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Wie man den Notfall Schulmusik am besten therapiert

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Eine Expertendiskussion im Rahmen des Musikmagazins „taktlos“ vom 4. Februar 2000
Publikationsdatum
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Theo Geißler: Einer Studie der Universität Potsdam zufolge sind deutsche Lehrerinnen und Lehrer in besonderem Maße vom „Burn-Out“-Syndrom betroffen. Herr Bäßler, fühlen Sie sich als Lehrertrainer für den schlechten Zustand auch unserer Musiklehrer mitverantwortlich?

Auszüge eines Gesprächs von Theo Geißler mit Amelie von Krosigk (Schülerin des Leistungskurses Musik, Luisengymnasium München), Hans Bäßler (Professor an der Hochschule für Musik in Hannover und Vorsitzender des VDS), Markus Köhler (Studienrat am Rudolf Diesel Gymnasium, Augsburg, Vorsitzender des vbs) und Bernhard Weidner (Komponist) Theo Geißler: Einer Studie der Universität Potsdam zufolge sind deutsche Lehrerinnen und Lehrer in besonderem Maße vom „Burn-Out“-Syndrom betroffen. Herr Bäßler, fühlen Sie sich als Lehrertrainer für den schlechten Zustand auch unserer Musiklehrer mitverantwortlich? Hans Bäßler: Bezogen auf die Institution, die ich hier vertrete, natürlich schon. Ich glaube, dass der psychische und physische Zustand von Lehrern und Lehrerinnen insgesamt ziemlich schwierig ist. Im Hinblick auf den Musikunterricht wird man sagen müssen, dass die Ausrichtung der Ausbildung über Jahrzehnte hinweg in eine Richtung getrieben worden ist, die viel weniger die pädagogische Professionalisierung und viel stärker die künstlerische in den Vordergrund gestellt hat. Es ist also kein Wunder, dass die Spanne zwischen dem Studium und dem, was in der Schule passiert, so extrem wird, dass es nicht mehr auszuhalten ist.

In Bayern – sagt man – ist es kulturell ja schon immer etwas besser gewesen. Stimmt das auch für das Fach Schulmusik, quer durch die Schularten und -stufen?

Markus Köhler: Prinzipiell schon, es gibt im Vergleich zu anderen Bundesländern positive Erscheinungen, etwa die Entwicklung in der Realschule: In der neuen sechsstufigen Realschule (R6) hat das Fach Musik einen Stellenwert, den es noch nie gehabt hat. Auf der anderen Seite haben wir aber am Gymnasium einen Schulversuch, der einstündige Fächer abschafft. Die Folge ist, dass das Fach Musik in den Jahrgangsstufen acht und zehn gar nicht zur Verfügung steht. Wenn man die Wahlmöglichkeit in der Oberstufe hinzunimmt, ist das der Tod des Musikunterrichts. Insgesamt ist zu be-
obachten, dass die Stundentafeln im Sinne vermeintlich „nützlicherer“ Fächer umgekrempelt werden.

Herr Weidner, Sie haben kürzlich beim Symposium der Münchner Gesellschaft für Neue Musik einen Vortrag zum Thema „Neue Musik und Schule“ gehalten. Sollte so etwas abseitiges wie die Neue Musik überhaupt in den Unterricht getragen werden?

Bernhard Weidner: Als Komponist denke ich, dass die Hervorbringung von und die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst für eine Gesellschaft von essenzieller Bedeutung sein kann. Andererseits bin ich auch musikalisch institutionell ausgebildet: Nachdem aus meinem Elternhaus keine Impulse in Richtung E-Musik kamen, bekam ich diese aus der Schule.

Frau von Krosigk, welche Bedeutung hatte der Musikunterricht für Sie?

Amelie von Krosigk: Man muss einen großen Unterschied machen zwischen dem Leistungskurs und den ersten Jahren. Diese eine Wochenstunde, die dann auch noch oft ausgefallen ist, kann man nicht ernst nehmen. Die wurde immer dazu benutzt, sich auf die „wichtigen“ Fächer vorzubereiten. Ich selbst habe schon sehr früh über meine Schwester, die auch Leistungskurs hatte, erfahren, was man da macht und welche Gebiete sich da eröffnen. Andere wurden – denke ich – durch den Musikunterricht der ersten Jahre nur abgeschreckt. Es ist wohl generell so, dass nur die sich auf Dauer für Musik begeistern, die auch außerhalb der Schule damit in Berührung kommen und an die Musik herangeführt werden.

Wie schlecht ist der Musikunterricht denn eigentlich?

Es gibt zweifellos schlechten Musikunterricht, aber eben auch guten. Und es gibt Kollegen/-innen, die nachmittags zusätzlich kommen, um mit ihren Schülern/-innen Musik zu machen. Und wenn wir dieses andere Bild von Musiklehrkräften nehmen – so etwas wie Begleitung beim Musizieren auf Grund eines bestimmten Know-hows – dann verändert sich schlagartig der gesamte Musikunterricht. Der Zustand ist keineswegs trostlos. Ich möchte vor allem die Möglichkeiten der Lehrerfortbildung herausstellen. Wenn man sich klar macht, dass das heutige Wissen eine Halbwertszeit von etwa fünf Jahren hat, ist es unmöglich im Studium immer auf dem neuesten Stand zu sein, der dann für vierzig Berufsjahre reichen soll. Als aktuelle Beispiele für solche Fortbildungsprojekte, die neue Tendenzen aufgreifen, möchte ich nur auf zwei verweisen die sich mit Percussion-Unterricht für verschiedene Ensembles und unterschiedliche Schularten oder dem Thema House und Techno beschäftigen, also Musikstile, die für die jungen Menschen heute interessant sind.

