Stundenlang saß Pèter Köszeghy in Fast-Food-Restaurants. „Gegessen habe ich dort nichts“, sagt er. Stattdessen hat er die Atmosphäre einfangen – Geräusche von klappernden Tabletts oder kauenden Menschen. Das alles für seine Komposition, die „Sterile Food Cantata“. Das Werk ist eines von sieben Preisträgerstücken des Internationalen Kompositionswettbewerbs des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig (FZML).
Das Thema des Wettbewerbs heißt „Fast Food“. Das ist bauch- statt kopflastig und damit ungewöhnlich für zeitgenössische Kompositionen. Doch genau das reizte den ungarischen Komponisten, der seit 1992 in Berlin lebt. „Sich mit etwas anderem als den gewollt intellektuellen Themen zu beschäftigen, war eine geistige Erfrischung für mich“, sagt Köszeghy.
Für viele Zuhörer ist das Thema „Fast Food“ mit Sicherheit ein Grund, sich der Neuen Musik überhaupt zu öffnen. Und genau das ist das Konzept von Thomas Christoph Heyde, dem Künstlerischen Leiter des FZML: „Zeitgenössische Musik hat mit öffentlichen Klischees zu kämpfen, dass man drei Stunden stillsitzen muss und hinterher tut einem der Hintern weh und die Ohren noch mehr. Das wollen wir den Leuten aus dem Hirn blasen.“ Heyde und seine Mitarbeiter tun das seit vielen Jahren erfolgreich. Sie haben dem FZML und damit der zeitgenössischen Musik in Leipzig eine eigene Handschrift gegeben.
Als Gerd Schenker und andere Musiker der „Gruppe Neue Musik Hanns Eisler“ gemeinsam mit dem Komponisten Steffen Schleiermacher am 8. November 1990 das FZML als Verein gründeten, war an ein Fast-Food-Konzert nicht zu denken. „Damals ging es vor allem darum, Konzerte zeitgenössischer Musik weiter durchzuführen und Fördergelder zu beantragen“, sagt Schenker.
Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Vieles hat sich verändert.
Mitte der 90er-Jahre wollte zeitgenössische Musik auch in Leipzig nur noch eine Hand voll Leute hören. Neue Konzepte mussten her. Weil gerade junge Menschen nicht mehr in Konzertsäle gehen, kommt seit 2005 die zeitgenössische Musik zu ihnen. „Wir wollen die Leute dort abholen, wo sie sind – an den Orten der Arbeit und der Freizeit“, erklärt Heyde das erfolgreiche Konzept.
Die Konzertreihe Freizeit-Arbeit lässt Werke zeitgenössischer Komponisten zum Beispiel im Freibad, in der Straßenbahn, im Arbeitsamt, auf dem Flughafen, im Bordell oder auf dem Friedhof aufführen. Von Neuer oder zeitgenössischer Musik spricht dabei niemand. „Das sind Labels, die die Menschen extrem abschrecken“, sagt Heyde. „Wir sagen, es ist Musik an einem besonderen Ort und diese Musik hat mit dem Ort zu tun.“ Und das funktioniert. Wo genug Platz ist, hören sich an einem Abend schon einmal 500 Menschen zeitgenössische Musik an: Ein Stück für Cello und Zuspielband, Schlagzeug-Solo oder eine Videoinstallation mit Elektronischer Musik – was die zeitgenössische Musik derzeit zu bieten hat, kommt in Leipzig auf die Bühne. Nicht als ästhetische Spielerei, sondern als eine Möglichkeit, viele Menschen für Neue Musik zu begeistern. „Wenn der ästhetische Zugang zur Komposition für die Zuhörer schwierig wird, gibt es immer noch einen über die Themen“, sagt Heyde.
Er hat in seinem Büro eine lange Liste von möglichen Aufführungsorten für die Konzertreihe hängen. Ständig ist er in Verhandlungen mit Unternehmen, Behörden und Verwaltungen. Denn Inhaber und Besitzer der Aufführungsorte finanzieren die Hälfte des Konzertes. Sie davon zu überzeugen ist nicht immer leicht. Bisher bekam das FZML nur eine Absage.
Zeitgenössische Musik den Menschen nahe bringen, das wollte das FZML von Anfang an. Erst mit Konzertreihen, dann sogar mit einem Festival – das 2006 schließlich den Namen „Macht-Musik“ bekam und jedes Jahr unter einem anderen Motto stand. Bei der Premiere ging es um Politik. Später standen Themen wie Religion, Sport und Sex in den Programmheften. Und auf der Bühne erklang neben Werken von Steve Reich, Luciano Berio, Heinz Holliger und Friedrich Schenker auch Punk, HipHop und Popmusik, Filme wurden gezeigt und Vorträge gehalten. Die Themen sollen in allen Spielarten und ihren intermedialen Verknüpfungen dargestellt werden, nicht in einer akademischen Neuen Musik. Manche kritisieren diese Art der Popularisierung. Doch dem FZML und Thomas Christoph Heyde scheint der Erfolg Recht zu geben. Für seine neuen Konzepte und neuen Programme im Bereich zeitgenössische Musik erhielt das FZML 2009 den Förderpreis des Sächsischen Initiativpreises für Kunst und Kultur.
Noch einen Preis gab es für die Arbeit an Schulen. Dort wird nicht nur Neue Musik vorgestellt. Projekte zu Toleranz und Demokratie sowie gegen Rassismus und Rechtsextremismus sind seit 2007 fester Bestandteil des FZML.
2010 waren sie es nicht. „Bund und Land wollten die zeitgenössische Musik in Leipzig von Anfang an stärken“, sagt Heyde. „Die Stadt selbst überhaupt nicht.“ Ohne Unterstützung von dort funktioniert Neue Musik in Leipzig aber nicht. Anfang dieses Jahres – ausgerechnet zum 20-jährigen Jubiläum des FZML – schien die Aufstockung der Förderung durch die Stadt Leipzig unmöglich. Thomas Christoph Heyde und die anderen Mitarbeiter rangen sich zu einer Pressemitteilung durch. Ein Hilferuf. Die pädagogischen Programme und eine Konzertreihe speziell für junge zeitgenössische Komponisten sollten eingestellt werden, wenn die Zahlungen nicht aufgestockt würden. Mittlerweile ist das Geld da. Jetzt sogar 40.000 statt 12.000 Euro. Doch noch immer ist nicht alles im Lot. „Das FZML braucht dringend einen personellen Unterbau“, sagt Heyde. Professionelle Arbeit funktioniert nicht nur mit Freiberuflern. Das Geld der Stadt ist aber an Projekte gebunden. Personal darf damit nicht finanziert werden. „Darüber streiten wir noch.“
2011 soll es wieder Projekte mit Schülern geben – und die neue Konzertreihe „Butterfahrt“. Junge internationale Musiker und Komponisten der zeitgenössischen Musik sollen nach Leipzig kommen und im Szeneviertel auf ein junges Publikum treffen. Neue Konzepte für die Neue Musik gibt es nach 20 Jahren Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig immer noch. Und der Blick der Macher geht immer nach vorn.
Fast-Food-Konzert: 11. Dezember, 18 und 20.30 Uhr, Burger-King-Filiale, Radefeld bei Leipzig