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Clara Schumann 1857. Foto: Franz Hanfstaengl/Wikimedia Commons
Clara Schumann 1857. Foto: Franz Hanfstaengl/Wikimedia Commons
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Zukunftsfähig, aber keine Frau von heute

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Nachdenken über Clara Schumann: Die Musikforscherin Beatrix Borchard im Gespräch
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Am 13. September 2019, dem 200. Geburtstag Clara Schumanns, wird im Schumann-Haus Leipzig die neue Präsentation „Experiment einer Künstlerehe – Die Leipziger Zeit der Schumanns“ eröffnet. Deren Kuratorin ist Prof. Dr. Beatrix Borchard, die im Sommer 2019 mit „Clara Schumann. Musik als Lebensform: Neue Quellen – Andere Schreibweisen“ nach ihrer Promotion über „Clara Wieck und Robert Schumann, Bedingungen künstlerischer Arbeit in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts“ und der Biographie „Clara Schumann: Ihr Leben“ eine Reflexion über Quellen, Lücken und Lektüren zum Leben und Vermächtnis der Komponistin, Pianistin und Klavierpädagogin publiziert. Roland H. Dippel sprach mit ihr.

neue musikzeitung: Frau Professor Borchard, warum veröffentlichen Sie ein drittes Buch über Clara Schumann?

Beatrix Borchard: Der Auslöser war, dass sich in den letzten Jahren durch die Neue Briefedition und die Erschließung anderer Dokumente die Materiallage zur Vita von Clara Schumann/Wieck und damit auch von Robert Schumann wesentlich verbessert hat. Neben der schon davor umfangreichen Menge an Dokumenten können jetzt noch über 20.000 Briefe ausgewertet werden. Zum anderen hat sich seit meiner Promotion 1983 und dem Erscheinen der ersten Biographie 1991 in der geschlechtsspezifischen Betrachtung enorm viel getan. Das verändert den Blick auf Clara Schumann und ihre Beziehung zu Robert Schumann gewaltig.

nmz: Halten Sie es für legitim, Clara Schumann als Vorläuferin der Frauenbewegung zu positionieren?

Borchard: Ich plädiere dringend für die Beachtung der historischen Dis­tanz. Clara Schumann war fest verwoben in einem familiären und sozialen Netzwerk, sie war berufstätig und hatte Kinder. Ihr Handeln ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund eines kunstreligiösen Settings und dem Heroenkult des 19. Jahrhunderts. Robert Schumanns Anspruch auf sein Bestimmungsrecht über alle Entscheidungen wurde von Clara Schumann nie hinterfragt, selbst wenn sie emanzipatorisch deutbare Verhaltensweisen zeigte. Deshalb braucht sie die vermeintlich objektivierende Aufwertung nicht, die man ihr mit dem Gebrauch des Doppelnamens „Wieck-Schumann“ oder „Schumann-Wieck“ mit einer für heute gültigen Gleichwertigkeit gibt. Clara hieß als junge unverheiratete Frau „Mademoiselle Wieck“ und nach der Heirat bis zu ihrem Tod „Frau Schumann“. Sie selbst hat also nie den Doppelnamen genutzt, dazu bestand zu ihrer Lebenszeit kein Anlass.

Neue Quellen

nmz: Wie aussagekräftig sind die neu erschlossenen Quellen?

Borchard: Selbst wenn wir jetzt diese Briefe lesen und auswerten, sollten wir nicht immer alles wörtlich nehmen. Schriftliche Bekenntnisse und reales Handeln liegen oft weit auseinander. Ich sage damit nicht, dass Clara Schumann bewusst die Unwahrheit gesagt hat.

nmz: Wie ordnen Sie das kompositorische Schaffen von Clara Wieck/Schumann ein?

Borchard: Für Clara Schumann gehörte das Komponieren in einen sehr weit gefassten musikalischen Kosmos mit den Bereichen Musizieren, öffentliche Auftritte, Unterricht. Das mindert oder steigert den künstlerischen Wert ihrer eigenen Werke nicht. Wenn sie ihre eigenen Kompositionen im Vergleich zu denen männlicher Komponisten als minderwertig bezeichnet, entspricht das sicher ihrer Selbsteinschätzung. Dennoch war es ihr ein exis­tentielles Bedürfnis zu komponieren. An solchen Punkten wird es interessant: Warum besteht diese deutliche Differenz zwischen Selbstaussage und eigenem Handeln?

nmz: Welchen Stellenwert hat Clara Wiecks Klavierkonzert?

Borchard: Es ist zwar sehr gut gemeint, wenn Promotion-Strategien dieses auf gleicher Ebene mit den wichtigen Solokonzerten in eine Linie zu stellen versuchen, aber eigentlich unzutreffend. Clara Wieck war zum Zeitpunkt der Uraufführung am 9. November 1835 unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy im Leipziger Gewandhaus, dessen Solopart sie selbst spielte, 16 Jahre alt. Begonnen hatte Clara Wieck mit der Komposition zwei Jahre früher, Robert hatte ihr bei der Instrumentation geholfen. Damit komponierte sie in einem Entwicklungsstadium etwa wie der junge Mozart.