Woher kommt es, dass das „Burn-Out-Syndrom“ gerade bei Musiklehrern sehr früh einsetzt?

Ich glaube, es kommt daher, dass die Lehrer der besonderen Erwartungshaltung der Schüler dem Fach Musik gegenüber nicht gerecht werden können. Man versucht mit Modellen aus dem Studium etwas dagegen zu setzen und dann kommen die Reibereien, die einen auf Dauer krank machen. Deshalb sollten zunächst einmal Balint-Gruppen eingerichtet werden, als professionelle psychotherapeutische Berufsbegleitung. Man müsste aber auch für sich selbst zulassen, dass Jugendliche einen anderen Geschmack haben und dann seine eigene Orientierung dazu in Bezug stellen.

Man kann den Erwartungshaltungen wohl nur gegenüber treten, wenn man sich klar darüber ist, welche Fähigkeiten man übermitteln will. Wichtig wären meines Erachtens „ästhetische Fähigkeiten“. Es geht eben nicht nur darum, das erkennende Verstehen, also Fakten zur Musikgeschichte oder zur allgemeinen Musiklehre weiterzugeben, sondern auch darum, die Aufnahmebereitschaft, die Empfindsamkeit für Musik zu fördern.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Unter dem bayerischen Stichwort „Bildungsoffensive“ versammeln sich die Bereiche Werteerziehung, Charakterbildung, Selbstverwirklichung und Eigenständigkeit. Das mögen Schlagworte sein, die aber gerade durch Musikunterricht aufgegriffen und konkretisiert werden können. Es gibt ja wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Fähigkeiten wie soziale Kompetenz und Kreativität in keinem Fach so gut gefördert werden können wie in der Musik.

Das setzt aber besonders gut ausgebildete Lehrer mit beinahe schon sozialtherapeutischen Kompetenzen voraus. Lernt man das an der Hochschule?

Bisher nicht in ausreichendem Maße. Ich stimme dem zu, was Herr Weidner gesagt hat: Ästhetisches Lernen ist ein Wert an sich. Trotzdem ist fraglich, ob sich die ästhetische Erfahrung des Studiums, etwa des Instrumentalunterrichts, unmittelbar auf die Schule übertragen lässt, und hier liegt das Problem. Ich möchte vor allem auf die Bedeutung der allgemeinbildenden Schulen hinweisen: Dort sind wirklich alle Jugendlichen erreichbar. Die Sozialpflichtigkeit des Staates schließt eben auch die Kunstpflichtigkeit ein. Deswegen haben wir in Bayern ja das Modell, dass die jungen Leute auch in den Schulen Instrumentalunterricht erhalten können.

Aber die Politiker lassen sich doch gar nicht mehr in die Pflicht nehmen.

Ich stelle immerhin seit etwa einem Jahr einen Wandel fest in den Kultusministerien der Länder. Das Bewusstsein für die Bedeutung ästhetischer Erfahrungen wächst und auch dafür, dass ein Stück unserer traditionellen Kultur wegzubrechen droht

Und wie sieht es mit der Wirtschaft aus? Kann die Schulmusik hier nicht auch mit dem Argument für Unterstützung werben, wichtige Kompetenzen zu fördern?

Die Funktionalisierung und Zielgruppenorientierung der Musik ist ohnehin schon sehr weit fortgeschritten. Wenn nun auch noch das Wecken von Musikalität zu Management-Zwecken instrumentalisiert wird, sehe ich das als sehr problematisch an.

Wir haben in der Schule ein grundsätzliches Problem: Es gibt zu wenig Freiräume für etwas, was nicht mit Berechenbarkeit, nicht mit einer Kosten-Nutzen-Analyse zu tun hat. Diese Räume bräuchten wir aber. Und es lohnt sich, für sie zu kämpfen, um des Bildens willen und nicht, damit jemand später besser mit seinem Job zurecht kommt. Schule hat auch etwas mit Ausbrechen zu tun – damit, sich selbst neu zu finden, andere Seiten an sich zu entdecken. Wenn Schule das bietet, wären wir einen entscheidenden Schritt weiter. : Was ist also zu tun? Für guten Unterricht brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen, angefangen mit bestmöglichen Lehrplänen und einer Stundentafel, in der Musik eigenständiges Fach ist. Der Musikunterricht darf auch nicht in das Belieben der Schüler- oder Lehrerwahl gestellt werden oder von Entscheidungen der Bürokratie abhängen. Wir müssen erstens etwas tun für die Lehreraus- und fortbildung, zweitens muss in der Schule ein Klima geschaffen werden, in dem Musik wieder als die wunderbare Sache angesehen wird, die sie ist. Das Umsetzen über Ausbildung und Lehrpläne kann man meiner Meinung nach relativ schnell erreichen. Deswegen sehe ich auch keinen Grund zur Panik. Weder unsere Musikkultur geht zugrunde, dazu ist sie einfach zu gut, noch gehen unsere Schulen zu Grunde – wenn dort Musik wirklich gemacht und nicht nur über sie geredet wird.

Auszüge aus der Sendung „“ vom 4. Februar 2000 auf Bayern2 Radio, Regie: Christoph Stechbart, Redaktion: Wolf Loeckle

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