Bayreuth fand diesen Sommer im Kino statt. Wer überraschenderweise keine Karten für den Grünen Hügel bekommen hatte, konnte statt auf harten Sitzschalen im Festspieltreibhaus auf Luxuspolstern in klimatisierten Lichtspieltempeln Platz nehmen. Man gab den Ring des Nibelungen in der Inszenierung eines jungen französischen Schauspielregisseurs. In einigen Kinos soll es am Ende zu spontanen Beifallsbekundungen gekommen sein. 25 Jahre Chéreau-Ring (1980 fiel der letzte Vorhang) galt es zu feiern – eine Erfolgsgeschichte.
Dass diese über den Umweg heftigster Proteste verlief, muss hier nicht ein weiteres Mal nacherzählt werden. Auch die Tatsache, dass Patrice Chéreau über weite Strecken nichts anderes getan hat, als George Bernard Shaws brillante marxistische Analyse aus „The perfect Wagnerite“ auf die Bühne zu bringen (und damit nicht der Erste war), ist mittlerweile in jedem besseren Opernführer nachzulesen. Was wäre also angesichts der erneuten und – so versichert zumindest die Universal – in der Klangqualität neuerlich verbesserten Veröffentlichung auf DVD zu berichten?
Nun, zum einen scheint sich die Aufbereitung mit neuester DTS-5.1-Technik (wie schon bei den früheren Unitel-Neuauflagen, siehe nmz 7/8-2005) nicht unbedingt vorteilhaft auf die Präsenz der Gesangsstimmen auszuwirken; der weiterhin verfügbare gute alte Stereo-Klang scheint mir da doch immer noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Zum anderen ist leider festzuhalten, dass die Ausstattung den Ansprüchen an eine Jubiläumsedition dieses Kalibers nicht ganz gerecht wird.
Da gibt es zwar eine (wie alle Ring-Teile auch separat erhältliche) Making-of-DVD, die datiert aber aus den 80er-Jahren und ist eine eher konventionelle dokumentarische Begleitung der Verfilmung, die damals (als erste komplette Ring-Produktion) ins Fernsehen kam. Als lose Abfolge von Interviewausschnitten, Probenfragmenten und oberflächlichen Ausflügen in die Historie der Ring-Inszenierungen kann sie nicht viel mehr sein als ein Appetitanreger. Immerhin wird die Handlung in den Booklets mit Bezug auf Chéreaus Inszenierung nacherzählt, die Chance einer fundierten Auseinandersetzung mit seinen interpretatorischen Ansätzen, für die das Medium ideal wäre, wird indes nicht genutzt. Von einer zusätzlichen Tonspur mit Kommentaren zur laufenden Aufführung (idealerweise mit Chéreau und Boulez) – wie es bei gut ausgestatteten Kinofilmen auf DVD Usus ist – wagt man gar nicht zu träumen. Ärgerlich schließlich, dass in den Titelmenüs keine Szenen anwählbar sind, sondern nur die kompletten Akte.
Und doch bleibt diese Verfilmung natürlich ein Ereignis. Chéreaus frappierend stimmige Bildersprache hat sich nicht von ungefähr derart ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass sie zum festen Bestandteil der Wagner-Rezeption geworden ist: Das Wasserkraftwerk (Arbeitsplatz der Rheintöchter), das unerbittliche Pendel im Salon des gutbürgerlich-göttlichen Ehepaars, Siegfrieds dampfbetriebener Schmiedehammer, Brünnhilde, wie sie von Gunther hinter sich hergezerrt wird – ein erniedrigter Engel, das Haar beschämt übers Gesicht geworfen. Oder die gerade im Rheingold zahlreichen Szenen köstlichen Humors, die nicht von ungefähr um das heimliche Zentrum dieses Vorspiels kreisen: um Heinz Zedniks überragenden Loge, eine – wie sein Mime im Siegfried – darstellerisch wie sängerisch singuläre Leistung. Ein weiterer Glanzpunkt innerhalb des leider nicht durchweg beglückenden Ensembles: die Fricka der Hanna Schwarz. Aber auch der vokal schwächere Donald McIntyre hat als Wotan in der Walküre große Momente, ebenso Gwyneth Jones’ Brünnhilde, etwa in der Götterdämmerung.