Ich vergleiche hier nur nach dem Alter, nicht nach qualitativen Kriterien. Eine gleichrangige Kategorisierung mit anderen ersten Klavierkonzerten, zum Beispiel Tschaikowskis Konzert b-Moll, verbietet sich meiner Meinung nach. Denn bei dessen Entstehung war Tschaikowski bereits 34 Jahre alt. Das Bemühen um Objektivität enthält also Tücken: Der Konflikt zwischen wissenschaftlich fundierter Wertung und einem Quotengleichheit anstrebenden Musikbetrieb ist vorprogrammiert.

nmz: Gibt es Anhaltspunkte dafür, wie Clara Schumann selbst die Chancen ihres kompositorischen Schaffens beurteilte?

Borchard: In der Dresdener Zeit komponierte Clara Schumann ihr Klaviertrio op. 17 und erhielt dafür allgemeine Anerkennung. Sie jedoch wertete es in einem eine gewisse Berühmtheit erlangenden Kommentar im Vergleich mit den Kompositionen ihres Mannes als „Frauenzimmerarbeit“ ab. Zugleich spricht sie davon, dass nichts über das „Selbst-Produzieren“ gehe, und sei es nur, „dass man es täte, um diese Stunden des Selbstvergessens, wo man nur noch in Tönen atmet“.

nmz: Erörtern Sie diese Positionen zwischen innerem Glück und Selbstkritik in der von Ihnen neugestalteten Dauerausstellung im Schumann-Haus Leipzig?

Neugestaltung der Leipziger Dauerausstellung

Borchard: Zunächst einmal ist das gesamte Projektjahr Clara19, das man in Leipzig um das Festwochenende vom 12. bis 15. September zu Claras 200. Geburtstag rankt, außergewöhnlich. Die Absicht, die Einmaligkeit der Beziehung von Clara und Robert Schumann dort durch die Neugestaltung der Dauerausstellung zu präsentieren, steht auf Höhe der Zeit: Also geht es nicht um „Clara contra Robert“ in einer kritischen Würdigung an normativen Geschlechterrollen des 19. Jahrhunderts aus heutiger Perspektive, sondern um „Robert und Clara“ und die vier Ehejahre von 1840 bis 1844, in denen das Paar von der Hochzeit bis zum Umzug nach Dresden am Ort der Ausstellung lebte.

nmz: Was halten Sie persönlich an dieser Beziehung für das Einmalige?

Borchard: Nach Auswertung aller bisher bekannten Quellen ist es das von beiden schon vor ihrer Hochzeit entworfene Konzept einer Paarbeziehung und bürgerlichen Ehe als Schaffensgemeinschaft. In der Öffentlichkeit traten beide gleich nach der Eheschließung als „Paar“ in Erscheinung. In ihrem ersten Konzert als Clara Schumann wurde seine erste Symphonie, die Frühlingssymphonie, aufgeführt, sie gaben einen Liederzyklus unter beider Namen heraus et cetera. Aber eine Idylle war diese Schaffensgemeinschaft nicht. Dazu waren die Interessen zu unterschiedlich. Wenn er komponierte, durfte sie nicht Klavierspielen, weil ihn das – verständlicherweise – in seinen Gedanken störte. Er bestand darauf, dass seine Arbeit wichtiger sei als die ihre. Sie wurde immer unsicherer, auch als Pianistin, weil sie sich nun seinem Arbeitsrhythmus anpassen musste. Sie wollte auf Konzertreisen gehen, um als Künstlerin nicht vergessen zu werden und um Geld zu verdienen, was beide dringend benötigten. Dann folgte eine Schwangerschaft nach der anderen. Also jede Menge Sprengstoff, dokumentiert im gemeinsam geführten Ehetagebuch. Erfolgserlebnisse und Krisensituationen – wir finden die gesamte Bandbreite in den Aufzeichnungen. Aber beide haben etwas versucht in einer Zeit, als es klar zu sein schien, welche gesellschaftlichen Aufgaben Männer, welche Frauen haben. Deswegen steht die Ausstellung unter dem Motto: „Experiment Künstlerehe“ – im übrigen bis heute ein aktuelles Thema.

Reibungspunkte

nmz: Wo liegen die Reibungspunkte zwischen dem normativen Muster einer Ehe im 19. Jahrhundert zum „Sonderweg Clara und Robert Schumann“?

