsen e.V. / Matthias Vogel, Musikpädagoge und Honorarlehrkraft, freiberuflicher Pianist, Mitglied im Berufsverband Musik – Landesverband Sachsen e.V. / Beate Hofmann, freiberufliche Cellistin, Musikpädagogin und Honorarlehrkraft, Mitglied im Berufsverband Musik – Landesverband Sachsen e.V.