Die Geige war immer dabei. Auch als Erich Weininger, ein musikliebender Metzger aus Wien, 1939 verhaftet und nach Dachau gebracht wurde. Dort wirkte er vermutlich in heimlichen Konzerten mit. Aus dem KZ Buchenwald wurde er auf Initiative der Quäker entlassen, doch da die britische Besatzungsmacht keine Flüchtlinge in Palästina mehr aufnahm, musste er erst den Umweg über die Tropeninsel Mauritius nehmen, bevor er 1945 das Gelobte Land betreten konnte.
Zu sehen war sein Instrument kürzlich im Foyer des Kammermusiksaals der Berliner Philharmonie in der Ausstellung „Violinen der Hoffnung“. „Geigen können nicht sprechen“, meinte Kurator Albrecht Dümling in seiner Eröffnungsrede. Doch in der äußerst faktenreich und fundiert angelegten Schau können sie es sehr wohl. Denn auch wenn es ihnen nicht anzusehen ist, diesen Geigen haftet das Schicksal ihrer ehemaligen Besitzer auf ganz besondere Weise an. Manchem rettete die Musik das Leben, wie etlichen Mitgliedern des Palestine Orchestra, denen der Gründer des Orchesters Bronisław Huberman die Ausreise aus Nazideutschland ermöglichen konnte.
Sie wollten jedoch keine Geigen deutscher Herkunft mehr spielen, nachdem ihnen das Ausmaß der Judenmorde bewusst geworden war. All diese Instrumente gelangten zu Amnon Weinstein, Geigenbauer in Tel Aviv, wurden ihm zur Reparatur gebracht, auf Flohmärkten gefunden, bei Zwischenhändlern entdeckt. Dabei wollte Weinstein zunächst gar nichts über ihre Herkunft wissen – die eigene tragische Familiengeschichte wurde dadurch schmerzlich in Erinnerung gerufen. Erst die Zusammenarbeit mit dem Bogenbauer Daniel Schmidt aus Dresden, der nicht aufhörte, Fragen zu stellen, weckte auch sein Interesse. Mittlerweile umfasst seine Sammlung etwa 50 Geigen, die er aus dem Besitz verfolgter Juden erwarb und restaurierte. Für ihn sind sie symbolhaft mit dem Holocaust verbunden, stehen ebenso für eine zerstörte Kultur wie für zerstörte Leben. An beides will er erinnern, wenn er seine Geigen ausstellt – „jede Violine wie ein Grabstein“ – oder sie in Konzerten wieder erklingen lässt.
Und so ist die Ausstellung weit mehr als eine Sammlung von Einzelschicksalen. Anhand der Exponate zeichnet sie die verheerende Kulturpolitik der Nationalsozialisten und ihre weltweiten Aus- und Nachwirkungen akribisch nach. Texttafeln und Fotografien, die historische Zusammenhänge veranschaulichen, sind ihnen beigegeben. Beschlagnahmungen von Instrumenten in Deutschland nach Auflösung des jüdischen Kulturbunds und in den besetzten Gebieten sind ebenso dokumentiert wie das „Musikleben“ in Auschwitz beschrieben wird. Alma Rosé, die das berühmte „Mädchenorchester“ leitete, starb an einer Lebensmittelvergiftung. Ihre Guadagnini-Geige „überlebte“ und befindet sich heute im Besitz von Zakhar Bron.
Die Ausstellung ist trotz ihres kleinen Umfangs ein würdiges Pendant zu Dümlings kommentierter Rekonstruktion der Propaganda-Schau „Entartete Musik“ von 1938, die er 2007 auf Einladung der damaligen Philharmonie-Intendantin Pamela Rosenberg unter dem Titel „Das verdächtige Saxophon“ in Berlin vornahm. Was sich Deutschland damals selbst angetan hat, eine nie wieder zu schließende Wunde, vermittelt sich noch stärker durch Ausblicke in Vergangenheit und Gegenwart jüdischen Kulturlebens. Dümling wollte einen Berlin-Bezug schaffen, einen Gegenakzent zur von hier ausgegangenen Politik. Fritz Kreisler, Carl Flesch, Max Rostal – sie alle mussten nach hochgeschätztem, brillantem Wirken in Berlin emigrieren, und auch ihrer wird höchst unzureichend gedacht. Die eindrucksvoll lange Liste jüdischer Konzertmeis-ter der Berliner Philharmoniker reicht ebenfalls in diese Zeit zurück, beginnend mit Tossy Spivakovsky, der 1926 diese Position als 19-Jähriger antrat, bis hin zu Guy Braunstein, der sie von 2000 bis 2013 als Nachfolger Kolja Blachers innehatte. Michel Schwalbé, dessen Mutter und Schwester im Vernichtungslager Treblinka ermordet worden waren, empfand die Berufung durch Herbert von Karajan 1957 als einen „Akt der Versöhnung mit den Deutschen“.
Vielleicht haben sich einige auf die Violinen projizierten Hoffnungen ja auch erfüllt – das, was sie notwendig machte, darf niemals vergessen werden, und die richtigen Schlüsse daraus, um es nie wieder geschehen zu lassen, sind offensichtlich noch nicht gezogen worden.
Neu aufgelegt: Albrecht Dümling (Hrsg.): Das verdächtige Saxophon – „Entartete Musik“ im NS-Staat. Dokumentation und Kommentar. ConBrio, 368 Seiten, Paperback, ISBN
978-3-940768-52-0, € 29,90