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Abschied von drei Solitären

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Zum Tode von Paul Zukofsky, Jirí Belohlávek und Peter Bastian
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Drei große in den 1940er-Jahren geborene Musiker, von denen wir uns noch ein langjähriges Wirken in gereifter Meisterschaft erhoffen durften, sind unlängst an Krebs gestorben: der dänische Fagottist, Improvisator und Komponist Peter Bastian (geb. 1947), der Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie Jirí Belohlávek (geb. 1946) und der jüdisch-amerikanische Geiger und Dirigent Paul Zukofsky (geb. 1943).

Peter Bastian genoss als Physiker und Musiker internationales Ansehen. Er war ein Allrounder auf dem Fagott von der Klassik über Jazz und Tango bis zu Tanzfolklore aus allen Teilen der Welt. Er spielte auch meisterhaft die bulgarische Klarinette, vor allem in der legendären Gruppe Bazaar, die er mit dem Hammond-Organ-Jazzer Anders Koppel gegründet hatte, und er bewies einem großen Publikum, dass man auch auf einem Strohhalm wunderbar und virtuos musizieren kann. Sein Buch „The Inner Life of Music“ zählt zur Kernliteratur der musikalischen Phänomenologie, und mit dem Danish Wind Quintet arbeitete er über ein Jahrzehnt hinweg intensiv mit Sergiu Celibidache zusammen (www.youtube.com/watch?v=CS0V7Ww3DBM). In Dänemark einer der populärsten Künstler, war Bastian auch ein gewandter und origineller Komponist mit immenser stilistischer Bandbreite. Er starb am 27. März 2017 am jütländischen Arresø.

Auch Jirí Belohlávek war ab 1968 zwei Jahre lang Schüler Sergiu Celibidaches. Prägend beeinflusst wurde er außerdem von Josef Vlach, dem Primarius des Vlach-Quartetts und, als Nachfolger Václav Talichs, Leiter des unübertroffenen Tschechischen Kammerorchesters. Tatsächlich kann man in Belohláveks großartigen Aufführungen von Smetanas „Mein Vaterland“, Dvorák-Symphonien, Suk-Tondichtungen, von Janácek oder Martinu eine authentisch charakteristische, formbewusst klare, auf Talich zurückgehende Linie erkennen. Werke wie Janáceks Sinfonietta oder die Symphonien Bohuslav Martinus habe ich nie sonst in einer so bewusst gestalteten, verfeinert natürlichen, selbst im gewaltigsten Fortissimo stets transparenten und beweglichen Weise gehört wie unter Belohlávek, doch ist hervorzuheben, dass auch sein Mozart und Beethoven fast alles überragt, was heute produziert wird. Belohlávek wurde erstmals nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, doch servierte ihn das Orchester kurz darauf schmählich ab, weil man sich unter anderer Leitung bessere Einkünfte versprach.

Er gründete daraufhin die Prager Philharmonie, die in wenigen Jahren zu einem der besten Kammerorchester weltweit aufstieg. Von 2006 bis 2012 war er Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra, bevor er in dieser Position ans Pult der Tschechischen Philharmonie zurückkehrte, nunmehr bedingungslos geachtet als Großmeister unter den tschechischen Dirigenten unserer Zeit.

So unbestritten der Rang von Belohláveks maßstabsetzenden Aufnahmen tschechischer Musik ist (etwa zuletzt der kompletten Symphonien und Slawischen Tänze und des Stabat Mater von Dvorák mit der Tschechischen Philharmonie für Decca), sei doch nachdrücklich die Beschäftigung mit seinen Aufführungen der Klassiker empfohlen (ein wunderbares Mozart-Videodokument mit dem jungen, auch unlängst verstorbenen Zoltán Kocsis findet sich auf YouTube. Ich hatte das Glück, Belohláveks letztes Konzert mit dem Symphonieorchester des Bay­erischen Rundfunks Ende April in München zu hören, und die finale Darbietung von Janáceks „Taras Bulba“, geleitet von der luziden Kraft eines Todgezeichneten, dem nichts ferner war als Prätention, wird allen Musikern und Hörern unvergesslich bleiben. Jirí Belohlávek starb am 31. Mai in Prag.

Paul Zukofsky aus Brooklyn, Sohn des „Objectivist“-Schriftstellers Louis Zukofsky, war ein Genie auf der Geige und einer der intellektuell bestechendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Seine von allen Traditionen abweichende, geradezu orchestral strukturierte Aufnahme der Capricen von Nicolò Paganini ist nicht nur nach Ansicht seines Lehrers Galamian der Gipfelpunkt der gesamten Diskografie. Später hat er sie auf CD mit Ragtimes zu einem hochoriginellen „Pags & Rags“-Album kombiniert. Doch Zukofsky setzte sich vor allem unermüdlich als Solist, Dirigent und Adminis­trator für zeitgenössische und vergessene Musik ein. Morton Feldman, Charles Wuorinen und Philip Glass schrieben ihre Violinkonzerte für ihn, John Cage seine „Freeman Etudes“. Zukofsky war der große Entdecker des Komponisten Artur Schnabel, dirigierte die Ersteinspielungen von dessen hochkomplexen drei Symphonien (er leitete auch die Uraufführung der 3. Symphonie in der Münchner musica viva) und nahm als erster – bis heute unübertroffen – Schnabels gigantische Sonate für Violine solo auf (die meisten seiner Aufnahmen sind auf seinem eigenen Label erschienen und unter www.musicalobservations.com erhältlich). Auch mit der Ausgrabung des überragenden isländischen Komponisten Jón Leifs war Zukofsky der Welt voraus, und das von ihm gegründete Iceland Youth Symphony Orchestra spielte unter anderem die isländischen Premieren von Strawinskys „Sacre“, Mahlers 9. und einigen Bruckner-Symphonien. Zukofskys Zugang zur Musik war von absolut unkonventioneller Schärfe und vollkommen unsentimentaler Liebe zur reinen Struktur, in bewusster Transzendenz der metrischen Artikulationen. In den letzten Jahren zog er sich nach Hongkong zurück, wo er seine Forschungen betrieb und am 6. Juni starb.
 

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