„Hommage à Boulez“ +++ Streichquartette von Ernst Helmuth Flammer +++ Pierre Boulez +++ Reihe Neue Meister +++
Ein Jahr nach dem Tod von Pierre Boulez häufen sich die CD-Produktionen. Daniel Barenboim hat mit dem West-Eastern Divan Orchestra eine ergiebige „Hommage à Boulez“ veröffentlicht: Ensemblestücke (insbesondere aus Boulez’ späterer Kompositionsphase) in Konzertmitschnitten aus Berlin (2010) und London (2012), gleichsam pünktlich zur Einweihung des Berliner Boulez-Saales. Barenboim und Boulez, so unterschiedlich ihre Künstlerphysiognomien sind, verband eine Musikerfreundschaft, die 1964 mit der Aufführung von Bartóks 1. Klavierkonzert begann. Die Live-Aufnahmen zeigen sich gut ausbalanciert: klar und durchhörbar, mit kammermusikalisch feiner Nadel gestrickt, immer expressiv. Barenboim wäre nicht Barenboim, wenn er dabei nicht Boulez’ Verwurzelung in der Musik der Jahrhundertwende auskosten würde, vor allem im Gedankenstrudel von „Dérive 2“. Dass Boulez ein Meister der musikalischen Metamorphose und Materialtransformation war, veranschaulichen mit lyrischer Eindringlichkeit die Monologe von „Dialogue de l’ombre double“, „Mémoriale“, „Anthèmes 2“ und „Messagesquisse“ im Dialog mit ihren elektronischen oder instrumentalen Schatten. I-Tüpfelchen: ein gläserner und doch surrealer, die Nähe zum „Pierrot“ offenkundig machender „Marteau sans maître“ mit dem Komponisten am Pult. (DG, 2CDs)
Der „Marteau“ ist ebenfalls Herzstück einer Boulez-Veröffentlichung des International Contemporary Ensemble. Mezzo-Sopranistin Katalin Károlyi legt den Gesangspart dramatischer aus als Hilary Summers (Alt) unter Boulez. Im Vergleich mit dem West-Eastern Orchestra liegt hier ein deutliches Augenmerk auf den perkussiven Konturen und „außereuropäischen“ Valeurs des seriellen Klassikers. Auch in „Éclat“ ist die markante Perkussions-Abteilung ein absolutes Plus. Dirigent und Initiator Pascal Gallois hat im Ensemble intercontemporain lange mit Boulez gearbeitet. Seine Einrichtung des „Dialogue de l’ombre double“ für Fagott (ursprünglich Klarinette) wurde von Boulez voll autorisiert, ist klangfarblich aber gewöhnungsbedürftig. (Stradivarius)
Die Streichquartette von Ernst Helmuth Flammer wurzeln in ihrer Feinnervigkeit und Ausdrucksintensität geradezu mustergültig im Ethos der Gattung. Die „Voyage éternel de l’oiseau de feu“ (1996/97) verkörpert ein tiefschürfendes Streichquartett-Kompendium, das trotz geläufiger Klangtechniken keine Sekunde langweilt. Die expressive Bandbreite dieser „Zeitreise“ in 18 Klangbildern kann Formen frenetischer Polyphonie und Expressivität oder irisierende Flächen mit feinen motivischen Zeichnungen beinhalten. Das Jade Quartett spielt auch das 5. Streichquartett „Abschiede“ (2002), in seiner kristallinen Faktur eine Hommage an Anton Webern, mitreißend präzise und intensiv. (Neos)
2016 initiierte das optimistisch betitelte Label Neue Meister zusammen mit „DRIVE“, einem Berliner Kulturforum der Volkswagen Group mehrere Konzerte, die Musiker im Grenzbereich von Komposition und Club-Elektronik mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin zusammenbrachte. Herausgekommen ist unter dem Titel „Neue Meister – Live in Berlin“ leider ein über weite Strecken gruseliges Crossover voller Flachheiten im Versuch eine pathetische Orchestersprache zu assimilieren. Das gipfelt in Fabian Russ’ kaum erträglicher Verkitschung von „Black is the Colour“ (Nina Simone würde sich im Grabe umdrehen ...). Drei Ausnahmen ließen sich fast erwartungsgemäß nicht korrumpieren: Francesco Tristano, Paul Frick und Matthew Herbert. Der Rest tönt alles andere als meisterlich … (Neue Meister, 2CDs)