Seit fast 25 Jahren begleitet die Berliner Gesellschaft für Neue Musik (BGNM) die freie Szene in der Hauptstadt, vernetzt, veranstaltet und wirft Fragen auf. Und das unter oft schwierigen finanziellen Bedingungen.
Als sich am 28. November 1990 im Pavillon des ehemaligen Senders Freies Berlin die Berliner Gesellschaft für Neue Musik unter dem Vorsitz von Matthias Osterwold gründete, stand vor allem ein Thema ganz oben auf der Agenda: die Vernetzung zwischen den Musikschaffenden aus beiden Stadtteilen der wiedervereinigten Hauptstadt. Als unhabhängige Kommunikationsplattform mit aktiven Mitgliedern sollte die BGNM das aktuelle Musikleben in der Stadt diskursiv begleiten und an die Öffentlichkeit bringen – und das mit Festivals, Konzerten, Diskussionsveranstaltungen und den regelmäßig stattfindenden Jours fixes als Treffpunkt für Komponisten und Interpreten, um die Musik von Kollegen kennenzulernen, sowie für Wissenschaftler, um neue theoretische Ansätze zu präsentierten und zur Diskussion zu stellen.
Den Auftakt machte im Dezember 1991 das Festival „Musik zur Zeit – in Berlin“, veranstaltet in der Akademie der Künste, im Centre Culturel Français und im Haus der Ungarischen Kultur. Weitere Festivals folgten, etwa das „SprachTonArt“-Festival im Podewil in Kooperation mit dem Literarischen Colloquium Berlin oder „Irrton“, ein „Festival virtueller Irritationen“ zum Thema Wahrnehmung und Täuschungen in Musik, Kunst und Wissenschaft.
Mittlerweile sind die Unterschiede zwischen der Ost- und Westberliner Musikszene weitestgehend Geschichte. Das Grundverständnis der BGNM als Diskursplattform über Neue Musik in der Hauptstadt aber ist geblieben. Denn auch wenn die Zeiten der großen ästhetischen Auseinandersetzungen passé scheinen, Fragen nach dem Selbstverständnis der zeitgenössischen Musik, nach ihren Möglichkeiten, ihren speziellen ästhetischen Entwicklungen und ihrem Umgang mit dem Publikum sind nach wie vor aktuell. Ein weiterer Schwerpunkt der BGNM-Arbeit gilt der Vernetzung.
Nirgendwo in Deutschland ist die freie Musikszene so lebendig und groß, aber eben auch sehr zersplittert und unübersichtlich wie in Berlin. Um die Musik nicht in ihren eigenen Zirkeln verweilen zu lassen, thematisiert die BGNM ästhetische Verbindungen zu anderen zeitgenössischen Künsten und bringt Künstler, Theoretiker und Publikum miteinander ins Gespräch. Das spiegelt sich auch in der Besetzung des Vorstandes wider, der über die Jahre von Komponisten, Musikern, Wissenschaftlern oder Journalisten mit ganz unterschiedlichen ästhetischen Hintergründen geprägt wurde und wird, wie etwa Sabine Sanio, Holger Schulze, Julia Gerlach, Martina Seeber, Christa Brüstle, Ralf Hoyer, Georg Klein, Stephan Winkler und aktuell Markus Bongartz, Jutta Ravenna, Henry Mex und Bettina Wackernagel.
Für einen derartigen Austausch eignen sich besonders gut die Jours fixes, die immer unter einem Motto stehen und auch einen musikalischen Teil beinhalten. So wurde etwa 2011 im renommierten Techno-Club „Tresor“ nach Schnittmengen zwischen Techno und Neuer Musik gesucht. An anderer Stelle wurde mit Aribert Reimann über dessen Avantgardebegriff oder mit Harry Lehmann über sein Buch „Die digitale Revolution der Musik“ diskutiert. Weitere Veranstaltungen wurden unter anderem in Kooperation mit der Aktion Mensch, dem ungarischen Kulturinstitut Berlin (CHB), der Reihe unerhörte Musik im BKA, der Respublica e.V. (Politikfestival), dem Bündnis der Freien Szene Berlin, der Künstlergruppe Errant Bodies, dem Berghain sowie dem Haus der Kulturen der Welt durchgeführt.
Neben den Jours fixes sind es noch immer die Festivals, die die Eckpfeiler der BGNM-Arbeit bilden. Zu den Höhepunkten der letzten Jahre zählen das Festival „Sportstücke“, auf dem in Konzerten, Performances und Diskurs-Veranstaltungen das Verhältnis von Musik und Sport ausgelotet wurde, und das „Heroines of Sound“-Festival, das die Pionierinnen der elektronischen Musik, wie Laurie Spiegel und Else Marie Pade, sowie Frauen der aktuellen Musikszene würdigte.
Gab es in den 1990er-Jahren noch jedes Jahr ein großes Festival und einen monatlichen Jour fixe, können diese aufgrund fehlender Gelder seit einigen Jahren nur noch sporadisch veranstaltet werden. Auch die BGNM-Jahrbücher, in denen seit 1999 die wichtigsten Beiträge aus den thematischen Diskussionsreihen zusammengefasst wurden, mussten 2004 eingestellt werden. Erst für das Festival „Sportstücke“ konnte im Jahr 2012 eine solche Dokumentation wieder herausgegeben werden. Die BGNM verfügt über keine regelmäßige Förderung, was eine langfristige Planung sehr erschwert.
Zwar wurde ihre Arbeit in den letzten Jahren unter anderem von der Hanne Darboven Stiftung und der BMW Stiftung gewürdigt und mit Mitteln des Hauptstadt Kulturfonds unterstützt, die „initiative für neue musik“ (inm), der Hauptförderer der BGNM, strich in diesem Jahr allerdings seine Gelder für die Gesellschaft komplett. Für die Mitglieder, die ohnehin größtenteils ehrenamtlich arbeiten, ist das eine große Herausforderung. Trotzdem kann die Gesellschaft auch 2015 einige Projekte realisieren, unter anderem das Festival „fil électrique“ mit Stationen in Berlin, Istanbul, Aarhus und Den Haag. Und so wünscht man sich in der BGNM derzeit vor allem eines: eine institutionelle Förderung, die eine kontinuierliche Arbeit zulässt, damit der unabdingbare Diskurs über die Neue Musik in Berlin auch in Zukunft weitergeführt werden kann.