B.B. King hat das Image des Blues verändert: Bluesmusiker assoziierte man vor B.B. King mit an Straßenecken klampfenden, in anonymen Kneipen gastierenden Wandervögeln, die sogar von den gesellschaftlich aufgestiegenen Schwarzen mit Verachtung gestraft wurden – symbolisierten sie doch jene Armut und Unterdrückung, an die man gefälligst nicht mehr erinnert werden wollte. B.B. aber, der durch Radio, Fernsehen und unzählige Platten nicht nur den Blues erneuerte, sondern auch unzählige schwarze und weiße Kollegen aus Jazz, Rock und Pop beeinflusste, kehrte den Spieß um: Der Bluesmusiker verkörperte, nicht weniger als farbige Spitzensportler, allein schon durch seinen enormen geschäftlichen Erfolg schwarzes Selbstbewusstsein und Mass-Appeal.
Die Erfüllung seines Hauptwunsches, dass die „Schwarzen sich nicht mehr des Blues als ihrer eigenständigen Musik schämen mögen“, hat der am 14. Mai 2015 Verstorbene selbst am meisten vorangetrieben. Doch bevor der Enkel eines Gitarristen mit dem strahlenden Vibrato seiner Gitarre „Lucille“ und seiner expressiven Stimme diesen Siegeszug antrat, stand der 1925 auf einer Baumwollfarm bei Indianola, Mississippi geborene Riley B. King erst einmal jene entbehrungsreiche Jugend durch, die so oft am Anfang großer schwarzer Biografien steht. Als er vier Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden und schon neunjährig, nach dem Verlust seiner Mutter, war er als Farmarbeiter auf sich gestellt. „Ich habe das immer bedauert, mir hat Bildung gefehlt. Bei der Schinderei – pflanzen und hacken und Baumwolle pflücken – hatte ich nicht viel Zeit für Schule und Kirche.“ Als Jugendlicher eiferte er mit seiner Gospelgruppe „The Elkhorn Singers“ dem „Golden Gate Quartett“ nach und der Spiritualsänger Sammy McQuerry von den Fairfield Four wurde zu einem wichtigen Einfluss.
Später schwang oft eine Spur Gospelgesang in seinem Blues mit. Blues lernte B.B. schließlich durch die Schellack-Sammlung seiner Tante kennen. Er war elf, als ein Gitarre spielender Prediger aus der Verwandtschaft auch das Interesse am populärsten Blues-Instrument weckte. 17-jährig kaufte er sich für acht Dollar sein erstes Exemplar. Blues war als „Teufelsmusik“ verschrien, wenn sich auch sein Cousin Bukka White in diesem verruchten Genre einen gewissen Namen gemacht hatte. Der Druck religiöser Vorurteile war so groß, dass er sich erst nach seinem Militärdienst traute, zaghaft Blues zu singen. 1946 gab er sich einen Ruck, pilgerte zur Blueslegende Sonny Boy Williamson und übersiedelte zu seinem Vetter. Den Durchbruch hatte er bei einem Radiosender in Memphis: Dort verdiente er sich als „Pepticon Boy“ seine ersten Sporen mit einer täglichen Zehn-Minuten-Werbung für ein medizinisches Präparat, um schließlich zum Discjockey zu avancieren, ein Job, der ihn mit nahezu allen Musikrichtungen seiner Zeit – von Klassik bis Hillbilly vertraut machte und deren Einflüsse er geschickt in seine Musik einfließen ließ.
So hob er sich als Eklektiker von Bluesmusikern der älteren Generation ab. B.B. Kings wegweisende Neuerung, wenn auch nicht Erfindung, war so einfach wie genial: statt Akkorden, spielte er ausgedehnte „Singlenote“-Linien, die offenbarten, dass er sich an den besten Jazzsolisten seiner Zeit geschult hatte: Charlie Chris-tian, der in den späten 30er-Jahren die elektrisch verstärkte Gitarre im Jazz durchgesetzt hatte und, man höre und staune, der geniale Manouche Django Reinhardt waren seine erklärten Vorbilder. Durch B.B. gewann der in stereotypen Wendungen verhaftete Blues viel von der Freiheit und Unvorhersehbarkeit des Jazz. Das glanzvolle Vibrato seiner „Lucille“ entwickelte sich sogar aus einem technischen Manko: „Mit einem Bottleneck kam ich nie zurecht, deshalb versuchte ich, mit den Fingern allein eine ähnliche Wirkung hinzukriegen. Daraus wurde mein Vibrato.“
Mit jedem Namen wuchs seine Bekanntheit: Aus „Riley King, The Blues Boy from Beale Street“ wurde „Beale Street Blues Boy“, daraus „Blues Boy“ und schließlich „B.B.“ Vier Jahre bevor er seine erste Tour-Band gründete, landete er 1951 mit Lowell Fulsons „Three O’Clock Blues“ seinen ersten Hit, mit dem er 17 Wochen Platz 1 der Charts belegte. Der Plattenerfolg blieb ihm seither treu, Hits machten ihn zum Millionär (1960: „Sweet Sixteen“, 1965: „Live At The Regal“, 1970: „The Thrill is gone“ ... ) Kein Blueskünstler verkaufte mehr schwarze und silberne Scheiben als er.
Den typischen „Knick“ sucht man in B.B.s Karriere vergebens. B.B., der einige Ehrendoktorhüte bekam, lehrte Blues an Universitäten und spielte ebenso in Gefängnissen und hatte Gastauftritte in Filmen und Serien („Al Bundy“). Auf musikalischen Stillstand hat er sich nie eingelassen, auch wenn die Zusammenarbeit mit Kollegen aus der Pop-Branche wie U2 kommerzielle Gründe hatte. Puristische Erwägungen kannte er nicht: „Saiteninstrumente gibt es seit König David. Warum sollte ich kein Streichorchester verwenden?“
B.B. hat wie wenige die Musiklandschaft verändert. „Jeder Blues- und Rockgitarrist, der ihn nicht als einen wichtigen Einfluss nennt“, so die Musikzeitschrift Rolling Stone kategorisch und kaum übertrieben, „ist entweder ein Ignorant oder ein Lügner.“