Entscheidend für die Gesamtwirkung ist aber Chéreaus akribische Detailarbeit am darstellerischen Ausdruck, die für die von Altmeister Brian Large souverän bewältigte Verfilmung noch intensiviert wurde. Und natürlich Boulez’ luzides, dramatisch stets schlüssiges Dirigat, das gerade in der Kunst der Übergänge und der subtilen Gewichtsverlagerung in der Begleitstruktur all das mehr als aufwiegt, was vordergründig an emphatischer Kraft- und Klangentfaltung zu fehlen scheint.
Die Konkurrenzlosigkeit dieser Produktion erweist sich gerade im Vergleich mit weiteren neu erschienenen Ring-Aufnahmen. Kann Harry Kupfers Bayreuther Walküre von 1992 mit einem vor Spannung berstenden ersten Akt zunächst noch mithalten, so erweist sich seine verödete Szenerie insgesamt doch als eher lähmend. John Tomlinsons Wotan, ein Halbstarker in der Midlife-Crisis, artikuliert zwar vorbildlich, was er aber am Ende in die lasergestützte Feuersbrunst hineinbrüllt, hat mit Gesang kaum mehr etwas zu tun. Barenboims immer wieder gnadenlos über die Stimmen herfallendes Orchester klingt zwar brillanter und plastischer in den klangmalerischen Passagen als dasjenige Boulez’, ein Ersatz für die mitunter abhanden kommende Innenspannung ist dieser phasenweise knallige Sound (der auch den Sängern nicht schmeichelt) aber nicht.
Eine substanzielle Weiterentwicklung von Kupfers Interpretation kann man in der aus Berlin nach Barcelona exportierten neueren Produktion aus dem vergangenen Jahr kaum erkennen (auch wenn manch szenische Verwandlung spektakulär vonstatten geht). Wohl aber den vokalen Niedergang des Graham Clark, der in Bayreuth noch einen überragend präsenten Loge und Mime gesungen (!) hatte und nunmehr in einen schrill überzeichneten Sprechgesang ausweichen muss. Deborah Polaskis Brünhilde bewegt sich auf solidem Niveau, ansonsten herrscht sängerisches Mittelmaß. Barcelonas Opernchef Bertrand de Billy wäre ohne Frage ein interessanter, mit großer Klarheit disponierender Ring-Dirigent, das Orchester des Teatre del Liceu ist den enormen Anforderungen der Partitur aber nur phasenweise gewachsen. Eine im direkten Hörvergleich mit den Bayreuther Klangkörpern mitunter schmerzliche Erfahrung.
Neue Maßstäbe setzt indes die im Schlingensief-Jahr auf der Baden-Badener Festspielbühne umjubelte Parsifal-Alternative. Nikolaus Lehnhoffs in ihrer visuellen Klarheit bestechende, streng werkorientierte, dabei aber nie rückwärts gewandte Darstellung ist vom Kamerateam in perfekter Übereinstimmung mit der dem Stück innewohnenden gespannten Ruhe umgesetzt worden. Dass es außerdem gelang, ein Sängerquartett von solch außergewöhnlicher vokaler wie szenischer Präsenz zu verpflichten, macht diesen Mitschnitt zu einem Dokument ersten Ranges. Kent Naganos insgesamt vielleicht eine Spur zu kühl-distanzierte orchestrale Umsetzung erweist sich in ihrer dynamischen Zurückhaltung als Voraussetzung für eine auch im Vokalen geradezu kammermusikalische, von allem vordergründigen Opernpathos befreite Aufführung. Christopher Ventris in der Titelpartie, Waltraud Meier als Kundry, Thomas Hampson als Amfortas und Matti Salminen als Gurnemanz können so den Beweis antreten, dass lyrischer Wagner-Gesang nicht nur in Bezug auf die Dynamik möglich ist. Schade, dass die Männerstimmen des Chores dieses hohe Niveau nicht halten können.