Borchard: Robert Schumann hat mit Clara Wieck gezielt eine Frau geheiratet, die selbst Geld verdienen konnte. Sie war also von ihm ökonomisch nicht abhängig. Sie konnte ihm nicht nur symbolisch seine lädierte rechte Hand ersetzen, das heißt seine Klavierkompositionen aufführen. Clara unterstützte Robert auf dem Weg zu einer Laufbahn als Komponist gro­ßer Werke für den Konzertsaal bedingungslos. Dass er sie als Brücke in die Öffentlichkeit brauchte, garantierte ihr, dass sie auch als verheiratete Frau „ihre Kunst nicht vergessen“ musste. Als sehr erfolgreiche Pianistin wusste sie, was auf das Publikum wirkt. Sie sah ihre Rolle darin, ihren Mann dahingehend zu beeinflussen, „verständlicher“ zu komponieren. Sie hatte gelernt, wie sie das Publikum für bisher unbekannte musikalische Ausdrucksformen interessieren konnte. Diese Aufgabe wollte sie für Robert Schumanns Musik, von deren Einzigartigkeit sie überzeugt war, übernehmen. Als Komponistin blieb sie mit ihm im musikalischen Dialog und betrachtete seine ihr zugeeigneten Werke auch als ihre eigenen.

nmz: Die Beziehung zwischen Robert und Clara Schumann ist weitgehend ein Mythos, schon aufgrund der spektakulären Eheschließung gegen den Willen des Vaters Friedrich Wieck am 12. September 1840, einem Tag vor Claras Volljährigkeit …

Borchard: Da kommt noch eine andere Komponente ins Spiel, die gegenüber den Beziehungen zum Vater Friedrich Wieck und zu Robert Schumann bislang unterschätzt wurde: die Beziehung zu Claras Mutter Mariane, geb. Tromlitz. Sie war eine professionelle Pianistin und Sängerin, die ihre Töchter, wie später Clara Schumann die ihren, zu Klavierlehrerinnen ausbildete. Das hielten also beide für die erfolgversprechende Basis eines Lebens in wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Die Scheidung von Friedrich Wieck im Jahr 1825 und Marianes Heirat mit Adolph Bargiel wenige Monate später war in Hinblick auf die öffentliche Reputation und privat durch die Trennung von den Kindern, die dem Vater zugesprochen wurden, eine hochriskante Entscheidung. Die sehr junge Clara hatte noch persönlichen Kontakt zu ihrer Mutter, bevor diese sich von Friedrich Wieck trennte und mit Bargiel nach Berlin zog. Clara konnte sicher zwangsläufig einiges aus dieser Konstellation beobachten. Mariane nahm mit den Mehrfachaufgaben als neunfache Mutter, Künstlerin, Klavierlehrerin und Ehefrau Claras künftige Situation vorweg. Dank ihrer konkurrenzfähigen musikalischen Ausbildung und ihrer beschleunigten Karriere als Wunderkind wurde Clara Schumann von Seite ihres Vaters und im späteren Kontakt mit ihrer Mutter nicht in erster Linie auf ein Hausfrauendasein vorbereitet. Clara verstand sich als Künstlerin, die „ihr von Gott gegebenes Talent zu pflegen hat.“ Trotzdem war sie bereit, typische Hausfrauenpflichten zu erfüllen. Das Leben Claras ist also weitaus mehr als die Summe der sozialen Rollen einer siebenfachen Mutter, Interpretin, Musikerin, Gattin, Lehrerin und so weiter.

Einmaliger Lebensentwurf

nmz: Was ist Ihnen an der neuen Ausstellung besonders wichtig?

Borchard: Es geht nicht in erster Linie um die Vermittlung von musikalischen Werken. Ich halte vielmehr den Lebensentwurf von Clara und Robert Schumann für einmalig. Im Zentrum der Dauerausstellung steht die glückliche und dabei spannungsgeladene Beziehung zweier Menschen, die sich als Ausnahme begriffen und gleichzeitig bürgerliche Maßstäbe ihrer Zeit erfüllen wollten. Sie und Robert vollbrachten eine gewaltige Leis­tung, Clara wurde angesichts vielfältiger Anforderungen nicht zerrieben. Sie gab nicht auf und startete immer wieder neue und andere Versuche, alle Anforderungen als Mutter, Ehefrau, Pianistin und Komponistin zu meistern. Das lässt sich nur in der Gegenüberstellung mit den dazu widersprüchlichen Anforderungen der Lebenswirklichkeit des 19. Jahrhunderts begreifen. Für Besucher/-innen des Schumann-Hauses will ich verständlich machen, wie Clara und Robert ihr Künstler/-innentum diesem Berg von Hindernissen abringen mussten, um jenes Großartige zu realisieren, was man an ihnen bewundert. Es genügt nicht, künstlerische Arbeiten und Leistungen von Frauen und Männern nach abstrakten ästhetischen Maßstäben zu bewerten. Es muss zugleich bedacht werden, unter welchen Bedingungen und in welchen Kontexten sie gearbeitet haben, und da spielen in diesem Falle natürlich Frauen- und Männerbilder eine zentrale Rolle.

  • In Vorbereitung
    Beatrix Borchard: Clara Schumann. Musik als Lebensform. Neue Quellen – Andere Schreibweisen, 328 S., mit Abbildungen, Hardcover, ISBN: 978-3-487-08620-0, € 24,80

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