Der Komponist hat eine neue Partitur geschrieben, die Musiker haben das Werk einstudiert, schließlich vor Publikum zur Uraufführung gebracht, und dann folgt: Applaus. Diese ebenso spontane wie flüchtige Reaktion der versammelten Hörerinnen und Hörer ist keine besonders qualifizierte Antwort auf die Leistung der beteiligten Künstler. Das Händeklatschen liefert weder einen substanziellen Diskussionsbeitrag zum eben gehörten Werk noch ein wohl fundiertes Argument zum allgemeinen Diskurs der Neuen Musik. In Geschichte und Gegenwart gab es daher immer wieder Musiker – einst etwa Schönberg mit seinem Wiener „Verein für musikalische Privataufführungen“, gegenwärtig etwa Johannes Kreidler –, die Beifallskundgebungen jeglicher Art für unangemessen, unsachlich, primitiv hielten und daher am liebsten untersagt hätten.
Weil Desinteresse, Ignoranz und Stumpfsinn jedoch keine Privilegien des Publikums sind, hätte mancher auch gerne das Rezensions-Unwesen der „Journaille“ gleich mit verboten. Aus Sicht von Künstlern mag eine solche Haltung naheliegen, denn spontane Zustimmung, Indifferenz oder Ablehnung treffen oft mehr den geschmeichelten oder gekränkten Stolz der Künstler als die Qualität von Werk und Wiedergabe. Andererseits handeln Künstler unsouverän, wenn sie ihr Werk nicht einfach in die Welt entlassen, damit es dort selbstständig lebe und sich behaupte, sondern stattdessen versuchen, mit autoritärem Gebaren ihre eigenen Positionen durchzusetzen.
Gegenüber solch prädominanter, in Extremfällen zum Meinungsdiktat tendierender Innensicht der Urheber, ist der Applaus als die erste unabhängige Form öffentlicher Resonanz zu verteidigen. Die Publikumsreaktionen nach einer Uraufführung markieren den Anfang der wahlweise längeren oder kürzeren Rezeptions- und Wirkungsgeschichte eines Werks. Als Resultat eines kollektiven ästhetischen Erlebnisses und gruppendynamischen Prozesses, ist Applaus zudem eine ebenso komplexe wie zu Differenzierung fähige Ausdrucksform. Statt bloß Daumen hoch oder runter gibt es fein skalierte Schattierungen zwischen stehenden Ovationen und wütenden Buh-Salven. Mal entfachen wenige Dutzend Menschen einen frenetischen Beifallssturm, begeistert, tosend, ausdauernd. Ein anderes Mal bringen tausend Menschen nur ein müdes Plätscher-Klatschen hervor, das kaum begonnen, schon wieder verebbt. Zwischentöne vermitteln auch vokale Zutaten, die zumeist nonverbal erfolgen, aber durch entsprechend tief- oder hochfrequente Färbung und Energetik nicht minder aussagekräftig sind: „Buuuh“, „Wow“, „Jippy yeah!“. Ein Gradmesser für die konzentrierte Teilnahme des Auditoriums während des Konzerts ist schließlich auch die Seltenheit oder gar Abwesenheit von Störgeräuschen, Räuspern, Hustern, Rascheln, Scharren…
Am 1. Juli fordern gleich drei Novitäten individuelle Publikumsresonanz: Ein neues Werk für Mezzosopran und Klavier von Charlotte Seither beim Bad Kissinger Sommer; Toshio Hosokawas jüngste Oper „Erdbeben.Träume“ auf ein Libretto von Marcel Beyer nach Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben in Chili“ an der Staatsoper Stuttgart; und Karl Gottfried Brunottes „zertreten … vor der Zeit – eine Verwahr-Losung“ für Orgel (2 Pedal-Spieler), Live-Elektronik und radiophone Klänge in der Marienkirche Bad Homburg. Viele weitere Uraufführungen im Juli und August werden zweifellos ebenfalls Applaus erhalten. Die Frage ist nur: welchen?
Weitere Uraufführungen
06./07.07.: Mark Andre und Wolfgang Rihm, neue Streichquartett- und Orchesterwerke, musica viva München; Anna Clyne, neues Stück für Mandoline und die Kremerata Baltica, Hamburg
11.07. Brett Dean, Hamlet, Oper nach Shakespeare, Glyndebourne Festival
13.07.: Mariano Etkin, Sueños olvidados für Streichtrio, Elisabeth-Schneider-Stiftung Freiburg
16.07.: Manfred Trojahn „Göttinnen“ für Sprecher und Klavier, Lembruck-Museum Duisburg
18.07.: Peter Michael Hamel, Einmal noch, drei Klavierfantasien, Orff Zentrum München
27.07.: Martin Smolka, The Name Emmanuel für Chor, Baltic Sea Festival Stockholm
29.07.–06.08.: Kalle Kalima, David Philip Hefti, Arnulf Herrmann, Rebecca Saunders, neue Klavierlieder, 72. Sommerliche Musiktage Hitzacker
12./14.08.: Michael Quell, zwei neue Werke, Hochschule für Musik Würzburg