Als Bonus enthält auch diese Box einen Film zur Parsifal-Produktion. Sie beschränkt sich, durchaus plausibel, auf eine von Regisseur und Sängern kommentierte Nacherzählung der Handlung: Lehnhoff eloquent dozierend, die Sänger im Plauderton, aber ihre Rollen auch sehr bewusst reflektierend.
Dass ein Belcanto-Tristan möglich ist, das wollte Placido Domingo schon lange einmal auf Platte beweisen. Und hat sich diesen Traum nun in einer für heutige Verhältnisse kaum mehr für möglich gehaltenen Studioproduktion erfüllt. (Es wurde schon die Vermutung geäußert, der anonyme Spender, der diese Aufnahme ermöglicht habe, sei niemand anderes als Domingo selbst.) Die Argumente pro und contra Domingos Wagner-Gesang sind bekannt: Die einen ergötzen sich zurecht an seiner im Wagnergesang rar gewordenen Legatokultur und seinem nach wie vor betörenden Stimmklang, die anderen bemängeln mit gleicher Berechtigung seine Textbehandlung. Zweifellos hat er für die Aufnahme nochmals hörbar daran gearbeitet. Dialogische Passagen in mittlerer Lage ohne Extreme in Tempo und Dynamik gelingen ihm recht gut, sobald es aber – wie im 2. Akt im Liebesrausch mit Isolde – in schnellere, emphatische Passagen geht, verschwinden immer wieder sinntragende Buchstaben und – was schwerer wiegt – Domingo scheint regelrecht über den Text hinwegzusingen.
Ansonsten ist ein mit Nina Stemmes Isolde, Olaf Bärs Kurwenal und René Papes Marke sehr gut und mit Rolando Villazóns Seemann und Ian Bostridges Hirten luxuriös besetztes Ensemble zu hören, dem Antonio Pappano und das Covent Garden Orchestra einen leidenschaftlichen und detailgenauen Klangteppich unterlegen (ohne freilich an Kleibers diskografische Tristan-Großtat heranzukommen). Auf der Bonus-DVD ist die komplette Aufnahme auch in Surround-Klang verfügbar, dazu das Libretto in Bildschirmdarstellung. Fehlt also eigentlich nur eine Version ohne Gesang für einen beschaulichen Karaoke-Abend.
Diskografie
Der Ring des Nibelungen (Regie: P. Chéreau): Donald McIntyre, Heinz Zednik, Hanna Schwarz, Gwyneth Jones, u.a.; Orch. Bayreuther Festspiele, Pierre Boulez; 8 DVD (incl. Making of) Universal 00440 073 4057
Der Ring des Nibelungen (Regie: H. Kupfer): Falk Struckmann, Graham Clark, Deborah Polaski, John Treleaven u.a.; Orch. Gran Teatre del Liceu Barcelona, Bertrand de Billy, 9 DVD Opus Arte OA 0910/11/12/13 D
Die Walküre (Regie: H. Kupfer): Poul Elming, Nadine Secunde, John Tomlinson, Anne Evans u.a.; Orch. Bayreuther Festspiele, Daniel Barenboim; 2 DVD Warner 2564 62319-2
Parsifal (Regie: N. Lehnhoff): Christopher Ventris, Waltraud Meier, Matti Salminen, Thomas Hampson u.a., DSO Berlin, Kent Nagano; 3 DVD Opus Arte OA 0915 D
Tristan und Isolde: Placido Domingo, Nina Stemme, Mihoko Fujimura, Olaf Bär u.a.; Covent Garden Orch., Antonio Pappano; 3 CD + DVD EMI 7243 5 58006 2 6