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Braucht keinen Jet und keine Cessna: Anton Zapf beim Sommersprung in Einsiedeln. Foto: privat
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Zwischen Orchestergraben und Sprungschanze

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Dirigent, Komponist und Skispringer: Anton Zapf im Porträt
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In jungen Jahren galt er als aussichtsreiches Talent an der Orgel. Als man gerade begann, ihn herumzureichen, und er von seiner Hochschule zum Mendelssohn-Wettbewerb geschickt werden sollte, tauschte er die Pedale gegen den Taktstock und begann eine Laufbahn als Dirigent. Seine erste Oper dirigierte er in Stuttgart, als er bei dem von Peter Zadek inszenierten Figaro für Dennis Russell Davies, den damaligen Stuttgarter GMD, einsprang. Es folgten weitere Stationen als Kapellmeister in Mannheim und Bonn und zahlreiche Gastdirigate, die ihn mit über 60 Orchestern in 14 Länder führten. Mit Fünfzig ließ er sich schließlich noch auf eine dritte Karriere als Komponist Neuer Musik ein. Die Energien für seine Kraft raubenden Projekte sammelt er auf der Schanze. Anton Zapf ist Skispringer.

Zu sagen, Anton Zapf führte ein Leben zwischen Orchestergraben und Sprungschanze, ist natürlich eine wohlklingende Oberflächlichkeit und entspricht im Übrigen auch nicht ganz der Realität – zumal Ersterer Zapf so stark in Beschlag nimmt, dass er Letztere kaum zu Gesicht bekommt. Nicht einmal die anstehenden World Winter Games der Masters im slowenischen Kranj, also die Ü30-Olympiade der Skispringer, können daran etwas ändern, zu sehr ist Zapf mit seinen musikalischen Projekten eingespannt. Gerade ist es das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, mit dem Zapf ein Programm mit Uraufführungen von Hespos, Hillborg und Manoury einstudiert.

Die breiten Sprungskier, die griffbereit auf dem Balkon an der Wand lehnen, wirken frisch gewachst, benutzt wurden sie aber schon länger nicht mehr. Bei Zapf verursacht das eine gewisse Unruhe, denn obwohl er als Profi die Tatsache hinnimmt, wesentlich öfter als „Maestro“ denn als „Master“ der Skispringer unterwegs zu sein, birgt dieser Umstand doch auch Gefahren. „Die Vorbereitung ist beim Skispringen nicht nur in sportlicher Hinsicht sehr wichtig“, meint Zapf, „sondern auch, weil die Verletzungsgefahr so groß ist. Wenn man nicht fit ist, kann das gefährlich werden.“ Deshalb verbringt Zapf seinen Urlaub vor allem bei der Vorbereitung auf verschiedenen Schanzen. Dieses Mal musste er seinen geplanten Trainingsurlaub allerdings verschieben. Wichtige Aufführungen haben die Planungen zuletzt immer wieder zunichte gemacht. Kürzlich ein Orgelkonzert – Zapf konzertiert inzwischen wieder sporadisch – im Münchner Dom mit Henzes enorm schwerer „Toccata senza Fuga“ und einer eigenen Uraufführung, dann eine Fledermaus-Produktion in Dachau, nun Rihm und Hespos in Stuttgart. Wenn das vorbei ist, soll es endlich nach Kranj zum Training gehen.

Dabei ist das Skispringen längst nicht mehr nur der musikfreie „Rückzugsraum“ für den im Fichtelgebirge geborenen ehemaligen Domspatzen, der noch vom großen Regensburger Domorganisten Eberhard Kraus in die Kunst des Kontrapunkts eingeweiht worden ist. Seit einigen Jahren ist ein von Zapf gestaltetes symphonisches Eröffnungskonzert Teil der International Masters Championships, den Weltmeisterschaftstreffen der Skispringergemeinde. Die Sportler schätzen den kulturellen Input und honorieren den mitunter immensen personellen und organisatorischen Aufwand, den Zapf für seine unter dem Übertitel „Peace and Tolerance“ stehenden Eröffnungskonzerte betreibt. Es steht allerdings auch ein gewisser pädagogischer Eros hinter den Bemühungen des Dirigenten, der sich dafür einsetzt, dass auch bisher von der klassischen Musikkultur unbehelligte Menschen zur Musik gebracht werden – wie 2008 im finnischen Taivalkoski, einer kleinen Gemeinde in Lappland mit kaum 5.000 Einwohnern und ganzen drei Skischanzen: Der organisatorische Kraftakt, ein passables Orchester in die finnische Einöde zu lotsen, zahlte sich für Zapf in der überraschend großen Begeisterung der Bewohner Taivalkoskis aus, von denen einige durch ihn überhaupt zum ersten Mal mit klassischer Musik in Berührung kamen.

Anton Zapf ist jemand, der schon immer gerne das Neue gleichberechtigt neben das Alte gestellt hat, für den also die neuerdings so populären Mischprogramme einem inneren Bedürfnis nach Vielfalt entspringen. In der Klassik sieht er anders als andere auch eine Herausforderung: „Bei klassischen Werken kann man sofort erkennen, ob ein Dirigent etwas taugt oder nicht“, meint Zapf. „Mit der Genialität Haydns, zum Beispiel, muss man behutsam umgehen, da kann schon ein falsches Tempo alles zerstören. Dann klingt alles plötzlich langweilig und zopfig, dabei ist Haydn alles andere als langweilig.“ Von Dirigenten, die sich ihre Partituren mit Farbstiften präparieren, als seien sie „Bilderbücher“, um nur die Hauptstimmen und Einsätze lernen zu müssen, hält er nichts. Er ist auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit in einer Partitur. Auch deshalb haben Dirigentenpersönlichkeiten wie Carlos Kleiber oder Carlo Maria Giulini, der von sich sagte, er bereite sich ein Jahr lang auf eine neue Sinfonie vor, eine große Bedeutung für ihn.

Trotz seines breit angelegten Repertoires und zahlreicher Engagements, die ihn auch an renommierte Häuser geführt und mit teils hervorragenden Orchestern haben arbeiten lassen, hat Zapf noch nie einem Orchester als Generalmusikdirektor vorgestanden. Ein Zustand, der nicht so bleiben müsste, wenn es nach ihm ginge. „Ich fühle mich nach all den Jahren inzwischen reif für diese Aufgabe“, konstatiert Zapf. „Paradoxerweise gibt es an einigen Häusern einen bestimmten ‚Jugendwahn‘, der dazu führt, dass man bei Stellenausschreibungen zum Teil nur Bewerber bis Vierzig zulässt. Das ist absurd, wenn man weiß, wie viel Zeit und Erfahrung man im Dirigentenberuf benötigt, um wirklich souverän sein zu können.“

Souverän ist er, und jugendlich wirkt er trotz seiner 58 Jahre. Es wird unter den Dirigenten diesseits der 40 auch wenige geben, die in ihrer Freizeit von einer 90-Meter-Schanze springen –  nicht nur eine Frage der Fitness, sondern auch eine des Mutes, der Zähigkeit und der Risikobereitschaft. Alles Eigenschaften, die man, was man so hört, auch an einem Opernhaus gebrauchen kann.

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